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Ein Porträt der tunesischen Mode bei der Tunis Fashion Week 2022

Von Florence Julienne

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Mode|IN BILDERN
Yosra Sen. Bild: Florence Julienne

Vom 10. bis 12. November 2022 fand die Tunis Fashion Week statt, die die Kreativen der französischen, portugiesischen, ukrainischen, ungarischen und natürlich der tunesischen Modeszene miteinander verband. Diese dreizehnte Ausgabe des Events fand in Chott el-Jérid statt, 45 Minuten von der Stadt Tozeur entfernt, am Rande der Wüste. Die erinnerte an die Laufstege einiger renommierten Marken – Saint Laurents Show in der Wüste von Agafay, Jacquemus in der Salzwüste Salin-de-Giraud, Dior bald in Luxor – die Wüste scheint im Trend zu liegen.

Frederique Ducos und Maud Beneteau. Bild: Jeremie Leconte via pixelformula

Tunis Fashion Week 2022 und der Ruf der Wüste

Chott el-Jérid ist eine 5.000 Quadratkilometer große Salzebene. Sie bietet einen unberührten Horizont von 360 Grad. Der Gründer und Produzent dieser Veranstaltung ist Anis Montacer. Jedes Jahr verändert er das Format. Nach den Ruinen und dem römischen Amphitheater von Karthago und dem Hotel Anantara ist sein Versprechen für 2022 ein Traum: der Traum der Designschaffenden – die von der anderen Seite des Mittelmeers kommen, die meisten aus städtischen Umgebungen – an einem ‚magischen‘ Ort zu defilieren, „außerhalb der Welt“, der nach ihren eigenen Worten „ein Gefühl der Freiheit“ vermittelt.

Dieser Zauber wurde von zwei Französinnen erlebt: Frederique Ducos, Designerin von Modeschmuck aus Metall, und Maud Beneteau, die ihr eigenes Atelier in Paris hat. Sie sind in der überfüllten Modeszene der Hauptstadt kaum sichtbar, hatten aber eine „Viertelstunde Ruhm“, wie Warhol es nannte, die bei renommierten Marken Neid hervorrufen konnte – eines der erklärten Ziele von Anis Montacer.

Kristina Laptso. Bild: Jeremie Leconte via pixelformula
Luis Carvalho. Bild: Florence Julienne

Ein Highlight war die Mode der ukrainischen Designerin Kristina Laptso , die aus Kiew vor dem Schrecken des Krieges geflohen ist, um ihre Kollektion den Anwesenden zu zeigen und die Ukrainische Flagge auf neutralem Boden zu schwenken.

Die vielleicht bedeutendste Annäherung ist jedoch die an Moda Lisboa, den Organisator der Lissabon Fashion Week. Deren Leiterin, Eduarda Abbondanza, kam persönlich, um den renommierten Designer Luis Carvalho zu begleiten. Dieser präsentierte bei Sonnenuntergang eine Kollektion aus Kleidungsstücken in fluoreszierenden Farben, die in dem mondähnlichen und fantastischen Ort Chott el-Jerid zum Leuchten gebracht wurden. Neben der europäischen Präsenz waren auch die Inderin Sana Ghai, der Lybier Ibrahim Shebani für seine Marke Born in Exile und die Ungarn Kata Szegedi und Daniel Benuus vertreten. Sie alle zusammen verliehen dieser Modeveranstaltung eine internationale Dimension die Tunesien über seine Grenzen hinaus erstrahlen lassen.

Sana Ghai und Ibrahim Shebani für Born in Exile. Bild: Jeremie Leconte via pixelformula.
Kata Szegedi und Daniel Benuus. Bild: Jeremie Leconte via pixelformula.

Kreative in Tunesien oder der Weg durch die Wüste

Die Nachwuchstalente der Agence Tunisienne de Formation Professionnelle, des Collège LaSalle und New Medina boten eine Stil-Lektion rund um das Thema Safari, das sich perfekt in die traumhafte Kulisse einfügte. Paradoxerweise träumen die meisten jungen tunesischen Designschaffenden aber nur von einer Sache: ihr Talent vor europäischen Kulissen unter Beweis zu stellen. Leider werden ihre Wünsche wie ein Sandsturm verweht, denn ein Visum zu erhalten ist schier unmöglich. Um ihr Wissen zu erweitern und, wenn möglich, dem Schicksal auf die Sprünge zu helfen, organisierte Anis Montacer für sie eine Master Class über Modefilme, die von Pascal Mourier, Journalist, Professor an der Modeuniversität von Lyon und Initiator des Fashion Film Festivals, geleitet wurde. Das Virtuelle ist das, was denjenigen bleibt, die sich physisch nicht dorthin bewegen können, wohin sie gehen wollen.

l'Agence Tunisienne de Formation Professionnelle. Bild: Jeremie Leconte via pixelformula
Collège LaSalle / New Medina. Bild: Jeremie Leconte via pixelformula.

