Bleiben oder Gehen? Karrierefragen in einer Modewelt im Wandel
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Die Modeindustrie hat ein turbulentes Jahr hinter sich. Einige Unternehmen kämpfen mit Insolvenzen und sinkenden Erlösen, während andere ihre Prognosen erhöhen und expandieren. In unsicheren Zeiten zweifeln manche vielleicht auch an ihrer Karriere und Zukunft.
Sollten Sie selbst in Krisen einem Unternehmen die Treue halten und wann ist es Zeit, sich nach einem neuen Job umzuschauen? Im Interview suchen wir mit Headhunterin Nabila Staschel Antworten auf diese Fragen. Sie erinnert daran, dass Menschen gerade auch in Krisenzeiten gefragte Fähigkeiten erlernen können.
Die Menschen in der Modebranche sind nervös angesichts des derzeitigen wirtschaftlichen Umfelds. Kommt das auch bei Ihnen als Headhunterin an?
Nabila Staschel: Auch ich merke eine gewisse Nervosität in der Branche. Diese ist insbesondere im Textilbereich spürbar. Insbesondere im stationären Einzelhandel ist eine gewisse Nervosität zu beobachten, da wo eben auch starker Personalmangel herrscht.
Woran merken Sie diese Nervosität konkret?
Anhand einer ansteigenden Wechselbereitschaft von Kandidat:innen. Einige sind generell gesprächsbereiter, weil eine gewisse Unsicherheit herrscht, da sie vielleicht schon von Schließungen oder Ähnlichem betroffen sind.
Auf Unternehmensseite wiederum an der erhöhten Anfrage an Suchmandaten, für die ich beauftragt werde. Es gibt Personalabgänge oder gewisse Positionen, für die schon monatelang rekrutiert wird, ohne die passenden Kandidat:innen zu finden. Auch hier macht sich irgendwann eine gewisse Nervosität breit, insbesondere, wenn es um vakante Führungs- und sogenannte Schlüsselpositionen geht.
Wir haben jetzt vor allem über den Retail-Bereich gesprochen, aber Sie rekrutieren auch für andere Abteilungen. Wie sieht es da aus?
In den anderen Fachbereichen, in denen ich für die Besetzung von Führungskräften verantwortlich bin, ist der Wandel nicht so stark spürbar. Eher im Gegenteil, der Bereich E-Commerce ist beispielsweise ein wachsendes Feld, People & Culture ebenso. Hier merke ich diese sogenannten Negativausschläge nicht oder nur vereinzelt.
Sie arbeiten schon mehr als zehn Jahre als Headhunterin und haben das Auf und Ab in der Modebranche miterlebt. Was raten Sie Arbeitnehmenden in einem schwierigen Marktumfeld?
Generell empfehle ich – egal, ob es eine unsichere oder eine stabile Zeit ist – immer eine gewisse Flexibilität und Anpassungsfähigkeit mitzubringen. Kandidat:innen sollten sich vor allen Dingen auch in sicheren Zeiten weiterbilden und vernetzen. Selbst wenn nicht die Entscheidung zu wechseln im Raum steht, ist es von Relevanz, im offenen Austausch zu bleiben. Also eine gewisse Flexibilität und Offenheit zu haben, auch dann, wenn der “Need” noch überhaupt nicht gegeben ist. In Krisenzeiten ist nämlich genau diese erlernte Anpassungsfähigkeit und proaktive Kommunikation, die man dann vielleicht auch aufgrund eines bereits aufgebauten Netzwerkes zielgerichteter umsetzen kann, essenziell.
Im Profil
- Nabila Staschel ist seit 2014 Expertin im Executive Search, überwiegend in der Mode- und Lifestyle-Branche. Sie unterstützt deutsche und internationale Unternehmen – von Startups bis Konzerne – bei der Besetzung von Schlüsselpositionen in Sales online wie offline, Marketing und HR. Zudem berät sie beim Aufbau und der Optimierung von Recruiting-Abteilungen und bietet Schulungen in Active Sourcing und Direct Search an.
Also, am besten schon beginnen, bevor es brenzlig wird.
