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Kaufen oder nicht kaufen: die Verführung durch billige Kleidung

Von Simone Preuss

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Mode |MEINUNG

Die meisten von uns haben inzwischen zumindest am Rande mitbekommen, wie und wo Kleidung unter oft unzureichenden Bedingungen hergestellt wird: in Fabriken mit Sicherheitsmängeln, wo Arbeiterinnen viel Stunden am Tag für einen Hungerlohn schuften. Obwohl dies die schlechtesten Bedingungen sein mögen und es eine Reihe verschiedener Arbeitsmodelle und Fabriken gibt, gilt die Faustregel: Je billiger ein Kleidungsstück ist, umso geringer die Chancen, dass etwas der (geringen) Profite auch an die Arbeiter weitergegeben wird.

So weit, so einleuchtend. Verbraucher sind heutzutage recht gut informiert und eine wachsende Anzahl möchte wissen, wo die Kleidungssücke, die sie tragen herkommen. Ein Experiment mit einem Automaten, der 2-Euro-T-Shirts verkauft (s. Video unten), hat gezeigt, dass Kunden vor dem Kauf solch billiger Ware zurückschrecken, wenn sie über die Herstellungsbedingungen informiert sind. Warum kaufen die Leute also weiterhin billige Kleidung? Die Antwort drängte sich mir - einer Mode-Journalistin, die seit über zwei Jahre über die Herstellungsbedingungen in sogenannten Billiglohnländern schreibt - vor ein paar Wochen auf.

Ich war mit Freunden in einem großen Einkaufszentrum bummeln und wir waren gerade dabei, ein Modegeschäft zu betreten. Ich hatte mir aus verschiedenen Gründen fest vorgenommen, meine Freunde nur zu begleiten und nichts zu kaufen. Zum einen ist mein Kleiderschrank bereits zum Bersten voll und ich versuche meinen Konsum im Allgemeinen einzuschränken und zum anderen kannte ich die Marke nicht. Meine Freunde schauten hier und dort und ich tat das gleiche und untersuchte auch das eine oder andere Etikett auf eine Herstellungsangabe - eine Berufskrankheit.

Ich las auch prompt "Made in Bangladesh"'. 'Aha, eine dieser Marken', dachte ich und schaute weiter. "Made in China". Nicht schlecht. Endgegen der landläufigen Meinung ist China nicht mehr das Billiglohnland, das es einmal war. Tatsächlich ist es eines der wenigen Länder, die in den letzten Jahren den Mindestlohn so weit heraufgesetzt haben, dass er fast das Existenzminimum deckt. (Weshalb sich einige Auftraggeber auch prompt zurückgezogen und nach anderen Produktionsländern umgesehen haben.) Ich schaute gelangweilt weiter durch die verschiedenen Kleidungsstücke. Und dann passierte es... Ich sah auf der anderen Seite des Ladens den perfektesten blau-weiß gestreiften Kapuzenpullover. Und er war heruntergesetzt!

Ein Pullover für 7,50 Euro?

Mein Herz fing an, schneller zu schlagen, als ich mir einen Weg durch den Laden bahnte. Da war er. Ich streckte meine Hand aus, um das Material zu fühlen. Baumwolle. Weich und angenehm, nicht zu dick. Perfekt für einen lauen Sommerabend. Ich nahm den Pullover samt Bügel und warf einen Blick aufs Etikett, um mich zu überzeugen - 80 Prozent Baumwolle, 20 Prozent Polyester. Okay. Und dann sah ich den Preis. 50 Prozent reduziert! Also nur noch 7,50 Euro. Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen.

Im Sweatshop gemacht. Arme 16-, 17-jährige Mädchen mussten wahrscheinlich Teile eben dieses Pullovers bis spät in die Nacht zusammennähen, um ihre Familien zu unterstützen. Und nur, damit jemand wie ich seinen Kleiderschrank mit mehr Klamotten füllen kann, die er nicht braucht. Ich seufte, hing den Kapuzenpullover zurück auf die Stange, drehte mich um und suchte meine Freunde.

Ich fand sie bei den Bademoden und ging zu ihnen hinüber. "Was gefunden?" fragte ich. "Wir schauen nur", antworteten sie. "Und du?" "Ja, ich glaube, aber ich bin mir nicht sicher. Wollt ihr es sehen?" Sie nickten und so gingen wir zu 'meinem' Kapuzenpullover. Da war er und sah noch immer genauso schön und bequem aus wie vorher. "Ich glaube, ich mag diesen," sagte ich und hielt den Pullover hoch. "Schön," sagte die einer meiner Freundinnen. "Und billig," sagte die andere und zeigte auf das Preisschild. "Ich weiß," seufzte ich.

Dann erspähten sie etwas anderes, gingen lachend davon und ließen mich mit dem Kapuzenpullover alleine. 'Vielleicht sollte ich ihn anprobieren', dachte ich und hatte ihn schon über den Kopf gezogen, bevor ich den Gedanken zu Ende denken konnte. Ah, perfekt. Ich wusste es. Fühlte sich perfekt an und passte auch perfekt. Verdammt. Ich zog ihn schnell wieder aus, hängte ihn zurück auf den Bügel und ging davon.

