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Braucht die Modebranche noch Trendforscher:innen?

Von Jackie Mallon

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Mode

Charles Jeffrey Loverboy FW23. Foto: Charles Jeffrey Loverboy

Die Mode lebt davon, nach vorne zu schauen, von der Neuheit. Die Vorhersage ist ihre Superkraft. Aber wie können Menschen, die nur in die Zukunft blicken, mit TikTok oder der schieren Menge an Informationen konkurrieren, die Künstlichen Intelligenz (KI) in kürzester Zeit verarbeiten kann? Steht der Job der Trendforscher:innen auf der Kippe? Um diese Frage zu beantworten, sprach FashionUnited mit Avihay Feld, CEO und Mitbegründer von Browzwear, der seit Ende der 1990er Jahre ein Pionier digitaler Technologien ist, die es der Modeindustrie ermöglichen, in einer zunehmend digitalisierten Welt zu gedeihen. Außerdem sprachen wir auch mit Tessa Mansfield, Chief Creative Officer beim Trend- und Insight-Experten Stylus.

Jahrelang hatten Trendforschende eine unangefochtene Stellung in der Modeindustrie inne. Marken, von Luxuslabels bis hin zu globalen Massenmarkt-Riesen, suchten bei ihnen nach Orientierung für die Zukunft. Trendberatungsagenturen wie Peclers Paris oder Trend Union produzierten üppige Kataloge mit saisonalen Inspirationen, die auf jeder Seite wunderschöne Kompositionen von Farbpaletten, Stoffen und Konzepten enthielten, oft unterbrochen von physischen Druckmustern, Farbkarten, Fäden und Knöpfen. Ergänzt wurden diese durch Fotos von stilvollen Menschen in Tokio, London und Berlin, die von den umherreisenden Reporter:innen der Agentur aufgenommen wurden. Deren Aufgabe war es, mit einem ansehnlichen Budget die Welt zu bereisen und Trends aufzuspüren. Diese Bände wurden für mehrere tausend US-Dollar an Marken verkauft.

Doch mit dem Aufkommen der KI hat jeder Designende die Möglichkeit, jede beliebige Kombination von Stilen, Figuren und Konzepten mit wenigen Eingaben auf den Computerbildschirm zu zaubern, während die sozialen Medien in Echtzeit über Untergrundbewegungen, aufkommende Subkulturen und Straßenstile in der ganzen Welt informieren. Diese Geschwindigkeit hat dazu geführt, dass die Trendzyklen immer kürzer werden, sobald viele etwas in den sozialen Medien entdeckt haben, gehört es schon wieder der Vergangenheit an.

Feld ist der Meinung, dass jede Marke, die immer noch versucht, einen Trend 15 oder 16 Wochen im Voraus zu prognostizieren, völlig veraltet ist. „Früher gab es Vorhersagen, eine Prophezeiung, die sich bewahrheitete und zu einem Trend wurde, weil viele Marken sich an Trendvorhersagen hielten und die gleichen Informationen bekamen“, sagt er. „Das werden die Farben, Silhouetten, Drucke sein, und jede Marke hat etwas daraus ausgewählt, so dass es keine Überraschung war, ähnliche Stücke in den Geschäften zu finden.“

Es war eine Art sich selbst erfüllende Prophezeiung. Aber war es wirklich das, was die Kund:innen wollten? Feld argumentiert, dass bei 60 bis 70 Prozent der hergestellten Kleidungsstücke, die am Ende der Saison unverkauft bleiben, die Antwort Nein lauten muss. Das war der Beweis für ein gescheitertes System. Selbst wenn diese Kleidungsstücke in den Verkauf gingen, lande ein großer Prozentsatz auf der Mülldeponie. „Man geht mit einer Order auf den Markt, die Millionen von Stücken pro Stil umfasst, und niemand weiß, ob es funktioniert“, sagte Feld. Aber die Branche hielt an diesem System fest. Zumindest so lange, bis die Technologie es in Frage stellte.

Eine Antwort, so Feld, ist das Modell, das von Digital Native Brands verwendet wird, die “für den Trend produzieren“. Bei diesem Prozess werden die sozialen Medien, insbesondere TikTok, durchforstet und alles analysiert, was die Nutzer:innen teilen und posten, wobei Standort und Demografie berücksichtigt und aus den Daten Trends destilliert werden. „Bildverarbeitung und Deep Learning sind inzwischen so weit, dass sie nicht nur Silhouetten und Farben, sondern auch die Textur eines Kleidungsstücks bis ins Detail verstehen können“, sagt er. Wenn die Designer:innen die Daten ausgewertet und ihre eigene Version entworfen haben, fertigt die Marke ein physisches Muster an, um festzustellen, ob der Stil funktioniert, und produziert dann in kürzester Zeit kleine Mengen, oft unter Verwendung vorhandener Materialien, um sicherzustellen, dass weniger Kleidungsstücke auf der Mülldeponie landen. „In weniger als 4 Wochen ist das Kleidungsstück in der App, so dass sie einen Trend mitten in der Saison treffen können. Wenn es nicht funktioniert, lassen sie es fallen“, sagt Feld. „Das Risiko ist gering, weil sie nur wenige Stücke hergestellt haben. Die Fähigkeit, trendgerecht zu produzieren, unterscheidet sie von normalen Modemarken.“

Verdrängt KI den Job der Trendforscher:innen?

