Ein Gefühl von Freiheit und Entdeckung: Die Taipei Fashion Week bestimmt ihre Präsenz kontinuierlich weiter
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Taiwan ist seit langem als wichtige Säule der globalen Textilindustrie bekannt. Doch wenn es darum geht, seine eigenen Designer:innen international zu etablieren, steht das Land vor Herausforderungen, die durch bereits etablierte Modemärkte und ein überfülltes Spielfeld entstehen. Mit der Taipei Fashion Week (TPEFW) hofft Taiwan jedoch, diese Hürden zu überwinden.
In ihrem sechsten Jahr befindet sich die Veranstaltung noch immer in einer Art Entwicklungsphase, in der sie ihren Platz als ernstzunehmender Mitbewerber:innen unter den Modewochen definiert. Im April 2024 begann eine Übergangsphase, in der die neu ernannte stellvertretende Kulturministerin Sue Wang die Bedürfnisse des Marktes analysierte und entsprechend handelte. Bei der neuesten Ausgabe, die vom 16. bis 22. Oktober stattfand, zeigten sich bereits erste Ergebnisse ihrer Bemühungen in Form eines umfangreicheren Programms – ein Zeichen für das steigende Interesse der Designer:innen an der Teilnahme.
Bekannte Marken wie Liyu Tsai und Gioia Pan teilten sich den Laufsteg mit neueren Labels wie Hansen Atelier und Baron Lees Dleet. Viele prominente Namen kehrten nach ihrer Teilnahme an internationalen Modewochen ins Programm zurück. So präsentierte Seivson von Tzu Chin Shen nach der Eröffnung eines japanischen Hauptsitzes und der Teilnahme an der Tokyo Fashion Week wieder in Taiwan eine Pop-up-Store-Show und betonte im Gespräch mit FashionUnited, dass es ihr wichtig sei, „nicht abwesend zu sein beim Wachstum der TPEFW, weil dies [ihr] Land ist“. Dieses Gefühl war während der gesamten Woche spürbar, insbesondere bei den jungen Designer:innen, auf die die TPEFW setzt.
Was die Besucher:innenzahlen betrifft, gab es weiterhin Herausforderungen. Die Überschneidung mit der Taipei Innovative Textile Application Show führte dazu, dass Einkäufer:innen und Branchenexpert:innen sich zwischen den parallel stattfindenden Modewochen in Taipeh, Riad und Shanghai entscheiden mussten. Letztere hatte prominente Slots für renommierte Marken wie Vivienne Westwood und Moncler, was die meiste Online-Aufmerksamkeit auf sich zog.
Auch Taipeh setzte in dieser Saison auf internationale Namen: das französisch-italienische Label Pierre Cardin legte einen Zwischenstopp in der Stadt ein, um seine SS25-Kollektion zu präsentieren. Dennoch betonten die Organisatoren, dass Taipeh vor allem lokale Erfolgsgeschichten fördern wolle, während es eine Identität zu finden sucht, die die weltoffene und inklusive Herangehensweise der Region an die Mode widerspiegelt.
Internationale Namen und lokale Wurzeln: Taipeh bleibt seiner Identität treu
„Taiwan ist eine Einwanderungsgesellschaft, eine Mischkultur und sehr inklusiv.”, so Kulturministerin Wang in einem Gespräch mit FashionUnited über Taiwans Werte. „Wenn wir darüber nachdenken, welches Bild von Taiwan wir vermitteln wollen, müssen wir auf unsere Geschichte zurückblicken. Obwohl wir die Modeidentität Taiwans noch nicht genau definieren können, können wir zumindest einige Konzepte vermitteln. Erstens ist Taiwan frei, daher haben wir das Recht, unsere eigene Mode zu kreieren. Zweitens respektieren wir Vielfalt. Wir betonen beispielsweise die Geschlechtervielfalt, sodass die Freiheit der Vielfalt etwas ist, das wir in der Mode ausdrücken wollen.“
Diese Intention zeigte sich bereits in der ersten Show der Woche von Storywear, einem „Zero-Waste“-Label, das vor sechs Jahren von der Designerin Chen Guan-Bai gegründet wurde. Die Marke selbst hat sich zu einem Sinnbild der Taipei Fashion Week entwickelt, da sie repräsentiert, wofür die Modebranche in Taipei steht: nachhaltige Produktion, junge Marken und eine kulturelle Offenheit. Die Show war ein wahres Spektakel auf der Dachterrasse des W Hotels und präsentierte prominente Persönlichkeiten, Einblicke hinter die Kulissen und mehrere Auftritte von Dragqueens. Im Mittelpunkt standen jeansbasierte Designs, die eine Vielzahl technischer Details zeigten, wie zum Beispiel die Verwendung von taiwanesischem Indigo-Farbstoff, Siebdruck und Garnweberei.
