Fabienne Chapot: "Wir sind gespannt, was sich in Deutschland verkaufen wird"
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Ein Besuch bei dem niederländischen Damenmode-Label Fabienne Chapot in Amsterdam fühlt sich an, als sei man in eine Zeitkapsel gestiegen. Das historische Gebäude, ein typisches Haus aus dem 17. Jahrhundert im Zentrum von Amsterdam, liegt direkt an der berühmten Herengracht. „Das Interieur ist alles original“, erklärt die Gründerin des gleichnamigen Labels, denn „das Haus steht unter Denkmalschutz, es ist UNESCO-Weltkulturerbe.“
Im Inneren offenbart sich der eklektische und detailverliebte Stil der Designerin. Die originalen grau-weißen Marmorböden, beeindruckenden Stuckarbeiten an der Decke und die schimmernden Seidentapeten werden optisch von moderner Kunst konterkariert, die den Flur säumt. Ein Kristalllüster liegt scheinbar vergessen auf dem Boden, etwas weiter zwei Discokugeln, und im Treppenhaus steht ein von Farnen überwucherter Brunnen. Über all dem schwebt eine Leuchtreklame mit der Aufschrift ‚Heaven‘.
Hier arbeitet das Team der Marke an den Designs und der Strategie für das Unternehmen, das 2006 unter dem Namen ‚Fab‘ gegründet und 2016 in ‚Fabienne Chapot‘ umbenannt wurde. Laut Chapot ist es heute die achtgrößte Marke für Damenmode in den Niederlanden. Die Designerin trägt eine schwarze Bluse mit weißer Blumenstickerei, schwarze Jeans und Schmuck, alles aus ihrer Kollektion. Wir nehmen gegenüber eines historischen Kamins, unter einer mit religiösen Originalmotiven bemalten Decke, an einem schweren Holztisch Platz.
Wie kam es zu der Gründung des Labels?
Ich habe mein Label 2006 gegründet. Damals war ich 25 Jahre alt und habe hier in Amsterdam studiert. Ich hatte Kommunikationswissenschaften studiert, aber ich hatte auch in Erwägung gezogen, auf die Modeschule zu gehen. Ich stehe also ein bisschen zwischen diesen beiden Bereichen, was auch meine Persönlichkeit bis heute beschreibt.
Nachdem ich mein Studium beendet hatte, reiste ich nach Bali, und dort wurde meine Leidenschaft erweckt. Die Handwerkskunst dort hat mich zutiefst beeindruckt! Ich habe mich in die Kultur dort verliebt. Ich hatte also damals die Idee, ein Label zu gründen. Aber dann kam ich zurück und realisierte: Ich muss Geld verdienen. Also habe ich mir einen Job gesucht und meinen Traum für eine Weile vergessen. Ich arbeitete in einer Werbeagentur, merkte aber bald, dass das nicht das Richtige für mich war. Ich war unglücklich, ich wollte etwas Eigenes gründen.
Es war eine Herzensangelegenheit für mich. Ich wollte schöne Produkte kreieren, sie in Bali herstellen, zurück nach Amsterdam kommen und versuchen, sie zu verkaufen. Ich habe mit Taschen und Accessoires angefangen, weil ich das am besten konnte. Kleidung war für den Anfang zu kompliziert, wegen der vielen Größen und Muster. Also begann ich mit einer kleinen Accessoire-Kollektion mit bunten Farben und lustigen Elementen. Etwas, das es auf dem Markt so noch nicht gab. Ich bin mit dem Fahrrad zu meinen Lieblingsgeschäften in Amsterdam gefahren und habe versucht, die Produkte zu verkaufen.
Ich habe die Läden abgeklappert und gesagt: „Hallo, hier bin ich. Wollen Sie das kaufen?“ Die Händler:innen waren begeistert. Und ich war total überrascht, wie einfach das war. Ich wurde mit offenen Armen empfangen. Und nach einer Weile bekam ich eine E-Mail von De Bijenkorf, dem großen Luxuskaufhaus. Darin stand: „Ich habe Ihre Portemonnaies entdeckt und würde gerne mehr sehen“ Es fühlte sich an, wie ein Traum. Ich war so jung, zahlte nur wenig Miete. Meine finanziellen Verpflichtungen waren gering. Und es hat mir einfach Spaß gemacht.
Das ist also die unternehmerische Denkweise, für die die Niederländer bekannt sind?
