Die Zukunft der Fashion Week: Neue Fashion-for-Good-Ausstellung nimmt Modewochen unter die Lupe
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Eine Modewoche ist traditionell ein deutlicher Indikator dafür, wohin sich die Modebranche entwickelt. Doch mit all den digitalen Innovationen der letzten Jahre ist die Modewoche, wie wir sie kennen, längst nicht mehr das, was sie einmal war. Und das wirft Fragen auf, denn was sagen uns all die Veränderungen der letzten Jahre über die Zukunft der Mode? Das Fashion For Good Museum in Amsterdam beantwortet diese Fragen mit seiner neuen Ausstellung „Fashion Week: A New Era“, in der es Besucher:innen durch die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Modewoche führt.
FashionUnited schaute für einen exklusiven Rundgang vorbei und sprach mit Pionier:innen der Modewoche der Zukunft: Evelyn Mora (Gründerin der Helsinki Fashion Week), Darshana Gajare (Head of Sustainability bei FDCI x Lakmé Fashion Week) und Jaspreet Chandok (Head of Lifestyle Businesses bei Rise Worldwide, der Muttergesellschaft der Lakmé Fashion Week). Sie teilten ihre Gedanken darüber mit FashionUnited, was wir von der Zukunft der Modewoche erwarten können und welche Bedeutung physische Modeschauen angesichts der Digitalisierung haben werden.
Pionier:innen der Modewoche teilen ihre Erwartungen für die Zukunft
Die Helsinki Fashion Week (HFW) und die indische FDCI x Lakmé Fashion Week (LFW) haben als relative Newcomer in den letzten Jahren international Anerkennung für ihre führende Rolle bei der Veränderung der Modewochen, wie wir sie kennen, erhalten. Die Helsinki Fashion Week feierte ihr Debüt im Jahr 2016 und folgte (nach eigenen Angaben) bald mit einer Reihe von bisher unbekannten Nachhaltigkeitsinitiativen. Im Jahr 2018 kündigten sie an, Leder komplett aus ihrem Programm zu verbannen, und veranstalteten ihre Modewoche in ihrem selbst ernannten „Eco Village“, in dem Nachhaltigkeit tatsächlich überall berücksichtigt wurde: vom elektrischen Transport über Solarenergie und Catering bis hin zu Essensresten und trinkbarem, gereinigtem Meerwasser. 2019 war das Jahr, in dem sie den „urbanen Vorhang“ entwickelte, der ein Schloss in Helsinki mit einer Oberfläche überzog, die speziell dafür ausgelegt war, CO2-Partikel und Schadstoffe aus der Luft abzufangen und sie dann durch Algen als neuen Sauerstoff ins Schloss zu pumpen, um es mit frischem Sauerstoff zu versorgen. Im Jahr 2020 fand eine komplett digitale 3D-Modewoche in einem „Digital Village“ statt. Außerdem sind die Veranstalter:innen jedes Jahr außerordentlich wählerisch, wen sie zu ihrer Modewoche zulassen und wen nicht.
Die indische FDCI x Lakmé Fashion Week leistete Pionierarbeit, indem sie einen ganzen Tag speziell der nachhaltigen Mode widmete und den saisonalen Kalender abschaffte. Darüber hinaus schuf sie einen digitalen Raum, um ihre Modewoche während der Corona-Pandemie zu präsentieren und arbeitete für ihre Initiative NEXA Digital Couture mit sechs indischen Designer:innen zusammen, um 3D-Mode zu entwerfen und eine Technologie zu optimieren, die es Verbraucher:innen ermöglicht, ein Kleidungsstück virtuell anzuprobieren, bevor sie es tatsächlich kaufen. Die Werke beider Modewochen spielen daher in der neuen Ausstellung des Fashion For Good Museums eine wichtige Rolle.
Die Vergangenheit: Ursprünge der Modewoche und Aktivismus als Kunstform
Die Ausstellung beginnt chronologisch mit einer Zeitleiste, die die Anfänge der Modewoche darstellt: 1943 in New York, um genau zu sein. Die Wechselwirkung zwischen der Modewoche und den gesellschaftlichen Entwicklungen wird sofort deutlich. Diese erste Ausgabe wurde von der US-Amerikanerin Eleanor Lambert ins Leben gerufen, da die führenden europäischen Designer:innen zu dieser Zeit aufgrund des Zweiten Weltkriegs gezwungen waren, ihre Aktivitäten zu unterbrechen, was eine rege Nachfrage nach Präsentationen amerikanischer Designer:innen zur Folge hatte. Bald darauf folgten die Modewochen in Florenz und Mailand und schließlich 1973 die erste internationale Modewoche in Paris.