Das Label nahm außerdem an der Eröffnungszeremonie der TPEFW, „Taiwan Type Illustrated Fashion Book“, teil und war eines der sechs ausgewählten Designer:innen-Labels für diese Show. Hinter dem Konzept stand die Idee, aufstrebende taiwanesische Designer:innen mit Grafikdesigner:innen zusammenzubringen und so die wachsende Popularität des Graphic-IP-Marktes in Taiwan zu nutzen. Dieses Konzept spiegelte eine frühere Mission von Wang wider, die sie in der letzten Saison gegenüber FashionUnited ansprach: mehr Lokales in die Fashion Week zu integrieren und Designer:innen zur Zusammenarbeit mit anderen kulturellen Branchen Taiwans zu ermutigen. Das Ergebnis war eine kuratierte Auswahl an kollaborativen Designs, die zu den stärksten Shows der Woche gehörten und sowohl die klare Markenidentität als auch die Stärke der heimischen Grafikdesign-Talente zeigte.
Charles Tang, von Tangtsungchien, gehörte ebenfalls zu den Designer:innen der Eröffnungsshow. Der junge Designer, der zuvor im Strickwarenbereich bei Loewe ein Praktikum absolvierte und nun sein eigenes Studio in Taichung betreibt, wurde mit der Grafikdesignerin Xia Xian zusammengebracht, die den „alltäglichen“ taiwanesischen Lebensstil in farbenfrohe Drucke übersetzt. „Es war ihr Universum“, sagte Tang über die von Xian bereitgestellten Grafiken. „Es war eine Fantasie, inspiriert von einem normalen Tag. Die kleinen Dinge auf der Straße, die niemand bemerkt, und die Umgebung der Stadt. Die Kollektion drehte sich um genau diese Elemente und darum, die Arbeit der Künstlerin zu respektieren, indem wir all diese Details vergrößert dargestellt haben.“
Im Anschluss an die Show wurden die Stücke vom Laufsteg gleich nebenan in einem Ausstellungsraum, „Taiwan Type Super Swag“, ausgestellt, wo Models vor den Gästen posierten und einen genaueren Blick auf die Kleidungsstücke ermöglichten. Der Erfolg dieses Konzepts, das während der gesamten Modewoche angewandt wurde, zeigte sich sofort, denn die Besucher:innen strömten aus der Eröffnungsshow direkt in die Ausstellung, die sich schnell mit begeisterten Besuchern füllte. Hier war es auch möglich, bestimmte Artikel aus den Kollaborationen wie Taschen, T-Shirts und Magnete zu erwerben, was die Absicht verdeutlichte, die Kreativen mit finanziellen Mitteln zu unterstützen und ihre Produkte direkt einem zahlenden Publikum vorzustellen.