Ich denke, ja. Einfach anfangen. Ich hatte allerdings auch den Vorteil, dass meine Eltern mich unterstützt haben, als ich nach Hause kam und sagte: „Ich habe eine Idee. Ich möchte ein Unternehmen gründen.“
Wie ging es weiter?
Ich zeigte den Einkäuferinnen von De Bijenkorf meine kleine Kollektion von Accessoires und Schmuck. Ich breitete alles auf dem Tisch aus und sagte: „Das ist es“. Und sie waren begeistert. Am Ende des Meetings fragte ich: „Über welche Größenordnungen reden wir denn? Und sie sagten Zahlen wie 800 von diesem, 1.000 von jenem.“ Zu dieser Zeit arbeiteten zwei Männer in Bali an der Produktion meiner sehr kleinen Kollektion. Aber ich sagte: „Kein Problem! Wann wollen Sie es haben?“
Ich ging nach Hause und rief meine Produzentin in Bali an und wir beschlossen, neue Männer einzustellen und eine Fabrik zu bauen. Die Arbeiter dort sind Männer, denn die Arbeit mit Leder ist eine ziemlich harte. Also haben wir eine Fabrik gebaut, in der 125 Menschen arbeiten. Leider produziere ich heute nicht mehr auf Bali, denn die Kollektion wuchs und wuchs und wurde immer größer, sodass die Fabrik den Anforderungen nicht mehr gerecht werden konnte.
Wo produzieren Sie jetzt?
Wir produzieren in etwa zehn verschiedenen Ländern, je nachdem, wo die Qualität am besten ist. Für Stickereien ist Indien das beste Land. Es ist unglaublich, was dort zum Beispiel mit Perlenstickereien möglich ist! Strickwaren werden in Portugal und China hergestellt. Denim produzieren wir in der Türkei. Ledergürtel (sie zeigt auf ihren Gürtel) werden in Marokko hergestellt. Kurzum, wir produzieren in verschiedenen Ländern mit verschiedenen Spezialisierungen.
Auf welchen Märkten sind Sie aktiv?
Unser größter Markt sind immer noch die Niederlande. Und aktuell expandieren wir nach Deutschland. Das bedeutet, dass wir dort zwei Showrooms haben, den Haupt-Showroom in Düsseldorf und einen in München. Außerdem haben wir einen in Antwerpen in Belgien. Das sind also unsere Märkte. Und dann haben wir noch den Wholesale in verschiedenen Ländern wie Großbritannien, Schweden und Norwegen, wo wir mit Agenturen zusammenarbeiten, die die Kollektion für uns verkaufen.
Und in Deutschland haben Sie mit Shop-in-Shops im KaDeWe, Alsterhaus und Oberpollinger begonnen. Wie läuft es denn so?
Wir sind sehr aufgeregt, weil wir neu auf dem Markt sind. Und die Menschen in Deutschland kennen uns nicht, also wollten wir den ersten Touchpoint in diesen High-End-Kaufhäusern schaffen. Wir sind eine ziemlich farbenfrohe Marke.
Die deutschen Kund:innen sind nicht unbedingt dafür bekannt, dass sie Farben und Muster lieben.
Genau, deswegen sind wir auch sehr gespannt darauf zu sehen, was sich gut verkauft. Wir sind sehr daran interessiert zu sehen, welche Art von Produkten sie aus unserer Kollektion wählen. In Großbritannien zum Beispiel lieben die Kund:innen super bunte Prints, aber ich habe keine Ahnung, was sich in Deutschland verkaufen wird und ob es Unterschiede zwischen Berlin, München und Hamburg geben wird.
Ihr erster eigener Laden außerhalb der Niederlande wird in Hamburg eröffnen. Wann planen Sie die Eröffnung?
Die Eröffnung ist für den 23. Mai geplant. Die Adresse ist Große Bleichen 36, in der Nähe der Kaisergalerie und direkt gegenüber dem Ganni-Laden. Es ist also eine 1A-Lage. Wir haben vor, eine tolle Eröffnungsfeier zu machen. Es ist ein großer Moment für uns, denn es ist unsere erste Boutique außerhalb der Niederlande.
Wie wird der Store aussehen?
Er wird ein bisschen wie dieses Büro aussehen. Mit historischen Elementen, wie dem Holzboden, Fischgrätparkett, alles in Weiß, und Stuckornamenten. Wir versuchen, den Laden ruhig zu halten, denn unsere Kollektion ist bunt. Und dann fügen wir ein paar fröhliche Elemente hinzu, Sitze in Form eines Donuts oder Präsentationsblocks aus recycelten Materialien. Wir haben ein Neonschild mit der Aufschrift ‚Hello Gorgeous‘ und schöne, große Umkleidekabinen.
