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Fortschritt durch Rückschritt? NRW kassiert textile Sozialstandards

Von Reinhold Koehler

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Kaum hat die neu gewählte Landesregierung aus CDU und FDP ihre Amtsgeschäfte in Nordrhein-Westfalen übernommen, hagelt es auch schon Kritik an den ersten Entscheidungen. Vor allem einige geplante Lockerungen im Vergabegesetz, das gewisse Sozial- und Umweltstandards bei der Beschaffung von Waren und Ausrüstungsgegenständen für staatliche Stellen vorschreibt, sorgen dabei für Unmut.

2012 trat das sogenannte „Tariftreue- und Vergabegesetz (TVgG) NRW“ erstmals in Kraft. Die Rot-Grüne Landesregierung kam damit Forderungen entwicklungspolitischer Organisationen nach, die Einkaufsmacht der öffentlichen Hand zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei der weltweiten Konsumgüterproduktion zu nutzen. Das Gesetz sieht daher vor, dass beim Kauf von elf sogenannten gefährdeten Produktgruppen wie z.B. Bekleidung, Holz, Natursteine und IT-Produkte die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) eingehalten werden müssen. Diese beinhalten etwa die Achtung der Gewerkschaftsfreiheit, das Recht auf Kollektivverhandlungen sowie das Verbot von ausbeuterischer Kinderarbeit, Zwangsarbeit und Diskriminierung am Arbeitsplatz.

Erst im April dieses Jahres hatte Rot-Grün das Gesetz noch einmal verschärft. Künftig sollten nicht mehr nur Eigenerklärungen der Unternehmen ausreichen, um positive Einkaufsentscheidungen zu treffen, sondern es sollten seitens der Anbieter „glaubwürdige Nachweise“ erbracht werden, dass die geforderten Standards bei der Produktion auch eingehalten werden.

NRW hatte damit aus der Sicht von vielen Menschenrechtsorganisationen die deutschlandweit fortschrittlichste Regelung auf den Weg gebracht, die gerade begann, erste Erfolge zu zeigen – vor allem auch auf regionaler Ebene. Städte wie Dortmund und Bonn griffen das Gesetz bereitwillig auf und forderten ihrerseits bereits die Einhaltung „höchster Sozialstandards“, vor allem für Berufsbekleidung.

Niedersachsen und Saarland wollen weitermachen

Nun, nach dem Regierungswechsel in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland, befürchten viele die Rückkehr zu früherer Ignoranz. Schließlich haben CDU und FDP in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, für „weniger Bürokratie“ einzutreten, um “Wirtschaft und Bürger zu entfesseln“. Im Zuge dessen sollen auch die hohen Sozialstandards in der Beschaffungspolitik zurückgenommen werden. Lediglich die Tariftreue, d.h. die Einhaltung des Mindestlohns und allgemeiner Tarifverträge, soll weiterhin beim öffentlichen Einkauf beachtet werden.

Die Organisationen des Bündnisses für öko-soziale Beschaffung in NRW kritisieren diese Entscheidung erwartungsgemäß heftig. Die neue Landesregierung spiele hier die Tariftreue gegen grundlegende Rechte von Arbeitern und Arbeiterunnen in Weltmarktfabriken aus“, so Marie-Luise Lämmle von der Organisation Femnet. Die Ausbeutung beispielsweise bei der Bekleidungsproduktion scheint vergessen zu sein.“ Auch für Annelie Evermann von der Organisation Weed ist die Rücknahme der Sozialstandards in NRW nicht nachvollziehbar. Schließlich gebe es immer mehr Initiativen und Siegel, auf die öffentliche Auftraggeber als Nachweise verweisen könnten.

Die Behauptung im Koalitionsvertrag, die Regelungen hätten ihre Ziele nicht erreicht, sind für das Bündnis nicht haltbar. In der Tat attestierte die renommierte Wirtschaftsberatung Kienbaum bereits 2015 eine positive Wirkung des Gesetzes und stellte dabei fest, dass es zu einer Stärkung sozialer und ökologischer Aspekte in Unternehmen geführt hat. Zudem zeigen Studien, wie etwa die des Forschungsinstituts CEval von 2012 und 2017, dass der Faire Handel tatsächlich zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen beiträgt. Das Bündnis geht daher mit der neuen Koalition hart ins Gericht: „Es kann nicht sein, dass die neue Landesregierung die Verantwortung der öffentlichen Hand für Menschenrechte und Umwelt missachtet, nur um vermeintlich die Wirtschaft von Bürokratie zu entfesseln", so Christian Wimberger von der Christlichen Initiative Romero (CIR).

„Von der besten zu einer der schlechtesten Regelungen auf Länderebene ist ein tiefer Fall", meint auch Dietrich Weinbrenner von der Organisation MÖWe. Was ihm Hoffnung gibt: „Länder wie Niedersachsen und Saarland wollen sich ihrer Verantwortung nicht entziehen und weiterhin an ihren Regelungen zur nachhaltigen Beschaffung festhalten.“ Insgesamt fordern aktuell 23 Organisationen und nachhaltige Unternehmen die neue Landesregierung in NRW auf, das Tariftreue- und Vergabegesetz beizubehalten, beim Einkauf mit gutem Beispiel voranzugehen und Kommunen durch die vorgesehenen Einrichtungen bei der Umsetzung zu unterstützen. Eine Reaktion seitens der Politik steht aktuell noch aus.

Foto: Peter Röhl / pixelio.de

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