Mode erobert Einkaufsviertel, um näher am Publikum zu sein
Die Eröffnungsshow war nicht die einzige groß angelegte Produktion. An einem Abend übernahm die Fashion Week das belebte Einkaufsviertel Xinyi für die "cross-border"-Show von Vogue Fashion’s Night Out, bei der sechs weitere renommierte taiwanesische Designer:innen ihre Looks im Rahmen einer viel besuchten Performance präsentierten. Wichtige politische Persönlichkeiten waren anwesend, um ihre Unterstützung zu zeigen, ebenso wie lokale Prominente, die sowohl im Publikum als auch auf dem Laufsteg zu sehen waren, während die Kollektionen der sechs ausgewählten Designer über die Bühne liefen. Die Idee der Veranstaltung war es, die Modewelt dem breiten Publikum näherzubringen und gleichzeitig frische Perspektiven aufzuzeigen, was diese Branche wirklich ausmacht.
Unter den präsentierenden Designer:innen waren Claudia Wang, eine regelmäßige Teilnehmerin der London Fashion Week, und Justin Chou von Just In XX, ein ehemaliger Teilnehmer der New York Fashion Week und Designer der Olympia-Uniformen 2024 für Chinese Taipei. Während der Show stellte Chou seine nachhaltige, experimentelle Linie Luxxury Godbage vor, die recycelte und Vintage-Kleidung sowie Accessoires verwendet. Die Stücke sind inspiriert von den 16 Persönlichkeitstypen des Myers-Briggs-Typenindikators (MBTI). Jede Persönlichkeit wurde durch KI-generierte Daten analysiert, die dann die finalen Designs beeinflussten.
Für Chou ging es bei der Teilnahme an diesem Event, das bereits zum vierten Mal seine Marke präsentierte, um weit mehr als nur die Ausstellung seiner eigenen Kollektion. „Für uns ist diese Veranstaltung nicht nur eine Modeparty, sondern eine Plattform, um die kulturelle Vielfalt und kreativen Möglichkeiten Taipeis zu zeigen,“ sagte Chou im Interview mit FashionUnited. „Jedes Mal versuchen wir, das konventionelle Bild der Modebranche zu durchbrechen, indem wir uns nicht auf traditionelle Rahmenwerke beschränken. Stattdessen lassen wir uns von aktuellen gesellschaftlichen Themen oder Phänomenen inspirieren, die außerhalb der typischen Modewelt liegen.“
Tatsächlich spielten gesellschaftliche Themen eine große Rolle bei vielen Shows und flossen in Präsentationen ein, die, manchmal subtil, auf das unvermeidbare Thema politischer Spannungen hinweisen, welche Taiwans Gefühl der Freiheit potenziell bedrohen könnten. Bei Chow des Homme griff Designer Billy Chow dieses Thema auf und bot mit seiner Show eine eigene Interpretation an. Unter dem Motto „Invisible Victims“ (Unsichtbare Opfer) thematisierte er jene, die sich im Streben nach oberflächlichen Erscheinungen verlieren – eindrucksvoll dargestellt in einem beklemmenden Finale, bei dem die Models mit zugeklebten Mündern über den Laufsteg schritten.
Ray Chu hat trotz seiner zahlreichen Auftritte bei der Londoner Modewoche immer noch eine starke Verbindung zu seiner taiwanesischen Heimat, die er regelmäßig in seine Kollektionen einfließen lässt, so auch in seiner Zusammenarbeit mit dem Grafiker Michun bei der Eröffnungsshow.
Für SS25 nahm Chu Bezug auf die in ganz Südostasien verbreitete Illyri-Blume, die seiner Meinung nach einen Sinn für Widerstandsfähigkeit zeigt, der dem der Menschen in Taiwan ähnelt. „Wenn wir uns von all diesen Modewochen abheben wollen, denke ich, dass die Menschen in Taiwan oder die Regierung einen anderen Ansatz wählen sollten“, so Chu. „Der kulturelle Teil ist etwas Einzigartiges, so dass er sich abheben kann. Was wir schaffen, ist bereits Taiwan selbst, geboren aus der Leidenschaft der Taiwaner:innen.“
Bemühungen zur Stärkung der internationalen Präsenz einheimischer Marken tragen Früchte
Es muss erneut betont werden, dass Taiwans Modeidentität offenbar in der Freiheit liegt, die diese unabhängigen Designer:innen bei der Darstellung ihres eigenen Images genießen. Wäre es also möglich, dass die Modewoche anstatt zu versuchen, eine einheitliche Modeidentität zu definieren, vielmehr Wege finden sollte, um das bereits klare und eigenständige Bild zu fördern, das viele dieser Designer:innen für ihre Marken entwickelt haben?