Noch bevor Unsicherheiten in Sicht sind. Darüber hinaus sollten Kandidat:innen in sich selbst investieren, sich weiterbilden, Fortbildungen besuchen – vielleicht unterstützt durch das Unternehmen, vielleicht aber auch proaktiv von sich selbst aus. Sie sollten sich selbst als die größte Investition sehen, insbesondere mit Blick in die Zukunft gerichtet.
Müssen diese Investments direkt auf den bisherigen Job bezogen sein? Oder kann das auch ein bisschen abseitiger sein und es zahlt sich trotzdem aus?
Man kann ruhig in die Breite denken, aber es sollte adaptierbar sein auf den Bereich, in dem man aktuell tätig ist. Es sollte nicht zu abstrakt sein. Ich kann – wenn ich im Retail arbeite – beispielsweise im serviceorientierten Dienstleistungsumfeld eine Weiterbildung oder eventuell auch Umschulung in Betracht ziehen. Will ich mir vielleicht mal die Gastronomie anschauen, die Hotellerie, die Theaterbranche? Also wenn man für sich den Entschluss gefasst hat, den Retail zu verlassen, ist es möglich, breiter zu denken, aber es sollte idealerweise möglichst nah an dem sein, wo man aktuell tätig ist, um die Expertise, die man ja über die Jahre aufgebaut hat, entsprechend zu adaptieren.
Wie wissen Kandidat:innen, ob es Zeit ist, sich nach anderen Jobs umzuschauen?
Wenn man in die Selbstreflexion geht und einem bewusst wird, dass man die Werte und die Visionen des Unternehmens nicht mehr teilt oder das Gefühl hat zu stagnieren – sprich sich nicht mehr weiterzuentwickeln – obwohl der Wunsch da ist. Das kann immer mal eine kurze Phase sein, aber wenn dieses Gefühl andauert, kann man in Erwägung ziehen, über einen Wechsel intensiver nachzudenken.
Und wann sollten Sie einem Unternehmen die Treue halten?
Beispielsweise wenn die Visionen eines Unternehmens sowie dessen Werte einem selbst entsprechen. Auch wenn man das Gefühl hat, man kann sich weiterentwickeln, man wird wertgeschätzt und ist Teil von etwas. Das sind wesentliche Faktoren, die zu mehr Zufriedenheit im Job führen.
Wie lange sollten Arbeitnehmende das Gefühl der Unzufriedenheit aushalten?
Das ist total subjektiv. Die eine Person verweilt in so einer Situation zwei Jahre, eine andere wiederum zwei Monate. Ich glaube, man sollte vor allem reflektiert an so einen Gedankengang rangehen, nichts überstürzen und sich beispielsweise notieren, was für den bisherigen Arbeitgebenden und den jetzigen Job spricht und was dagegen. Wie stelle ich mir denn, wenn ich wechsle, eine berufliche Zukunft vor?
Das heißt, ich sollte auch meine eigene Erwartungshaltung erst prüfen?
Mal so ein Traumszenario ausmalen und dann auch in einen Realitätscheck gehen. Gibt es vielleicht auch im Hier und Jetzt Parameter, die ich anpassen kann und muss gar nicht unbedingt einen Wechsel in Erwägung ziehen? Oder kann ich sagen, diese Vorstellung, diese Vision, diese Werte, die finde ich hier, wo ich bin, nicht mehr. Manchmal ist es ja auch nicht die eigene Entscheidung, ob man noch zum Unternehmen passt. Manchmal sind es auch wirtschaftliche Faktoren, die mich über einen Wechsel nachdenken lassen, zum Beispiel wenn es einem Unternehmen nicht gut geht.
Schadet es der Karriere, wenn Arbeitnehmende ein sinkendes Schiff nicht frühzeitig verlassen?
Nicht unbedingt. Auch hier ist es wieder sehr subjektiv. Alle müssen für sich entscheiden, wie lange sie so einen Weg mitgehen möchten und können. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass man in Krisenzeiten auch relevante Fähigkeiten erlernen kann. Also sowas wie Resilienz, Kommunikationsfähigkeit, Führungskompetenz – gerade diese wird durch eine Krisenzeit ganz oft auch nochmal verstärkt. Es begegnet mir auch oft, dass sogar betont wird, welche Fähigkeiten innerhalb solcher Zeiten erlernt wurden. Deshalb ist es nicht unbedingt schädlich.
Und wie lange sollten Mitarbeitende bei einem kriselnden Unternehmen bleiben?
