Gamut-Gütesiegel: Die erste Zertifizierung für adaptive Mode startet mit Adidas
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Runway of Dreams ist die wohl bekannteste Veranstaltung im Modekalender, die Menschen mit Behinderungen repräsentiert. Die gemeinnützige Organisation wurde 2013 von der Designerin Mindy Scheier gegründet, die einen Sohn mit Muskeldystrophie hat. In den vergangenen zehn Jahren hat sie sich dafür eingesetzt, der Modebranche zu verdeutlichen, warum es so wichtig ist, diese Bevölkerungsgruppe, die sie als "die größte Minderheit der Welt" bezeichnet, zu berücksichtigen. Nach einer Partnerschaft mit Tommy Hilfiger in 2016, die zur Schaffung der ersten adaptiven Bekleidungslinie der Marke führte, änderte sich einiges für Scheier. „Plötzlich öffneten sich die Schleusen und nicht nur einzelne Marken, sondern auch andere Branchen, Persönlichkeiten aus der Unterhaltungsbranche, begannen sich zu melden, um ein besseres Gefühl dafür zu bekommen, wie sie in den adaptiven Bereich einsteigen können", sagte sie. „Da wurde mir klar, dass ein weiteres Unternehmen fehlt und Gamut Management war geboren.“
Als Pionierunternehmen für Beratung und Talentmanagement, das ausschließlich im adaptiven Bereich tätig ist, hat sie mit Gamut Management keine Schwierigkeiten, Talente zu finden. Die einzige Voraussetzung ist, dass die Kandidat:innen eine Behinderung haben. Es gibt keine Gebühren oder andere Kriterien. Stattdessen will Scheier ihnen einfach nur die Möglichkeit geben, Teil einer Gemeinschaft von derzeit etwa 1.000 Mitgliedern weltweit zu sein. „Verständlich, wenn man keine Möglichkeit hat, im Designprozess vertreten zu sein, sich Gehör zu verschaffen, oder auch nur in der Mainstream-Welt berücksichtigt zu werden“, so Scheier.
Bei der Gründung von Gamut wurde sie mit besorgten E-Mails von Mitgliedern der Behindertengemeinschaft überschwemmt, so Scheier. Die Authentizität der adaptiven Kollektionen wurde damals infrage gestellt. Auf der anderen Seite wurde sie mit Fragen von Marken konfrontiert, die sich Sorgen machten, wie sie erfolgreich mit der Zielgruppe kommunizieren könnten. So begann sie vor einigen Jahren mit der Entwicklung des Gamut-Gütesiegels, „der ersten Zertifizierung ihrer Art im Bereich der adaptiven Mode, die ein Zeichen dafür ist, dass dieses Produkt von Menschen mit Behinderungen, ihren Betreuer:innen, Expert:innen und Fachleuten aus der Gemeinschaft getestet wurde“, erklärt die Gründerin.
Adaptive Mode wächst bei Kohl's, Target und Victoria's Secret
Mit den angesehenen US-Unternehmen Kohl's, Target und Victoria's Secret als Kundschaft kann Scheier selbst kaum glauben, wie weit die Community und die Branche gekommen sind. Nach Angaben des US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention lebt einer von vier Menschen in den USA, das sind 61 Millionen US-Amerikaner:innen, mit einer Behinderung. „Wir haben unglaubliche Fortschritte gemacht, aber die Wahrheit ist, dass wir noch viel Arbeit vor uns haben. Deshalb sind wir hier“, so Scheier auf der Konferenz der National Retail Federation im Februar, wo FashionUnited mit ihr sprach. „Es gibt kein Unternehmen, das nicht direkt oder indirekt mit Menschen mit Behinderungen zu tun hat. Wir wollen mit allen Marken und Einzelhändler:innen sprechen, sogar mit den Technologieunternehmen. Sie mitzudenken ist wahrscheinlich die beste Strategie, den Sie in Ihrer gesamten Karriere machen können.“
Scheier wurde von einigen Mitgliedern ihrer Talentliste begleitet. Der elfjährige Sebastian Ortiz, der am Broadway als Tiny Tim in A Christmas Carol auftrat und an Zerebralparese leidet, beschrieb, wie wichtig seine Mitwirkung bei der Gestaltung von Kleidung für ‚French Toast Adaptive‘ war, einer Kinderbekleidungslinie, die sich auf Uniformen und Freizeitkleidung spezialisiert hat. „Es hat mein Leben verändert, dass ich meine Mutter nicht mehr anrufen musste, um mir beim Anziehen zu helfen“, sagte er. Ein weiteres Gamut-Talent, Chase Merriweather, ein Sportler mit Amputation, auch bekannt als Chaseman, scherzte: „Nie mehr ‚Mama, kannst du mir mit meinen Knöpfen helfen‘. Jetzt kann ich mich wieder meinem Spiel widmen.“