Viele Designer:innen der TPEFW haben derzeit keine solide Basis, um ihre Produkte auf dem lokalen Markt zu verkaufen, und eine kontinuierliche Unterstützung in diesem Bereich ist bislang ausgeblieben. Jene, die es geschafft haben, ihr Publikum über die Grenzen Taiwans hinaus zu erreichen, wie INF und Seivson, waren in der Regel erfolgreicher darin, Einzelhandelspartner:innen in internationalen Märkten zu gewinnen. Um in diesem Bereich eine Veränderung herbeizuführen, präsentierte die Modewoche eine erweiterte Version ihres TPEFW Pop-up-Store-Konzepts in einem Kaufhaus, wo ausgewählte Looks aus früheren Kollektionen der Designer:innen vor Ort käuflich erworben werden konnten.
Neben solchen Initiativen ist es für die neuen Namen in der Branche ebenso wichtig zu verstehen, was Kund:innen in Taiwan im Vergleich zu internationalen Märkten suchen.
Seivsons Shen erklärte beispielsweise, dass ihr Ziel darin bestehe, in Taiwan einen gehobeneren Ready-to-Wear-Stil zu präsentieren, während sie auf dem japanischen Markt einen eher künstlerischen Ansatz verfolgt. Für Justin Chou werden die Aktivitäten in New York und Paris an die Präferenzen der Konsument:innen angepasst, wobei Farben als „auffälligster Unterschied“ genannt werden. Auch der Preis spielt eine Rolle. Viele Designer:innen stellten fest, dass lokale Kund:innen weniger bereit sind, Produkte zu den gleichen Preisen zu kaufen wie in anderen Ländern, was es schwierig macht, die Produkte im Rahmen der Geschäftskosten anzupassen.
Obwohl es weiterhin Lernmöglichkeiten gibt, können Taipehs Bemühungen nicht übersehen werden. Die Modewoche selbst wird durch die Zusammenarbeit zwischen der Stadtverwaltung Taipeh, dem Kulturministerium, dem Wirtschaftsministerium und weiteren Partnern wie Condé Nast und der Taipei Textile Federation organisiert. Diese Einheiten sind zwar unabhängig voneinander, spielen jedoch eine wichtige Rolle bei der Ausrichtung von Veranstaltungen, die nahtlos zusammenwirken, um das Gefühl einer umfassenden Modewoche zu vermitteln. Zwischen den Laufstegshows, Ausstellungen und der Business-Matching-Messe „Taipei In Style“ bemüht sich die TPEFW, nahezu alle Seiten der Branche zu unterstützen.
Eine der Strategien dabei ist die Erschließung sowohl von Business-to-Consumer- als auch Business-to-Business-Kanälen. So fand die Eröffnungsshow beispielsweise zweimal am selben Abend statt: Zuerst für Branchenprofis und anschließend für die breite Öffentlichkeit, die großes Interesse zeigte. Ein weiterer Ansatz besteht darin, kleineren Marken den Zugang zu Produktionsmethoden zu erleichtern, indem sie mit lokalen Rohstoffherstellern, einem der Hauptexporteure Taiwans, zusammenarbeiten, um in diesem Bereich neue Möglichkeiten zu schaffen. Während dies nur zwei der Ideen waren, die vom stellvertretenden Minister erwähnt wurden, gibt es viele Pläne für die Zukunft der TPEFW. Jetzt bleibt nur abzuwarten, was die Zukunft bringt.
Dieser übersetzte Beitrag erschien zuvor auf FashionUnited.com