CPHFW Talent: Latimmier thematisiert Burnout auf dem Laufsteg
Wird geladen...
Für die Herbst/Winter-Saison 2023/24 präsentierte die aufstrebende finnische Marke Latimmier, die bei der Copenhagen Fashion Week als Talent ausgezeichnet wurde, eine neue Variante der traditionellen Laufstegshow. Der Gründer und Kreativdirektor Ervin Latimer fungierte dabei als Moderator.
Latimer, der die Marke 2021 gründete, begann die Show mit einer emotionalen Rede, in der er erklärte, dass er mit einem Burnout zu kämpfen habe und nicht einmal sicher gewesen sei, ob er seine dritte Kollektion mit dem Titel "Interlude" fertigstellen würde.
„Vor drei Monaten war ich mir nicht sicher, ob wir überhaupt eine neue Kollektion machen können. Ich hatte ein Burnout, denn wie die meisten von uns wissen, ist es so hart, in dieser Branche zu arbeiten, vor allem mit begrenzten Mitteln“, sagte Latimer. „Ich bin sehr stolz, dass ich Ihnen heute eine Kollektion zeigen kann, aber ich habe diese Kollektion auch als Hommage an all die jungen und aufstrebenden Designer:innen da draußen gemacht, die vielleicht kämpfen oder nicht sicher sind, ob sie es schaffen können – diese Kollektion ist für euch.“
Nach seiner Rede stellte Latimer jedes Modell und jeden Look seiner zehnteiligen Kollektion vor, die er als eine kuratierte Auswahl an Einzelanfertigungen und Unikaten beschrieb. Sie alle befassten sich mit Handwerkskunst und Technik.
„Mit dieser Kollektion wollen wir zeigen, dass wir lieber weniger machen und bei dem, was wir kreieren, in die Tiefe gehen“, erklärt Latimer in den Shownotizen. „In unserem Fall stellt dieses Zwischenspiel eine Gelegenheit dar, sich neu zu organisieren, nachzudenken und sich auf den nächsten Akt vorzubereiten, der unsere Reise zur Neudefinition von Männlichkeit ist.“
Die Kollektion, für die die Marke sieben Wochen benötigte, hinterfragt die Vorstellung der Performativität von Geschlecht mit entspannten, dekonstruierten Schnitten und aussagekräftigen Basics, von einem kobaltblauen Mantel, der mit einer passenden, weich fallenden Hose gestylt wurde, bis hin zu Strickwaren mit Häkeldetails und einem Hosenrock mit Nadelstreifen.
Latimiers Kollektion umfasst in dieser Saison auch zwei Kollaborationen. Die erste ist eine Zusammenarbeit mit der in Helsinki lebenden schweizerisch-haitianischen Künstlerin Sasha Huber, die die gedruckten Muster auf einem plissierten Kleid und einem Maßanzug entworfen hat. Außerdem gibt es handgefertigte Taschen in Zusammenarbeit mit der finnischen Designmarke Mifuko. Die Taschen wurden aus Produktionsabfällen hergestellt, die aufgrund von Formveränderungen und Webfehlern auf natürliche Weise entstehen und vom Latimmier-Team upgecycelt wurden.
Ein Gespräch mit Ervin Latimer, Kreativdirektor der aufstrebenden finnischen Marke Latimmier
Vor der H/W23/24-Präsentation sprach FashionUnited mit Latimer darüber, warum Nachhaltigkeit so wichtig für seine Marke ist, über die Inspiration für seine Kollektion und seine Hoffnungen für die Zukunft.
Was war Ihr Ausgangspunkt für diese Kollektion?
Mit dieser Kollektion führen wir neue Elemente ein, darunter Einzelanfertigungen und Einzelstücke. Mir war von Anfang an klar, dass diese Kollektion kompakter und intimer sein wird und sich auf die Handwerkskunst, den Umgang mit den Materialien und die Silhouette konzentriert.
Wir haben auch eine aufregende Zusammenarbeit mit Sasha Huber, einer in Finnland lebenden schweizerisch-haitianischen Künstlerin. Ihre Arbeit und die Themen, die sie in ihrer Arbeit diskutiert, wie zum Beispiel die Politik der Zugehörigkeit, haben diese Kollektion sehr beeinflusst.
Was bedeutet Nachhaltigkeit in der Mode für Sie?
