Damenmode im Wandel: Stilbrüche und maskuline Einflüsse im Fokus für Herbst/Winter 2024
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Die Damenmode holt auf. Ein Satz, der zunächst ungewöhnlich klingen mag. Tatsächlich zeigt sich laut Carl Tillessen vom Deutschen Mode-Institut (DMI) derzeit aber etwas, das in der Gesellschaft schon eine ganze Weile im Gange ist - und das auch in der Herrenmode: tradierte Geschlechterrollen und binäres Denken werden infrage gestellt, Vorstellungen von typischer Männlichkeit und Weiblichkeit aufgebrochen.
„Männer haben zunächst angefangen, Farben zu tragen, die traditionell eher feminin gelesen werden“, sagt Tillessen. Rosa etwa, Violett- und Nudetöne. „Und dann auch weiblich konnotierte Muster, wie Blumenprints.“ Dazu kommen Perlenschmuck, Nagellack – und nun auch vermehrt glänzende, fließende Materialien, angedeutete Volants.
Traditionell männlich assoziierte Elemente – das ist in der Damenmode doch nichts Neues, mögen Sie nun einwenden. Schließlich war schon Marlene Dietrich im Smoking zu sehen. Der Anzug? Längst ein Klassiker weiblicher Businessoutfits. Die Work-Wear-Cordhose oder die derben Boots? Überhaupt nicht der Rede wert.
Doch ganz so einfach ist es nicht. „In der Vergangenheit war es immer so, dass Frauen das durch etwas Ultra-Feminines ausbalanciert haben im Styling“, sagt Tillessen. Motorradstiefel wurden zum romantischen Blümchenkleid getragen, Lederjacken zum Spitzentop, Boyfriend Blazer mit glitzernden Ketten kombiniert. Und zum Hosenanzug trug man zumindest Pumps oder eine schicke Handtasche.
Von Asphaltgrau bis Schlamm
Gerade das ändert sich dem Experten zufolge derzeit. „Was wir jetzt sehen, ist, dass Frauen einfach von Kopf bis Fuß eher männliche konnotierte Stücke tragen“, sagt Tillessen. Also etwa ein Sweatshirt und eine Cordhose zu Motorradstiefeln und Lederjacke. Auf traditionell feminine Elemente wird verzichtet: „Der Look gleicht sich mit einer Radikalität an, die neu ist“, so der Modeexperte.
Zu sehen ist das auch bei den Farben, die derzeit eine Rolle spielen. Kalte Grautöne wie Betongrau und Asphaltgrau etwa, sagt Tillessen. Oder Khaki und andere militärisch anmutende Schlammtöne. „Die wurden früher einfach von vornherein nicht in der Frauenmode eingesetzt, weil sie zu männlich sind.“ Jetzt bestimmen sie nicht selten das gesamte Outfit. „Das Gleiche gilt für bestimmte Materialien wie steife Leder, kratzige Tweeds und Raw Denim“, so der Experte. „Alles Dinge, von denen es nur eine weichgespülte Variante für Frauen gab.“
Weniger Hoodie mehr Raffinesse
Dazu passt auch einer der Schuhtrends, den Claudia Schulz vom Deutschen Schuhinstitut (DSI) – neben Biker Boots und Reiterstiefeln – für den Herbst und Winter in der Damenmode ausmacht: „Typisch maskuline Halbschuhe wie Brogues und Budapester.“ Schuhe also, die nicht nur einen Platz in klassischen Männerschuhschränken haben. Sie liegen auch weit weg vom Sneakers-Hoodies-T-Shirt-Style der vergangenen Jahre.