Im Ausstellungsbereich „Vergangenheit“ des Museums kann man die Entwürfe großer Designer:innen aus nächster Nähe bewundern. Jedes dieser Designs vermittelt etwas über den traditionellen Charakter der Modewoche und die Modebranche der Vergangenheit. So gibt es zum Beispiel ein Kleid von Balenciaga aus dem Jahr 1966, das aus Straußenfedern gefertigt ist, was heute undenkbar wäre.
Ein ausgestelltes Moschino-Kleid zeigt, dass einige führende Designer:innen sich bereits im zwanzigsten Jahrhundert über die umweltschädlichen Auswirkungen von Modeschauen Gedanken machten. In den 1990er Jahren weigerte sich der italienische Designer Franco Moschino, weitere Modeschauen zu veranstalten, weil sie seiner Meinung nach negative Auswirkungen auf die Umwelt hatten. Das war damals ein großer Schritt, vor allem, wenn man bedenkt, dass der Aktivismus in dieser Zeit oft nicht über eine Botschaft im physischen Design selbst hinausging, wie zum Beispiel bei Vivienne Westwoods Arbeit mit Slogans. Dies sorgte seinerzeit für großes Aufsehen. Doch während die Kunst als Wegbereiterin für den Wandel angesehen wurde, geht es jetzt um das Handeln.
Die Gegenwart: kritische Verbraucher:innen und ein 3D-Zugang
Heute würde ein bloßer Slogan nicht mehr ausreichen, um einen Akt des Aktivismus darzustellen. Der Druck der Klimakrise wächst und mit ihm die Kritik an belastenden Aspekten der Modeindustrie, wie das Arbeiten mit Saisonen, das schnelle Aufeinanderfolgen von Trends und die Überproduktion. Auch die mit der Teilnahme an einer Modewoche verbundenen Reisen werfen Fragen auf. Alles in allem schauen Verbraucher:innen in die Zukunft und sind noch kritischer geworden. Im Stockwerk mit dem Ausstellungsbereich zur Gegenwart ist ein auffälliger Unterschied zu den Entwürfen der „Vergangenheit“ zu erkennen: Innovationen mit aktivistischen Idealen werden vom Entwurf bis zur Produktion umgesetzt.
In diesem Raum werden auch die Initiativen HFW und LFW präsentiert. Besucher:innen können sich digitale Modenschauen unter anderem von der Helsinki Fashion Week, Tommy Hilfiger, The Fabricant, Botter und Ronald van der Kemp ansehen (und damit technisch gesehen auch besuchen). Sie können hier auch ihren eigenen Avatar erstellen.
Trotz der Tatsache, dass der Schwerpunkt in diesem Teil der Ausstellung auf digitalen und nachhaltigen Modewochen liegt, würde Mora gerne deutlichere Initiativen der großen Akteur:innen der Modewochen sehen: „Ich denke, es sollte viel nachhaltiger und innovativer sein. Die vier großen Modewochen (Paris, Mailand, London, New York, Anm. d. Red.) haben einige Anstrengungen unternommen - vor allem die London Fashion Week und der British Fashion Council -, aber der gesamte Monat der Modewochen ist nach all den Jahren immer noch derselbe. Ich denke, das derzeitige Konzept ist einfach und den Brancheninsider:innen vertraut, so dass kein dringender Bedarf für eine wirkliche Änderung besteht.“
Mora sieht die Verantwortung auch bei den Marken selbst: „Die Marken machen die fehlende Innovation der Modewochen oft durch ihr innovatives Storytelling und ihre Shows wett. Die Frage ist also, wo die Verantwortung liegt. Auch die Marken selbst müssen hier eine Rolle spielen“. Diese Idee hat die LFW mit ihrer Circular Design Challenge und dem Sustainable Fashion Day unterstützt. Die HFW hat es auch geschafft, die Messlatte für Designer:innen höher anzulegen, indem sie strenge Zulassungsbedingungen in Bezug auf Nachhaltigkeit festgelegt hat.