Es bedeutet mir sehr viel, auch wenn das Wort Nachhaltigkeit aufgrund von Greenwashing leider viel von seiner Kraft verloren hat. Für Latimmier bedeutet Nachhaltigkeit nicht nur ökologische Nachhaltigkeit, sondern auch soziale Nachhaltigkeit in der Art und Weise, wie wir in unserer Branche arbeiten.
Als kleine aufstrebende Marke ist es von besonderer Bedeutung, dass wir vom ersten Tag an nachhaltige Arbeitsweisen in der Modebranche praktizieren, damit sie in unserer Zukunft ganz selbstverständlich umgesetzt werden. In diesem Sinne ist ökologische Nachhaltigkeit natürlich enorm wichtig und ich bin stolz darauf, sagen zu können, dass etwa 40 Prozent der verwendeten Materialien in unserer nächsten Kollektion recycelten oder upgecycelten Ursprungs sind und weitere 15 Prozent aus zertifizierten Bio-Materialien bestehen. Der Rest, auch wenn er nicht bio-zertifiziert oder recycelt ist, besteht aus Naturfasern wie Wolle, Seide und Leder, und weniger als ein Prozent ist auf Basis von Erdöl hergestellt.
Wie setzen Sie nachhaltige Praktiken in Ihren Designs um?
Abgesehen von nachhaltigen und langlebigen Materialien spielen wir viel mit Designs, die sich dem Körper anpassen. Wir wollen sicherstellen, dass sie so vielen Körpertypen wie möglich passen. Das zeigt sich in mehreren Designs unserer neuen Kollektion.
Wir haben uns in dieser Kollektion auch sehr auf das Thema Abfallvermeidung konzentriert, indem wir die Schnittabfälle, die wir erzeugen, in den Designs selbst verwenden oder indem wir Stücke entwerfen, die keinen oder fast keinen Schnittabfall produzieren. Außerdem befinden wir uns derzeit in einem langwierigen Prozess, in dem wir nach Wegen suchen, wie wir alle unsere Schnittabfälle nutzen und recyceln können, nicht nur in unserem Studio, sondern auch in unseren Fabriken.
Zu guter Letzt – und ich weiß, dass es ein Klischee ist – versuchen wir, die Bedeutung von gutem und praktischem Design zu betonen, das im echten Leben funktioniert und lange Zeit hält.
Wie würden Sie die Ästhetik Ihrer Marke beschreiben?
Die Ästhetik von Latimmier ist vom Schneiderhandwerk inspiriert und entspannt, mit einer Prise Sinnlichkeit und Verführung. Unsere Designsprache entspringt der Geschichte traditioneller und normativer westlicher Männermode und der Art und Weise, wie wir diese Codes neu interpretieren und in eine neue Männlichkeiten umwandeln.
Warum ist es für Sie wichtig, eine Marke zu haben, die queere Menschen und People of Color unterstützt?
Als Künstler:in neigt man dazu, die Realität zu spiegeln und durch diesen Spiegel auch eine Neue zu schaffen. Ich bin ein queerer POC-Designer, der in einem überwiegend weißen Land – in Finnland – arbeitet. Es versteht sich also von selbst, dass ein großer Teil meiner Arbeit darin besteht, eine Realität zu schaffen, in der ich, und Menschen wie ich, sich selbst sehen können. Neben meiner Designarbeit engagiere ich mich auch viel im Bereich Kultur.
Es ist für mich entscheidend, dass ich mich in diesen Positionen auch darauf konzentriere, Möglichkeiten für alle zu schaffen, die vielleicht nicht als Teil der Norm angesehen werden, sei es, wenn ich an einer Beratungsgruppe für ein neues Kulturprojekt teilnehme oder als Gastdozent für eine jüngere Generation von Kreativen in Institutionen wie Universitäten oder Museen tätig bin.
Vor Latimmier habe ich als leitender Redakteur für Ruskeat Tytöt (Brown Girls auf Englisch) gearbeitet, eine unabhängige Online-Publikation, die sich dafür einsetzt, die Perspektiven von Women of Color in den finnischen Medien in den Mittelpunkt zu stellen und zu normalisieren. Und glücklicherweise bin ich nur einer von vielen Kreativen mit dieser Denkweise in meinem geliebten Heimatland.