Scheier zog ein Hemd von Sonoma, einer Eigenmarke von Kohl's, hervor, ein klassisches Stück, aber mit Magneten als Verschlüssen, das es auch in einer Denim-Version mit Klettverschluss gibt. Die Anpassungen waren unauffällig. Jeder Mensch könnte diese Hemden tragen. „Es ist wichtig, den Designteams klarzumachen, dass es nicht darum geht, etwas von Grund auf neu zu designen“, so Scheier. „Es geht nur darum, das gleiche Produkt für mehr Menschen tragbar zu machen.“
Der Knopf und das Knopfloch wurden im dreizehnten Jahrhundert entwickelt. „Die Tatsache, dass wir diese Technologie in der heutigen Zeit, in der wir unser Leben buchstäblich von unserem Telefon aus steuern, immer noch verwenden, ist bemerkenswert.“ Anhand eines Sneakers von Steve Madden zeigt sie, wie das Designteam erfolgreich neu überdacht hat, wie ein Fuß in einen Schuh passt. „Die Einlagen sind leicht herausnehmbar, was für Menschen mit Orthesen oder Schienen wichtig ist. ;an muss die Schnürsenkel nicht binden, aber der Schuh sieht aus wie jeder andere Sneaker“, erklärt Scheier.
Adidas-Rucksack mit Gamut-Gütesiegel
Es war das erste Mal, dass auf der Messe der National Retail Federation adaptive Produkte für Menschen mit Behinderungen vorgestellt wurden, und Gamut wählte sie, um sein erstes Produkt mit dem Gamut-Gütesiegel vorzustellen: einen Adidas-Rucksack. Es handelt sich um eine Zusammenarbeit zwischen der Sportmarke und den Talenten von Gamut. „Jedes Detail, von der Art und Weise, wie der Rucksack aufrecht steht, über die überdimensionierten Zierleisten bis hin zu der Art und Weise, wie der Rucksack auf Körper mit unterschiedlichen Fähigkeiten oder Stühlen passt, ist ein Produkt der Erkenntnisse der Nutzer:innen,“ so Laura Jenks, Präsidentin von Adidas Accessories x Agron, Inc. gegenüber FashionUnited. „Gamut Management unterstützte uns, um sicherzustellen, dass wir eine direkte und verständliche Kommunikation führen und das Feedback entsprechend anpassen. Der Prozess war sehr intensiv und hat unserem Team sehr viel Spaß gemacht.“
Die Bewunderung beruht auf Gegenseitigkeit: „Adidas war so bemüht in dem Prozess, dass sie alle Kriterien für die Zertifizierung mit Leichtigkeit erfüllten“, sagte Scheier, aber sie wies jede Vorstellung, alle Antworten zu haben. Auch sie gibt zu, dass sie jeden Tag dazulernt. Nachdem sie das Produkt getragen haben, kommen die Kund:innen vielleicht mit neuem Feedback zurück und diese Daten fließen in die Weiterentwicklung der Produktion ein, um der Gemeinschaft besser zu dienen. „Alles kommt von den Leuten“, so Scheier.
Offenheit, Neugierde und das Ziel, ein effektiveres Design zu gestalten, sind der Schlüssel zu einer erfolgreichen Zusammenarbeit. „Adidas sieht Möglichkeiten, wo andere Probleme sehen“, erklärte Jenks. „Als wir erkannten, dass es möglich ist, Produkte mit speziellen Funktionen zu entwickeln, die Schüler:innen mit adaptiven Bedürfnissen das Tragen von Büchern und Laptops erleichtern, wollten wir ein Teil der Lösung sein. Es sind noch mehr Ideen in Arbeit! Unmöglich ist nichts!“
Scheiers Sohn Oliver wird nächstes Jahr aufs College gehen. Die Tatsache, dass er seinen Zimmernachbarn dank der adaptiven Sneaker nicht um Hilfe beim Anziehen seiner Schuhe bitten muss, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Autonomie und Würde sind das Recht eines jeden Menschen, aber sie sind besonders wichtig für jemanden, der das Erwachsenenalter erreicht und zum ersten Mal von zu Hause auszieht. In der Zwischenzeit wird Scheier weiterhin Erfinder:innen in allen Branchen dazu auffordern, das Leben für Menschen mit Behinderungen zu erleichtern und gleichzeitig ihr Business zu erweitern.
Dieser Artikel wurde auf FashionUnited.com veröffentlicht. Übersetzung und redaktionelle Bearbeitung: Barbara Russ