Welche Strategie oder Kanäle nutzen Sie, um die Marke in Deutschland bekannt zu machen?
Wir arbeiten hauptsächlich mit Influencerinnen, die ich gerade in Berlin getroffen habe. Ich hatte das Gefühl, dass wir Freundinnen sein könnten, und wir sprachen über das Leben und das Muttersein und all die Herausforderungen, mit denen Frauen konfrontiert sind - ziemlich tiefgründige Gespräche. Ich bin so stolz darauf, dass sie Botschafterinnen für unsere Marke sind.
Wer ist die Zielgruppe, an die Sie sich richten?
Unseren Kund:innen sind dieselben wie die Influencer:innen, die wir ausgewählt haben, sie haben den gleichen optimistischen Vibe. Die Altersspanne unserer Kundschaft ist sehr breit, wir richten uns Frauen zwischen 25 und 80 Jahren. Sie sind positiv, sie sind unabhängig, sie lieben Farben.
Ich liebe es zu beobachten, wenn Kundinnen sich eigentlich eher in ruhigeren Farben kleiden, aber dann für ein privates Shopping mit unserer Stylistin in unser Geschäft kommen, ein wenig ausprobieren und dann ein bunt bedrucktes Kleid kaufen. Sie sagen dann: „Wow, das hätte ich mir niemals alleine gekauft. Ich wusste nicht, dass mir das gefällt.“
Auch wenn Ihre Kollektion Drucke, Handarbeit und kompliziertere Schnitte hat, sind Ihre Preise immer noch erschwinglich.
Ja, wir wollen so erschwinglich wie möglich sein, auch mit den hohen Standards, die wir haben. Meine Strategie ist folgende: Wenn eine Kundin etwas im Laden etwas sieht, das ihr gefällt und Sie das Preisschild umdreht, soll sie zu sich selbst sagen: „Oh, das ist in Ordnung“. Jeder kennt dieses traurige Gefühl, wenn es andersherum ist. Sie verlieben sich in etwas und dann sehen Sie den Preis und sind enttäuscht, weil Sie zu sich selbst sagen müssen: „Das kann ich mir nicht leisten“. Also ja, wir versuchen, ein gutes Preis-Leistungs-Niveau zu halten.
Auch in der aktuellen Situation?
Ja, das ist schwer, vor allem weil die Preise für alle Materialien steigen. Und wir wollen die Einzelhandelspreise nicht erhöhen, aber wir brauchen trotzdem die Margen, denn wir sind ein Unternehmen. Es ist eine Herausforderung.
Produzieren Sie nachhaltig?
Ja. Das ist auch etwas, das zu höheren Preisen für uns beiträgt. Die Bio-Baumwolle und die recycelten Materialien sind teurer, aber da können wir keine Kompromisse machen. Nachhaltigkeit ist eine der drei Säulen unserer Strategie.
Den größten Fußabdruck haben natürlich unsere Stoffe. Deshalb erhöhen wir in jeder Saison den Anteil nachhaltiger Materialien wie Bio-Baumwolle, oder zum Beispiel RPET, das ist recyceltes Polyester aus PET-Flaschen, zu erhöhen. Man kann auf jedem Etikett nachlesen, wie viele Flaschen recycelt werden. Wir tun also eine Menge, um unseren ökologischen Fußabdruck zu verringern.
Und wir haben uns zum Ziel gesetzt, unsere Kollektion bis 2026 zu 100 Prozent aus nachhaltigen Materialien herzustellen. Das ganze Team ist sehr dahinter her, denn wir sind ein junges Team. Wir haben das Gefühl, dass das sein muss. Wir essen hier vegetarisch. Wir haben aufgehört, die Kollektion mit dem Flieger zu transportieren. Alles wird mit dem Zug oder mit dem Schiff transportiert. Wir haben insgesamt 35 Ziele für 2023 und ich bin überzeugt, dass wir sie alle erreichen werden.
Arbeiten Sie mit Zertifizierungen?
Ja, wir haben letzte Woche Startschuss gegeben und uns bei B Corp beworben. Wir hoffen, dass wir noch vor Ende dieses Jahres B Corp-zertifiziert werden. Wir sind sehr stolz darauf. Und wir arbeiten für die Audits mit BSCI zusammen. Sie kontrollieren die Stoffe und die Fabriken.
Wie haben sich die letzten drei Jahre auf Ihre Umsätze ausgewirkt?
