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Erste Hilfe für die sterbende New York Fashion Week

Von Jackie Mallon

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Mode

Die Anspielungen aus Rettungsdienst-Uniformen in Raf Simons’ Kollektion für Calvin Klein könnten eine Metapher für die New York Fashion Week in ihrer Gesamtheit gewesen sein. Auch in dieser Saison war es Raf, der der New Yorker Fashion Week die Kleidung lockerte und versuchte, das am Boden liegende Opfer zu beatmen. Während die Modewoche nach frischer Luft japst, sehen die alteingesessenen New Yorker geflissentlich weg. Allein der Belgier leistet dem amerikanischen Traum Erste Hilfe.

Wan man hinschaut, liegen Trümmer: Hollywoods Kulissen bröckeln ob des Weinstein-Skandals und das Image von Bruce Webers Portfolio als All-American Fashion-Darling, das mit seiner Ästhetik die beiden Industrien verband, verschwindet ebenfalls. Genauso wie Delpozo, Altuzarra, Thom Browne, Rodarte, Proenza Schouler und Tome, die mit ihren Kollektionen auf europäische Modewochen flüchten und New York den Rücken kehren. So ist Stadt ist auf einen Club von hochrangigen Veteranen zurückgeworfen, der seine Medaillen poliert und sich mit der Musik von Cole Porter nostalgisch in die alten Zeiten zurück sehnt. Bei ihrer letzten Show wurde Caroline Herrera unter Applaus ‚hinauskomplementiert‘ (um den Business-Jargon zu benutzen, wenn ein Mitarbeiter eine Firma verlässt) - eine Parade strahlend weißer Hemden auf dem Laufsteg, die Krägen aufgestellt.

Ein schlimmer Mangel an Vision

In einem global florierenden Luxusmarkt zeigen sich die großen amerikanischen Marken risikoscheu und zurückhaltend. Das Kostüm des Ostküsten-Kapitalismus - Peacoats und Poloshirts, Insignien, Wappen, Logos und Loafers - wurde von Gucci im Stil eines Coney Island Circus neu aufgelegt und von Vetements klinisch durch den Normcore-Filter seziert. Amerikanische Häuser hingegen nehmen sich und diese ausgediente Uniform weiterhin furchtbar ernst. New York bildet den stolzen Auftakt des Fashion-Week-Monats, bemerkt aber nicht, dass es mit seinem zugeknöpften, pomadierten Streber-Outfit in Business-Casual total daneben liegt. Die Stadt negiert Trends zugunsten von Klassikern, die auf hohlen Traditionen und Business-as-Usual beruhen. Die Ironie, mit der Simons seine gefeierte Calvin-Klein-Show im ehemaligen American Stock Exchange Building auf mit Popcorn bestreuten Böden präsentiert, ist beißend.

Während Steppenläufer über den Laufsteg von Donna Karan wehen und Michael Kors Melania Trump-Klone über selbigen schickt, schreibt Robin Givhan von der Washington Post über die Show von Ralph Lauren: „Man fragt sich manchmal, ob die Designstudios von Ralph Lauren hermetisch verschlossen sind. Öffnen Sie die Fenster? Kann frische Luft hinein kommen?“ So bleibt lediglich zu hoffen, dass CEO Steven Kolb und wichtige Mitglieder des CFDA an einen Konferenztisch gerufen werden und zumindest die Möglichkeit eines Herzschrittmachers besprechen.

Kill your Darlings

Erfolgreiche Designer-Engagements der näheren Vergangenheit haben gezeigt, dass kreatives Talent nicht unbedingt eine enge Verbundenheit zu einem etablierten Haus aufweisen muss, um sein Vermächtnis für eine neue Generation erfolgreich fortzuführen. Sollte ein Haus wie Donna Karan dahinsiechen, nur weil es nie eine zweiten Ms. Karan geben kann? Riccardo Tisci hatte wenig mit Hubert de Givenchy zu tun, aber es hielt ihn nicht davon ab, sein Haus für das neue Jahrtausend neu zu erfinden. Bevor er bei Calvin Klein anfing, hatte Raf Simons bereits Diors erfolgreiche Neuauflage verantwortet, und das nach dem Skandal um seinen Vorgänger John Galliano. Yves Saint Laurents typische Kunden hätten nicht einmal ihre Drogen bei Hedi Slimanes Grunge-Gruppe gekauft, aber die Verkäufe des Modelabes stiegen dennoch während Slimanes vierjährigem Engagement bei der Brand rasant an. Der extravagante John Galliano hätte dem zurückgezogenen Künstler Martin Margiela nicht unbedingt die Stirn bieten können, aber sein Umgang mit dem Erbe des Hauses in den letzten drei Jahren war respektvoll frech, was laut Business of Fashion zu einem zweistelligen Wachstum geführt hat.