Die Mode wird derzeit wieder „ein bisschen reifer und erwachsener“, sagt Madeline Dangmann, Senior Fashion Editor bei Glamour Germany. Der Trend entfernt sich von der bislang omnipräsenten Ästhetik der Nullerjahre, dem Y2K-Style mit seinen bauchfreien Crop Tops, Spaghettiträgern und ausgewaschenen Jeans mit Schlag. „Wir sehen jetzt stattdessen einen Trend hin zu eleganter und anspruchsvoller Kleidung, zu gut geschnittenen Kostümen, maßgeschneiderten Mänteln, schickeren Handtaschen und eleganteren Schuhen.“
Neben der Aufweichung binärer Vorstellungen von Mode ein weiterer großer Trend: Rückbesinnung auf die Kunst des Tailoring, nennt es DMI-Experte Tillessen. Und zwar nicht nur mit Blick auf den klassischen Anzug oder das Kostüm. „Es geht auch viel um Raffinesse im Detail bei den Frauen. Um raffinierte Drapierungen, sehr aufwendige Rüschungen und Raffungen, Materialien mit interessanten Strukturen, mit eingewebten Mustern, mit Transparenzen, mit Oberflächeneffekten, mit spektakulärem Volumen in den Schnitten.“
Rückkehr eines Klassikers
Officewear-Elemente wie Nadelstreifen, Krawatten oder Blazer mit extrabreiten Schultern gehören zum neuen erwachsenen Stil. Aber auch das Comeback eines Klassikers, der in den vergangenen Jahren eher zum Staubfänger im hinteren Eck des Kleiderschranks mutiert sein dürfte: der Cardigan.
Zurück kommt er, so sagt es Dangmann, einmal in der langen XXL-Version, zugeknöpft oder offen getragen. „Vielleicht sogar mit einem engen Cardigan darunter, sodass man beide übereinander trägt.“ Oder in der figurnahen Twin-Set-Variante. Mit Zopfmuster etwa, wie in der Herbst-/Winter-Kollektion von Alejandra Alonso Rojas – geschlossen getragen und im Zusammenspiel mit glänzend braunem Midi-Rock. Oder im farbenfrohen Color-Blocking-Look, wie etwa bei Prada - in Lila und zum roten Oberteil.
Rote Welle
Überhaupt Rot: Für den Stilberater Andreas Rose eine herausragende Modefarbe im Herbst und Winter. „Hermès, Courrèges und Balmain zeigten in ihren Kollektionen den Farbtrend allover, rote Mäntel gab es bei Antonio Marras, Balenciaga oder Stella McCartney.“ Und wer mit dem Farbton unsicher ist, trägt Rot einfach nicht direkt am Gesicht, rät Rose. „Oder wählt rote Accessoires als Farbtupfer.“
Schuhe etwa. Hier setzt Rot, so heißt es im Trendbericht des Deutschen Schuhinstituts, „starke Signale: knallig oder als klassisches Oxblood. Das ist einfach eine Farbe, die braucht es, um ein bisschen Fröhlichkeit in die Mode zu bringen“, sagt Claudia Schulz vom DSI. „Auch, weil sehr viele dunkle Töne wie Schwarz und Grau in der Oberbekleidung kommen.“
Doch es müssen nicht unbedingt rote Stiefel als Farbtupfer sein – oder für die wärmeren Herbsttage rote Ballerinas. Moderedakteurin Madeline Dangmann sieht auch rote Handtaschen im Trend, in dunklem Kirschrot und aus Leder durchaus auch als langfristigere Investition, will man sein Outfit in diesem Herbst modisch, aber möglichst zeitlos aufwerten.
Ran an den Kragen
Viel zu sehen ihr zufolge außerdem: Glossy-Leder. Also (Kunst-)Lederjacken mit glänzendem Finish oder Glossy-Leder-Röcke, wie etwa bei Ferragamo oder Hermès. Und: auffällige Krägen. Solche, die Oberteile scheinbar verkehrt herum angezogen wirken lassen, oder voluminöse Stehkrägen. „Außerdem kommen die großen Ruffle-Krägen aus den Siebzigern mit XXL-Rüschen zurück», sagt Dangmann. Überhaupt sei die Boho-Ästhetik der 70er-Jahre derzeit im Aufwind. „Mit viel Transparenz, mit vielen Schluppenelementen an Blusen, mit XXL-Rüschen, vielen Erdtönen, aber auch Cape-Mänteln.“
Das Cape sieht auch Andreas Rose im Trend. In der neuen Saison hat es „seinen bürgerlichen Ruf“ dem Stilberater zufolge zugunsten experimentellerer Varianten abgelegt – zu sehen sei das etwa bei Bottega Veneta, Fendi oder Rabanne. Mit raffinierten Schultern verschönern die Stücke auch einfache Alltagslooks. (dpa)