Es ist ein subjektives Entscheiden, wie lange eine Person aus monetären Gründen oder aus einem Sicherheitsbedürfnis auf so einem sogenannten sinkenden Schiff verweilen kann. Aber es schadet definitiv nicht der Karriere, wenn man dieses Schiff nicht vom ersten Tag an verlässt. Und das sinkt ja auch nicht immer so schnell. Da darf man von seiner eigenen persönlichen Situation ausgehen: Wie lange bin ich schon in dem Unternehmen, wie gut kenne ich das Unternehmen? Es ist vielleicht auch nicht unbedingt die erste Krise, die eine Person innerhalb des Unternehmens miterlebt.
Wie präsentieren Menschen sich nach einer Insolvenz, wenn sie sich nach einem neuen Job umschauen?
In unserer Branche sind Insolvenzen meist bekannt. Das ist oft kein großes Geheimnis, deshalb kann man damit ganz offen umgehen. Viel wichtiger ist, das, was ich bereits erwähnt habe – zu reflektieren, was hat mir diese Krisenzeit gebracht? Welche Fähigkeiten habe ich dazu erlernt? Oft spricht man darüber, welche Fähigkeiten man innerhalb einer Expansionsphase mitbringen muss, aber zum Beispiel ist auch die Erfahrung in der Schließung von Stores – gerade in leitenden Funktionen – essenziell.
Manche Menschen verlassen die Mode für einen andere Branche. Haben Sie solche Fälle miterlebt?
Ja, gerade wenn wir über Positionen im stationären Einzelhandel sprechen, ist zu beobachten, dass die Themen flexiblere Arbeitszeiten und Teilzeitmodelle, oft ausschlaggebend sind. Im Retail beobachte ich nach wie vor wachsende Abgänge und Branchenwechsel.
Wohin wechseln die Menschen meistens?
Häufig sind es Einstiegspositionen in Bürotätigkeiten. Es ist oft auch ein kompletter Branchenwechsel, wenn das jeweilige Retail-Unternehmen beispielsweise nicht in der eigenen Stadt ansässig ist und innerhalb der Zentrale eine Position anbieten kann.
Wann kann ein Branchenwechsel eine sinnvolle Erwägung sein? Es ist ja oft ein großer Schritt, der oft noch mit einem Karriereknick verbunden sein kann.
Wenn man sich über einen längeren Zeitraum nicht mehr mit der Position identifizieren kann und im Hinblick auf die Entwicklungsmöglichkeiten keine Perspektive sieht. Das könnten mögliche Gründe sein, über einen Branchenwechsel nachzudenken. Oder aber alternativ auch über einen Umzug in den Ort, wo die Zentrale des Unternehmens sitzt und da zu schauen, ob es interne Perspektiven gibt.
Wie sollten sich Menschen informieren, die über eine Umorientierung in eine andere Branche nachdenken?
Erst für sich reflektieren: Was für Branchen könnten spannend sein, was ist mein persönliches Interesse, was ist vielleicht auch meine persönliche Leidenschaft und was kann ich gut, wie kann ich das auf eine Branche ummünzen? Dann ist es wichtig, in den Austausch zu gehen und Kontakte innerhalb dieser Branchen zu knüpfen.
Es geht darum, sich ein realistisches Bild zu verschaffen: Von der Branche, von den Gegebenheiten, von den Arbeitszeiten, von den Entwicklungsmöglichkeiten – um zu prüfen, ob es nur eine Idee ist, die sich bloß im ersten Gedankengang gut anfühlt oder tatsächlich Potential mitbringt.
Wir haben viel über die Unwägbarkeiten im Modearbeitsmarkt gesprochen. Sehen Sie weiterhin Menschen, die für die Branche brennen?
Definitiv. Ich glaube, das ist auch das Schöne in der Branche, in der wir tätig sind. Ich denke, eine Identifikation mit dem Produkt ist nochmal viel wichtiger, mehr denn je. Genau dann, wenn man für eine Brand arbeitet, mit der man sich selbst identifizieren kann, die einen gewissen Lifestyle verkörpert. Dann beobachte ich ganz stark, dass die Mitarbeitenden auf den Flächen eine spürbare Leidenschaft für das Produkt, für die Beratung und für die Kund:innen haben.