Passion und Profit

Renzo Russo, das Mastermind hinter der Galliano/Margiela-Fusion, sagte über Maison Margiela: „Es ist eine Nischenbrand. Ich möchte ein Produkt mit echter Leidenschaft führen und nicht die größte Marke der Welt werden.“ BoF stellte dazu fest, dass Renzo nicht erwarte, dass sich das Haus von seiner derzeitigen Position mehr als verdoppeln werde (160 Millionen Dollar im Vergleich zu 5 Milliarden Dollar Umsatz für eine Mega-Marke wie Chanel.) Leidenschaft vor Profit zu stellen, das heißt optimistisch zu denken. Vielleicht müssen die schwächelnden amerikanischen Häuser akzeptieren, dass der Standpunkt eines kreativen Direktors nicht darauf reduziert werden sollte, wie gut er Ihre DNA versteht oder wie zärtlich er das Archiv handhabt. Er wird es da anknüpfen, wo das Haus gerade steht. Man muss ihn ohne Mikromanagement walten lassen und ihm erlauben, ein paar ‚Darlings‘ zu töten, damit sich ein neuer Dialog rund um die Marke auftun kann. Das Ergebnis wird eine authentische Antwort auf die Geschichte eines Hauses sein, anstatt ein auswendig gelerntes, aber irrelevantes Echo.

Kulturelle Aneignung richtig gemacht

Einen Kreativen von außerhalb der Marke einzubringen, kann auch eine lebensspendende Kraft sein. Es ist kulturelle Aneignung, so wie sie sein sollte. Der Außenseiter kann die Geschichte des Hauses neu entdecken, seine Codes auf unerwartete Weise kombinieren, auslassen und neu zusammensetzen. Simons erhielt viel Kritik für die überraschende Entscheidung, die Kardashians in seine Werbekampagne für Calvin Klein-Unterwäsche zu stecken, aber es war die meistgesehene Anzeige auf Youtube im Januar mit 15,4 Millionen Views. Wenn die Views in Verkäufe umgewandelt werden können, erlaubt ihm das, seine Künstler-Kooperationen fortzusetzen und weiterhin seine subversive und hoch geschätzte Vision eines modernen Amerika auf den Laufsteg zu bringen.

Die Generationslücke

Simons beschrieb die Bedeutung seiner Calvin-Klein-Kollektion als „Allegorie für ein Aufeinandertreffen alter Welten und neuer Welten“, die zusammenfasst, was auf den NYFW-Laufstegen fehlt. Diese Kluft zwischen der glorreichen Vergangenheit und einer unsicheren Zukunft spiegelt sich auch in Robin Givhans Kommentar wider, dass die Ralph-Lauren-Kollektion „reines Vermächtnis und Tradition und nicht eine Unze Spaß" beinhalte. Könnte also die Anpassung der Zahlen Spaß machen? Man fragt sich, was passieren würde, wenn der Freidenker Riccardo Tisci bei Donna Karan anfangen würde. Was wäre eine weniger klischeehafte Version einer frauenfreundlichen Kleidung wie bei Diane von Fürstenberg - könnten wir Simone Rocha locken? Wie wäre es mit dem britischen Wunderkind Matty Bovan, wenn Anna Sui mitsamt ihrem Samt und Pailletten in Rente geht? Anstelle von Gigi Hadid für Tommy Hilfiger, lassen Sie uns einen echten Designer versuchen, sagen wir, Juun J, und sehen, was er mit den Basics bestehend aus Denim, Streetwear und Logos in den Staaten anfangen würde? Craig Greens militärisch scharfe Schnitte und kühne Geometrien könnten als Defibrillator auf der Brust von Michael Kors dienen ... Beeeeep beeeeeep, „Clear!“

New York Fashion Week, deine Zeit läuft ab. Es ist Zeit, den Notruf zu wählen.

Fotos: Calvin Klein and Ralph Lauren via Catwalkpictures

Dies ist eine Übersetzung eines englischen Beitrags von Jackie Mallon. Jackie Mallon lehrt Mode in New York und ist die Autorin des Buches ‚Silk for the Feed Dogs’, ein Roman, der in der internationalen Modeindustrie spielt. Übersetzung und Bearbeitung: Barbara Russ

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