Nun, um ehrlich zu sein, ist unser Umsatz um 30 Prozent gestiegen, sogar in den letzten Jahren, sogar während der Schließung unserer Boutiquen. Das war total verrückt. Aber ich denke, was ich bei mir selbst als Unternehmerin festgestellt habe: Ich bin resilient. Nicht nur ich, sondern auch das Team. Als die Pandemie ausbrach, stand ich in den ersten zwei Wochen buchstäblich unter Schock. Ich hatte stundenlange Telefonate mit unserem Investor. Und ich dachte, okay, das könnte es gewesen sein, ich sah meinen Traum sich in Luft auflösen.
Aber dann hatten wir online eine große Teambesprechung mit dem Managementteam. Wir haben uns gefragt: Wie ist die Lage? Was kann passieren? Was glauben wir, was in den nächsten acht oder zehn Monaten passieren wird und wie können wir unsere Strategie anpassen? Und wir haben einige Dinge getan, die uns geholfen haben. Wir haben unsere Arbeitsweise geändert. Leider mussten wir uns von einigen Kolleg:innen verabschieden, was uns schwer fiel. Aber wir haben es geschafft. Am Ende war es gut für das Unternehmen. Es war interessant zu sehen, dass die Verbraucher:innen immer noch Geld für schöne, fröhliche Kleidung ausgaben.
Wonach suchten die Kund:innen?
Einige Leute sagten zu mir, wir sollten Loungewear herstellen. Ich sagte: Nein, nein, ich glaube, das wird enden. Ich hatte auch dieses optimistische Gefühl: Das wird eines Tages vorbei sein. Wir werden einen Weg finden, da war ich mir sicher.
Und dieser optimistische Teil von mir sagte: „Wir bleiben bei dem, was wir können, wir werden nichts anders machen.“ Vielleicht müssen wir neue Wege finden, um effizienter zu arbeiten, aber die Strategie und unser Kerngeschäft haben wir beibehalten. Und das hat funktioniert.
Die Inflation ist jetzt schlimmer für uns als die Lockdowns. Aber wir haben in diesem Jahr immer noch ein Umsatzwachstum von 25 Prozent. Es geht uns also gut, aber wir haben das Gefühl, dass die Kund:innen preissensibler geworden sind. Sie suchen also nach preiswerteren Produkten. Sie kaufen vielleicht nur ein Stück statt zwei.
Wir versuchen also, einige Preise und Looks in unserer Kollektion anzupassen, um zu sehen, ob wir uns mehr auf kommerzielle Modelle konzentrieren können. Dennoch sind wir unserer DNA immer treu geblieben, wir haben sie nie verändert, aber wir haben uns an das angepasst, was passiert ist und auf die Bedürfnisse der Verbraucher:innen gehört. Und jetzt hören wir, dass der die Leute sagen: „Ich möchte nicht zu viel ausgeben.“ Also versuchen wir, uns darauf einzustellen.
Mit welchen Trend-Styles und Farben rechnen Sie für F/W23?
Die Winterkollektion ist winterlich, aber farbenfroh. Wir haben auch unser Denim-Angebot stark erweitert. Wir sind bekannt für unsere bunten Denims. Im Sommer ist wird es bunt und für den Winter haben wir ein schönes Grün und ein rostiges Rot. Und auch Ocker. Neu für uns ist auch ein Tweet mit ein wenig Lurex darin.
Apropos Tweed: Nach den Jahren der Loungewear wird die Mode jetzt formeller, haben Sie mehr Anzüge und Blazer in die Kollektion aufgenommen?
Ja schon, aber unser Look ist nie so richtig formell. Wenn wir also einen Anzug haben, dann ist er bedruckt oder kommt in leuchtendem Grün daher. Also ja, es gibt schon mehr Blazer und Anzüge, aber sie sollen Spaß machen - getreu unserer DNA.
Fabienne Chapot in Zahlen:
- Gründungsjahr: 2006
- Verkaufsstellen: 1000+ international, in Deutschland unter anderem bei Breuninger, der KaDeWe Group und bald im eigenen Store in Hamburg
- Umfang der Kollektion: 250 bis 300 Teile pro Saison (500 pro Jahr) in 12 Kapiteln, die in zwei Saisons verkauft und über sechs Lieferungen pro Saison lanciert werden
- Einzelhandelspreise: 50 - 300 Euro
- Produktion: Türkei, Portugal, Indien, China
- Umsatz: 35 Millionen Euro