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Christine Boland: Symbiotische Widersprüche prägen HW24-Trends

Von Marthe Stroom

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Mode

Jil Sander H/W23 Ready to Wear Show in Mailand (links), Loewe H/W23 Ready to Wear Show in Paris (rechts). Bild: Launchmetrics Spotlight.

Jede Saison durchforstet die Trendanalystin Christine Boland on- und offline Messen und Shows, um herauszufinden wohin sich die Modewelt visuell entwickelt. Für die Saison Herbst/Winter 2024 stellt Boland vier Trends vor, die jeder auf seine Weise zum übergreifenden Thema 'Symbiotische Widersprüche' beitragen.

Seit der letzter Saison hat es ihr zufolge eine Verschiebung gegeben. Ging es damals unter dem Motto „Power to the Paradox“ noch darum, dass völlige Gegensätze zusammenfinden, gehen diesmal scheinbar unvereinbare Bereiche und Ideen eine Symbiose ein. Laut Boland ist dies auch genau das, was in einer Zeit, in der die Spaltungen in der Gesellschaft und in der Mode groß ist, nötig ist. Denn wie stellt man sicher, dass unterschiedliche Strömungen trotzdem zusammenkommen und zusammenarbeiten können?

Überschwang vs. Normalität: Drama und Dekadenz als Gegengewicht zum Leid

Der Maximalismus wird unter dem Deckmantel „Überschwang gegen Normalität“ zum Normalzustand, um den Sorgen und dem Leid unserer Zeit zu begegnen. Übertreibung ist hier erlaubt und wird theatralisch in den Alltag integriert. Überschwang und Entblößung sind die Schlüsselwörter. Denken Sie an die Serie ‚Emily in Paris‘, wo die bombastischsten Outfits getragen werden, und zwar nie mehr als einmal. Oder die roten Teppiche mit extremen Outfits. Das Leben wird als Bühne gesehen, der Exzess ist unvermeidbar. Der Spaß und die Befreiung, die in dieser hemmungslosen Übertreibung stecken, dienen als Gegenbewegung zum relativ besorgniserregenden Zustand der Welt.

Diese Übertreibung drückt sich auf verschiedene Weise aus, wobei die Ergebnisse zuweilen einem Cartoon entsprungen sein könnten. Es gibt vergrößerte Details, wie Puffärmel, die an balzende Paradiesvögel erinnern, oder umgekehrt stark verkleinerte Elemente wie bei den Taschen von Jacquemus. Auch der Surrealismus, wie bei Schiaparellis Show,> die im vergangenen Januar für Aufsehen sorgte, spielt hier eine Rolle. Festliche Kleidung ist angesagt und kann einfach tagsüber getragen werden, wobei Verzierungen wie Kristalle und Pailletten ungeniert überstrapaziert werden. Aber der Überschwang kann auch bescheidener ausfallen. So werden einfarbige Outfits mit drapierten Formen und riesigen Schleppen verziert.

Erdem H/W23 Ready to Wear Show in London (links), Christopher Kane H/W23 Ready to Wear Show in London (rechts). Bild: Launchmetrics Spotlight.

Gestärkt vs. Beherzt: Puffer gegen die überwältigende Außenwelt

Dieses Thema dreht sich um den Schutz und die Umhüllung des Körpers gegen die Außenwelt. Das buchstäbliche Umhüllen des Körpers zum Schutz wurde auch bei der letzten Tremd-Präsentation gesehen, damals in Bezug auf den Krieg in der Ukraine. Diesmal ist das Thema jedoch mehr mit der Natur und dem Spirituellen verbunden. Die Entwürfe erinnern an Tiere mit natürlichem Panzer, wie beispielsweise ein Beuteltier oder ein eingerollter Igel, und erinnern mit „beruhigenden Formen, in die man sich hineinkuscheln kann“ an Winterschlaf. Meditative Muster bieten Ruhe und machen die hektische Zeit, in der wir jetzt leben, erträglicher.

Sanftheit kann auch auf extremere Weise ausgeführt werden, wie bei Rick Owens. Strickwaren sind in diesem Trend wichtig und bieten die weiche ‘Rüstung’, auf die sich Boland bezieht. Auch mit Fell- und Haarimitaten - immer in faux Form – wird überhaupt viel gespielt. Das Thema wird auch durch robuste Materialien ausgedrückt, die an Beton erinnern, aber sanft fallen. Diese Unterform des Trends fällt also mit einer Wiederbelebung des Brutalismus in der Architektur zusammen, erklärt Boland. Deutlich zu sehen ist dies im folgenden Louis-Vuitton-Entwurf, wo laut Boland rohe Qualitäten mit Raffinesse kollidieren.

Bottega Veneta H/W 23 Ready to Wear Show in Mailand (links), Hermès H/W 23 Ready to Wear-Show in Paris (rechts). Bild: Launchmetrics Spotlight.
Rick Owens H/W 23 Ready to Wear Show in Paris. Bild: Launchmetrics Spotlight.

Natürlich vs. Magisch: Die Verzauberung der natürlichen Intelligenz

Für den Sommer 2024 sagte Boland das Trend-Thema „Anbruch der Symbiose“ voraus, bei dem die Wertschätzung der Natur in der Mode unter anderem durch ein Revival des Jugendstils zum Ausdruck kommt. In den letzten Monaten verlagerte sich der Schwerpunkt der Faszination für das Natürliche auf Aspekte der Natur, die der Mensch nicht beeinflussen kann. Man denke nur an die komplexen Muster von Flechten oder an Nordlichter. Damit wird auch das Interesse an der Mystik geweckt, die Naturlandschaften durch Mythen und Sagen in sich tragen. Visuell manifestiert sich dies in fließenden und eleganten Mustern, die niemals regelmäßig sind. Die angesprochenen Moos- und Waldlandschaften haben manchmal etwas Märchenhaftes, eine Atmosphäre, die sich in den Entwürfen widerspiegelt, wie bei Thom Browne. Flechten als Inspirationsquelle sind sowohl bei Y/Project als auch bei Sacai und Altuzarra zu finden. Blumarine und Proenza Schouler spielen mit der Unregelmäßigkeit von Steinmustern.

Y/Project H/W 23 Ready to Wear Show in Paris (links), Altuzarra H/W 23 Ready to Wear Show in New York (rechts). Bild: Launchmetrics Spotlight.
Blumarine H/W 23 Ready to Wear Show in Mailand (links), Proenza Schouler H/W 23 Ready to Wear Show in New York (rechts). Bild: Launchmetrics Spotlight.
Acne H/W 23 Ready to Wear Show in Paris (links), Eckhaus Latta H/W 23 Ready to Wear Show in New York (rechts). Bild: Launchmetrics Spotlight.

Alles in allem scheint es im Vergleich zu früheren Saisons mehr Raum für Feierlichkeiten und Ruhe zu geben. Kurzum, die Themen für den Winter 24/25 geben Hoffnung für die Zukunft. Und weil es um symbiotische Widersprüche geht, stellte Boland zu Beginn ihres Vortrags fest: „Designer:innen und Künstler:innen sind die Pionier:innen des Zeitgeistes. Sie reagieren auf das, was geschieht, aber sie zeigen auch, wohin wir gehen.”

Dieser Artikel wurde auf FashionUnited.nl veröffentlicht. Übersetzung und redaktionelle Bearbeitung: Barbara Russ

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