Die Zukunft der Fashion Week: Demokratie, Inklusivität und anhaltende Bedeutung für physische Zusammenkünfte
Aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen mit dem Digital Village geht Mora davon aus, dass die Mainstream-Modewochen irgendwann in das digitale Umfeld hineinwachsen werden. Aber es muss richtig gemacht werden, sagt sie. So steht sie beispielsweise der ersten Modewoche von Decentraland, die im vergangenen März stattfand, immer noch kritisch gegenüber: „Für mich war das keine Modewoche, sondern eine von der Mode inspirierte Veranstaltung, bei der eine große Gruppe von Menschen verschiedene Unternehmen im Zusammenspiel kennenlernte.“
„Physische Modewochen haben zwar ihren eigenen Charme, wenn es darum geht, Menschen von Angesicht zu Angesicht zu treffen, Kontakte zu knüpfen und den taktilen Aspekt des Anfassens und Fühlens zu genießen, aber sie sind auch eine große Belastung für die Umwelt. Natürlich gibt es Möglichkeiten, sie in grüne Veranstaltungen umzuwandeln, aber digitale Aktivierungen sind ein vielversprechender Bereich, um eine größere Reichweite zu erzielen“, fügt Chandok hinzu.
Über die Rolle der physischen Modenschau in der Zukunft sagt Mora: „Gesellschaftliche Zusammenkünfte werden sehr wichtig und immer relevant sein. Ob wir im Kreis sitzen und den Models beim Hin- und Herlaufen zusehen, ist eine andere Geschichte.“ Chandok bestätigte: „Wir glauben, dass die physischen Modewochen bleiben werden, aber digitale Innovationen können dazu beitragen, den CO2-Fußabdruck der Veranstaltungen zu reduzieren, da sie persönlich exklusiver und durch die größere digitale Reichweite inklusiver werden.“
Für die Zukunft der Modewochen sehen sowohl Mora als auch Chandok mehr Transparenz und Autorität für Verbraucher:innen voraus sowie mehr Nachhaltigkeit. Chandok informierte uns zum Beispiel, dass die Modewoche der Zukunft „integrativer und demokratischer“ sein werde. „Ich denke, dass wir in Zukunft anstelle von Modeschauen gesellschaftliche Veranstaltungen sehen werden, bei denen das Wissen mehr von unten nach oben geht, von den Verbraucher:innen oder der Zielgruppe zur Marke. Hier geht es nicht unbedingt um die nächste Kollektion der Designer:innen, sondern darum, was das Publikum tragen wird. Das ist ein bisschen wie beim Wählen: Die Marken werden das ganze Jahr über Kampagnen durchführen, und die Menschen werden sich aussuchen, wen sie unterstützen“, ergänzte Mora.
Diese Vorhersage erinnert an die Rolle der Straßenfotografie, die auf den Modewochen in der ganzen Welt stattfindet und deren Ergebnisse inzwischen als ebenso inspirierend angesehen werden wie die Modenschauen selbst. Berichte über die auf den Straßen gesehene Mode finden sich in vielen Modemedien, und Scott Schumans Straßenfotografien sind jetzt im Victoria & Albert Museum in London zu sehen beziehungsweise in der Fashion For Good Ausstellung.
Was ihre eigenen Zukunftspläne angeht, so teilt Gajare von LFW mit, dass der Schwerpunkt auf der Durchführung von abfallfreien, klimaneutralen Veranstaltungen liegt, bei denen sie hoffen, die Branche insgesamt zu ähnlichen Maßnahmen zu inspirieren. Laut Mora könnte der künftige Schwerpunkt von HFW in einer ganz neuen digitalen Herausforderung liegen: der Verwaltung unserer eigenen Daten. „Wir sind besorgt darüber, wie Technologien in Zukunft eingesetzt werden, wenn es um unsere Privatsphäre geht. Ich bin der Meinung, dass wir alle irgendwann die Verantwortung für unsere persönlichen Daten übernehmen sollten und dass dies durch eine Art Daten-Concierges, die wir für ihre Dienste nutzen können, Gestalt annehmen wird. Ähnlich wie Datenhändler, die uns Zugang zu unseren Daten gewähren, um uns Zugang zu den Informationen, Produkten und Dienstleistungen zu verschaffen, an denen wir wirklich interessiert sind“.
Alles in allem wird die Zukunft der Fashion Week also ein Zusammenspiel von physisch und digital sein, wobei der physische Aspekt neue Formen annimmt und sowohl Verbraucher:innen als auch Besucher:innen der Modewoche mehr Mitspracherecht erhalten. Entwicklungen, auf die man sich freuen kann.
Die Ausstellung „Fashion Week: A New Era“ ist bis Oktober 2022 zu sehen. Das Fashion for Good Museum (Rokin 102) in Amsterdam ist von Mittwoch bis Montag von 10.00 bis 18.00 Uhr geöffnet.
Dieser Artikel erschien ursprünglich auf FashionUnited.nl. Übersetzt und bearbeitet von Simone Preuss.