Puh, geschafft. Ich kann nichts kaufen, was unter ausbeuterischen Bedingungen hergestellt wurde. Auf keinen Fall. Ich versuchte, mich zu erinnern, ob ich irgend etwas über die Marke gehört hatte. Nichts. Eine recht neue Marke. Vielleicht stand auf dem Etikett ja etwas über eine Muttergesellschaft? Ja, da war was, aber auch der genannte Konzern sagte mir nichts. Ich registrierte jedoch, wie viele Informationen auf dem Etikett vermerkt waren. Das ist längst nicht selbstverständlich. Viele Unternehmen produzieren in Ländern wie Bangladesch, Pakistan, Indien, Vietnam, Kambodscha und halten es nicht für nötig, das auch zu erwähnen. Als ob die Kleidungsstücke einfach so aus dem Nichts erschienen wären.

Okay, ich konnte ja noch einmal schauen. Vielleicht war 'mein' Pullover ja nicht in Bangladesch hergestellt worden. Ich suchte nach dem Etikett. Doch, war er. Ich seufzte wieder und war schon dabei, mich umzudrehen und wegzugehen, als ich mich anders entschied. Ich griff mir den Kapuzenpullover samt Bügel und ging zielstrebig auf die Kasse zu. "Ich nehme ihn, muss nur noch bezahlen," rief ich meinen Freundinnen zu, die dabei waren, den Laden zu verlassen. "Okay, wir gehen schon mal zu H&M", riefen sie. Ich nickte. "Ich komm' dann dahin."

Niemand war an der Kasse. Ich schaute mich um. Niemand zu sehen. Also Zeit, nochmal über meinen Kauf nachzudenken. Aber jetzt hatte ich mich entschieden. Ich wollte den Pullover. Da kam auch schon eine freundliche Verkäuferin, wünschte mir einen guten Tag und scannte das Preisschild. "Sieben neunundvierzig bitte", sagte sie. 'Unglaublich billig', dachte ich und reichte ihr das Geld. Sie packte den Kapuzenpulli in eine Plastiktüte und hielt sie mir hin. Plötzlich bekam ich Schuldgefühle. Was hatte ich getan? Ich nahm die Tüte und eilte aus dem Laden, ins nächste Fast Fashion-Paradies, um meine Freunde zu treffen.

Das Dilemma der Verbraucher

Was kann man von dieser Anekdote lernen? Ich glaube, eine ganze Menge. Zumindest war sie für mich, einer wie ich dachte gut eingeweihten Mode-Insiderin, sehr lehrreich, da ich mich dem gleichen Kaufzwang ausgesetzt fühlte, wie jeder andere Kunde auch. Anscheindend kann sich dem niemand entziehen. Psychologisch gibt das Beispiel einiges her und Marketingstrategen beuten die Schwächen der Verbraucher bereits seit Jahrzehnten aus. Ich weiß bis heute nicht genau, was mich gegen mein besseres Wissen bewogen hat, den Kapuzenpullover doch noch zu kaufen. Nur vielleicht, dass sich nichts zwischen eine Frau und ein Kleidungsstück stellen kann, in das sie sich verliebt hat. Besonders, wenn es Liebe auf den ersten Blick war.

Sollen wir uns also jedes Mal, wenn wir billige Kleidung kaufen, schuldig und schlecht fühlen? Sicher nicht. Schließlich würden diejenigen zuerst unter einem Kaufboykott leiden, die ihre Arbeitsplätze am meisten brauchen - die Arbeiter.

Aber sollen wir immer nach den besten Schnäppchen schauen und uns hauptsächlich vom Preis (ver)leiten lassen? Sicher nicht. Der Kleiderkauf ist kompliziert geworden, eine Gratwanderung. Schließlich sind die Preise keiner anderen Branche (trotz Inflation) in den letzten 40 Jahren gefallen.

Was wir als Verbraucher tun können, ist mehr über Marken herauszufinden, egal ob wir sie mögen oder nicht, so dass wir fundierte Entscheidungen treffen können. Und dann von denen zu kaufen, die wir unterstützen wollen. Und sie dies auch wissen lassen. Um deutlich zu machen, dass wir als Verbraucher mehr Transparenz fordern und dass es uns am Herzen liegt, dass diejenigen, die unsere Kleidung herstellen, auch von ihren Löhnen leben können.

Nachdem ich den Kapuzenpullover gekauft hatte und zu Hause angekommen war, fühlte ich mich immer noch schlecht. Aber ich informierte mich über die Marke und fand heraus, dass sie in Bangladesch produziert und ihre Etiketten sogar in einer der Fabriken nach dem Einsturz des Rana Plaza-Gebäudes gefunden wurden. Aber es war auch eins der ersten Unternehmen, die das Abkommen zu Brandschutz und Gebäudesicherheit in Bangladesch unterzeichneten. Und danach fühlte ich mich besser.

Fotos: eflon / Takashi Hososhima / Bangladesh Alliance
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