In diesem Jahr konnten nur wenige der in Tunesien ansässigen und bekannten Marken auf der Tunis Fashion Week (TNFW) präsentieren. Es muss dazu gesagt werden, dass die Energiekrise und die Inflation auch das nordafrikanische Land stark in Mitleidenschaft gezogen haben. Die Designer:innen, die üblicherweise an der Veranstaltung teilnehmen, hatten es schwer, eine Kollektion zu produzieren. Der Weg für diejenigen, die eine internationale Perspektive suchen, die über die Bedürfnisse der lokalen Schneiderei – die Nachfrage beschränkt sich hauptsächlich auf Anlassmode – hinausgeht, ist schwierig.

Doch, und das ist der Hauptpunkt dieses Ausflugs in die Welt der tunesischen Mode, das Land hält einige Trümpfe in der Hand. Einerseits ein Kunsthandwerk, das auf einer althergebrachten Kultur und einem Know-how in Bezug auf Schmuck, Stickerei und traditionellen Stoffverarbeitungen basiert – wie die Kreativen Rayhana, Sondes Ben Moussa und Yosra Sen beweisen. Andererseits ist die nationale Modeindustrie immer noch stark, obwohl sie im Bereich der Fast Fashion von Asien überholt wurde und den Anschluss an die neuen Bedürfnisse der Mode, wie beispielsweise Kapselkollektionen, verpasst hat. Kleine Kollektionen sind Arbeitsprozess, der für die tunesische Industrie, die aufgrund der Organisation der Produktion am Fließband auf Volumen ausgerichtet ist, schwer zu verstehen ist. Aber ihre Nähe zu Europa - und damit kürzere Lieferwege machen sie zu einer beliebten Kandidatin für Nearshoring.

Surtax. Bild: Jeremie Leconte via pixelformula.
Ben Moussa Sonden für Rayhana und Yosra Sen.Jeremie. Bild: Jeremie Leconte via pixelformula.

Tunesische Mode, die Notwendigkeit von Förderungen und einem Rahmenprogramm

Die Verbindung zwischen tunesischen Industriellen und Designschaffenden erfolgte unter der Schirmherrschaft des Vereins ‚Créateurs & Industriels associés aux métiers d'art‘, einer Plattform für Begegnungen zwischen diesen beiden Welten, die 2014 gegründet wurde und ebenfalls von Anis Montacer geleitet wird. Die tunesische Industrie, die in den 70er-Jahren stark in Denim investierte, hat einen Wissensvorsprung auf diesem Gebiet. Der Beweis dafür ist das einzige Industrieunternehmen, das in diesem Jahr auf dem Laufsteg zu sehen war: Sartex. Das Unternehmen mit Sitz in Südtunesien ist auf Denim-Waschungen und die Herstellung von Fertigteilen spezialisiert. Auf seine Dienste setzen unter anderem Le Temps des Cerises (Frankreich), Hugo Boss, Marco Polo, Brax, Diesel, Fat Face (Europa), Guess und Seven For All Mankind (Europa und USA). Es werden über fünf Millionen Stück pro Jahr hergestellt und das Ziel ist es, auf sechs Millionen Stück zu wachsen, insbesondere mit französischen Kunden.

Um dies zu erreichen, setzt Sartex eine High-End-Technologie ein, die auf Digitaldruck basiert, der die Verwendung von Farbstoffen und den Wasserverbrauch reduziert, sowie auf 3D, wodurch das Hin und Her zwischen der Erstellung eines Prototyps und der Freigabe vermieden werden kann. Bei der letzten Kingpins Denim Show in Amsterdam zeigte Sartex die Vorteile dieses Verfahrens, das auf Augmented Realität mit einem Helm basiert, der es den Designern ermöglicht, ihr Produkt immersiv zu begutachten. Der nächste Schritt? Der sensorische Handschuh, der den Griff des Stoffes simuliert.

Caesleste und Haroun Ghanmi für Anomalies. Bild: Jeremie Leconte via pixelformula.

Damit die tunesische Mode nicht im Dunkeln tappt, bedarf es wohl der Unterstützung von strukturierenden Instanzen wie der Europäischen Union mit Europe Creative, um den jungen Designern eine internationale Sichtbarkeit zu verleihen. Dies geschieht, indem den talentiertesten unter ihnen geholfen wird, eine Prêt-à-porter-Marke zu gründen, auf Fachmessen auszustellen oder in einem Kontext, der sich nicht auf ‚arabische‘ Modeveranstaltungen beschränkt (ein stereotyper Begriff, über den viele hinausgewachsen sind). Die Unterstützung ist notwendig, denn die jungen Modeschaffenden können nicht mehr alleine in der Wüste predigen... so magisch und angesagt sie auch sein mag.

Dieser Artikel wurde ähnlich auf FashionUnited.fr veröffentlicht. Übersetzung und redaktionelle Bearbeitung: Barbara Russ

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