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Exit through the Online-Shop – die Revolution des Modezyklus

Von Barbara Russ

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Mode

Darf man es eine Revolution nennen? Eine erdrückende Last an Indizien weist jedenfalls auf mehr als nur eine kleine Disruption der Modeindustrie hin. Hochdekorierte Designer, die bei den wichtigsten Modehäusern aufgrund von mangelnder Freiheit und Freizeit hinschmeißen, weil die Anforderungen zu erdrückend, die Mode-Zyklen zu rasend schnell geworden sind und die Bedingungen für kreatives Schaffen darunter immens leiden. Horrende Marketingbudgets, die für die Verbreitung der neuesten Kollektionsbilder ausgegeben werden, die aber ins Leere laufen, weil die Produkte noch nicht produziert sind und der Hype anschließend ungenutzt verpufft. Verwirrte und verstimmte Kunden, die die neueste Mode zwar auf sämtlichen Social Media Kanälen sehen, aber noch nicht kaufen können.

Lange wurde ein Umdenken in der Modebranche gefordert, nun gehen einige mutige Vorreiter der Modebranche voran. Burberry, Tom Ford, Vêtements, Tommy Hilfiger und ein paar andere Labels sind die ersten, die auf die tiefschürfenden Veränderungen der Kommunikationsstrukturen im digitalen Zeitalter und die damit zusammenhängende Beschleunigung des Modezyklus mit einer Umstrukturierung der Produktion, Präsentation, und des Verkaufszeitpunkts neuer Kollektionen reagieren. Bei ihnen soll zukünftig die Schau so getimt werden, dass die Kollektion direkt im Anschluss online verfügbar ist. Welche Folgen diese Umstrukturierung haben wird, ist bisher kaum abzusehen.

Das Modell Burberry

Am konsequentesten macht aktuell Burberry vor: die Kollektionen werden ‚seasonless’, sie sind sofort nach der Show im Online-Shop erhältlich, nicht erst sechs Monate nach der Präsentation und es gibt nur noch eine Linie. Damit reagiert David Bailey, CEO und Chief Creative Officer des britischen Traditionshauses auf drei irreversible Veränderungen des Marktes.

Erstens: die Kundschaft sitzt nicht mehr ausschließlich in Europa, Japan und Nordamerika. Neue Märkte schließen mit kaufkräftiger Kundschaft rasant auf – in China und in der südlichen Hemisphäre, wo bekanntlich die Jahreszeiten umgedreht sind. Irgendwo auf der Welt ist immer Sommer. Eine Tatsache, der bisher das Konzept der ‚Cruise Collection’ Rechnung trug – der internationale Jetset, der diese für seine luxuriösen Reisen in die Sonne kaufte, wird nun also abgelöst von einer globalen Käuferschaft, die konstant sämtliche Klimazonen abdeckt. Deshalb gibt es bei Burberry fortan nur noch die Kategorisierung ‚Februar’ und ‚September’ – der Zeitpunkt der Show.

Zweitens: Die Kommunikation der neuen Trends hat sich gewandelt. Wo zuvor die Presse als ‚Gate-Keeper’ die Trends in der Schreibtischschublade hortete bis es Zeit war, diese zu veröffentlichen, wird heute von jeder Modenschau getweetet, gesnapt und geinstagramt. Worte und Bilder finden unmittelbar ihren Weg zu den Endkonsumenten, eine artifizielle Verzögerung dieser durch Presse und Lables wirkt mittlerweile fast rückständig. Entsprechend werden auch Begehrlichkeiten unverzüglich geweckt und wollen gestillt werden – nicht erst in sechs Monaten, wenn die Kleider produziert sind und in den Läden hängen. Weil diese für den Endkonsumenten teils unverständliche Ungelichzeitigkeit ein wachsendes Defizit in den Kassen der Modelabels nach sich zieht, zieht man hier bei Burberry entsprechende Schlüsse. Der Kunde ist König und wenn er kaufen will, dann soll er es können.

Drittens: Die Herren und Damenmode wird zusammengelegt, denn ‚Gender’ als Kategorie ist ebenso im Umbruch begriffen, wie die Modebranche selbst. Außerdem wurden bei Burberrys bereit im vergangenen Jahr die verschiedenen Linien des Hauses unter gemeinsamen Namen zusammengefasst: ‚Burberry’. Fragt man die Menschen auf der Straße, ob sie den Unterschied zwischen Burberry ‚Prorsum’, ‚London’ und ‚Brit’ kennen, wird die Antwort wird wohl meist ‚Nein’ lauten. Ging es in der Vergangenheit darum, gewisse Standesdünkel und Elitismen aufrecht zu erhalten, aber dennoch die Kaufkraft der Masse abzugreifen, haben sich nun scheinbar die letzten Klassengrenzen erledigt. Wer ‚Burberry’ kaufen will und vor allem kann, hier liegt die Betonung, der soll es auch. Die ‚Demokratisierung der Mode’ ist vor allem eine Sache der Kaufkraft und der Zahlen – denn die Einsparung einiger Linien schlägt sich wohl auch positiv in der Bilanz des Hauses nieder.

The Barrow bag and tailored suits. Louie and Liam shot by @MarioTestino for @Burberry 2016

A photo posted by Burberry (@burberry) on

Vielen Fragen bleiben ungeklärt

Natürlich kommt das alles nicht so plötzlich, wie es scheint. Bei Burberry wurde schon zuvor experimentiert, wie sich einzelne Stücke direkt ab Show verkaufen. Auch im Hause Tommy Hilfiger, das jetzt ebenfalls verkündete, beginnend im September die Kollektion ab der Präsentation liefern zu können, wurde im Vorfeld mit einzelnen Teilen durchexerziert, wie die Reaktionen der Kunden sind. Dass auch bei Burberry selbst noch Unklarheit über viele Aspekte und Prozesse dieser Umstrukturierung herrscht, gibt Bailey offen zu. Zahlreiche Fragen, die sich in diesem Zusammenhang eröffnen, werden die gesamte Branche für die kommenden Jahre beschäftigen und wohl auch umwälzen. Was geschieht mit der (Fach-)Presse und wann bekommt diese die Kollektion zu sehen? Vorab mit den Einkäufern oder zeitgleich mit den Konsumenten? Wie reagieren die Fast Fashion Retailer H&M, Zara & Co. auf diese Entwicklung, die ihnen zum Teil die Grundlage ihrer Kollektionen entzieht? Kann diese Neuterminierung die Branche retten, neue Kunden bringen, die Designer entlasten? Wie wirkt sie sich auf Produktionsketten, Sourcingprozesse und Arbeitsbedingungen in Fabriken aus?

Es wird sich zeigen, wie die Zukunft der Modeindustrie und des Modezyklus aussieht, doch scheinbar steht eine echte Revolution der bisherigen Modeindustrie kurz bevor.


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