Mansfield bestreitet nicht, dass eine Kombination aus KI-Tools, die soziale Medien auswerten, schnelle Ergebnisse zu Modetrends liefern könnte. „Es gibt zwar einen Platz für KI-generierte, durch Social Media gesteuerte Produktentwicklung, aber es geht dabei nur um das 'Hier und Jetzt' und ist daher auf sehr schnell reagierende Fast Fashion beschränkt“, sagt sie. Diese kurzfristigen Trendsuchenden haben das Potenzial, sich gegenseitig zu kannibalisieren, da sie sich um die gleichen Krümel streiten. Der Prozess der automatischen Extraktion von Daten aus TikTok, Instagram und Youtube ist allgemein als ‘Social Scraping’ bekannt und kratzt nur an der Oberfläche. Mansfield zufolge ist es genau diese Unfähigkeit, in die Tiefe zu gehen, die Trendprognose-Expert:innen einen Vorteil gegenüber KI verschafft. „Viele aufkommende Trends, die von Jugendlichen ausgehen, lassen sich nicht so einfach durch Social Scraping aufspüren“, sagt sie. „Man kann vielleicht die Mainstream-Ideen finden, aber es ist unwahrscheinlich, dass man die vielfältigen Underground-Ästhetiken und nuancierten Treiber findet.“

Die Technologie hat jedes Element der Branche demokratisiert, so dass die 'Gatekeeper' oder diejenigen, die behaupten, den Schlüssel zum Wissen zu besitzen, oft überflüssig geworden sind. Doch die unterschiedlichen Ansichten von Feld und Mansfield zeigen, dass Trendprognosen keine Einheitslösung sind, sondern von Besonderheiten wie Markenidentität, Marktposition und Kundenerwartungen abhängen. Mansfield ist der Meinung, dass Trendforschende keine untergeordnete Rolle spielen, sondern vielmehr eine unschätzbare Unterstützung für Branchen sind, die sich anpassen und erfolgreich Strategien entwickeln wollen, um in diesen Zeiten des enormen Wandels wettbewerbsfähig zu sein.

Eine 'Digital Native Marke' hat die Möglichkeit, sofort auf das zu reagieren, was die Leute gerade auf der Straße tragen. Feld schätzt, dass solche Marken ihre App mit 700 bis 1000 Teilen pro Tag aktualisieren und die Kund:innen nur kommen, um zu sehen, was es Neues gibt. Es ist eine moderne Form des Stöberns in der Mittagspause oder des Schaufensterbummels nach der Arbeit. „Es ist die tägliche Angst, etwas zu verpassen“, sagt er. „Aber es ist ein völlig anderes Erlebnis für die Nutzenden als bei den Websites traditioneller Modemarken, wo man vielleicht sechs Updates pro Jahr bekommt.“

Schnelle Modeerscheinungen gegen Trends mit langer Lebensdauer

Mansfield weist die These zurück, dass alle Verbraucher:innen schnellen Modetrends hinterherlaufen, und auch die Vorstellung, dass die Trendzyklen verkürzt werden. „Die größten Trends werden immer evolutionärer, makroökonomischer und längerfristiger. Unsere Kundschaft bei Stylus will verstehen, wie sie den sich schnell verändernden Anforderungen der Verbrauchenden – in den Bereichen Arbeit, aktiver Lebensstil, digitale und 'Real Life'-Identität - gerecht werden kann, und vor allem, wie sie auf breitere Zusammenhänge wie die Lebenshaltungskosten, das Gebot der Inklusion und die Nachhaltigkeitskrise reagieren kann.“

Feld stimmt zu, dass einige Marken Trends setzen, während andere aus ihnen Kapital schlagen. Und die Digital Natives, auf die er sich bezieht, die Sheins und Amazons dieser Welt, haben ihren Ruf nicht auf Nachhaltigkeit aufgebaut. Sie stehen oft in den Schlagzeilen, weil sie billig produzierte Kleidung herstellen, bei der weder existenzsichernde Löhne noch Arbeitsrechte für die Bekleidungshersteller:innen eine Rolle spielen, und können aufgrund der einfachen Rückgabeverfahren auch eine Wegwerfkultur für Kleidung fördern. Die Mülldeponie, die bei der Stichprobe vermieden wurde, könnte erst später auftauchen.p>

„Es macht süchtig“, räumt er ein. „Aber ich bin nicht hier, um Massen an Menschen dazu zu bringen, keinen Zucker zu essen, ich weiß nicht, wie ich das anstellen soll. Solange die Leute kaufen, wird es weitergehen.“ Er betont, dass seine Botschaft nicht lautet, dass die Trendprognose tot ist, sondern dass sie sich weiterentwickeln muss: „Um einen Trend zu setzen, braucht man keine 15 Wochen. Man kann es vielleicht nicht in 4 Wochen schaffen, aber die Wahrheit liegt dazwischen.“

Mansfields Kundschaft, einige der größten globalen Marken, hat andere Erwartungen, und die Beratung, die sie anbietet, gehe über die Produktentwicklung und sogar die Innovation hinaus und umfasse einen Blick auf das große Ganze und auf Trends mit langer Lebensdauer. Sie sieht die Rolle der Trendprognose darin, die Punkte zwischen aufkommenden Trends zu verbinden und dabei die gesamte Bandbreite der Lebensstile der Verbraucher:innen zu betrachten und Möglichkeiten für branchenübergreifende Zusammenarbeit und Inspiration aufzuzeigen.

„Die vorausschauenden Marken und Agenturen, mit denen wir zusammenarbeiten, wissen, dass Trends nicht isoliert existieren“, sagt sie. „Die meisten Modemarken müssen immer noch anderthalb bis zweieinhalb Jahre im Voraus planen – vor allem in Kategorien wie Active – und dieser Zeitrahmen kann nicht durch das Durchforsten sozialer Netzwerke nach Inspiration bestimmt werden. Inspirationen, die buchstäblich innerhalb weniger Wochen auftauchen und wieder verschwinden können, sagen einem nur, was bereits passiert.“

Dieser übersetzte und bearbeitete Beitrag erschien zuvor auf FashionUnited.com.

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