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Kümmert sich die europäische Modebranche genug um Black Lives Matter?

Von Jackie Mallon

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Mode|KOMMENTAR

New-York - Vor dem Hintergrund der Black Lives Matter-Proteste und der Digitalen London Fashion Week veröffentlichte der British Fashion Council ein Statement zu den Herausforderungen der Branche: "Die jüngsten Ereignisse in den USA haben gezeigt, dass nichts dringlicher ist, als Vorurteile und Diskriminierung aufgrund von Herkunft und Ethnie zu bekämpfen", schrieb Caroline Rush, die Vorstandsvorsitzende des BFC, und "wir müssen jetzt unsere Anstrengungen verdoppeln, um gegen Rassismus in all seinen Formen vorzugehen und darüber nachzudenken, warum diese extreme Situation entstehen musste, um die Branche zum Handeln zu bewegen."

Für Schwarze, die in der europäischen Modeindustrie arbeiten, stellt sich diese Frage schon ihre gesamte Karriere hinweg. Am Dienstag brachte der Fashion Roundtable fünf People of Color zusammen, die von der Organisatorin Karen Binns ausgewählt wurden, weil sie, wie sie sagt, "das Gefühl hatten, dass sie immer viel zu sagen hatten, aber nie die Chance dazu bekamen". Sie beginnt das Gespräch mit der Frage, wie die italienische Modeindustrie beginnen kann, sich der Existenz ihrer rassistischen Vergangenheit zu stellen.

Der in Mailand lebende Amerikaner Edward Buchanan, der seit 20 Jahren als Designer in der italienischen Modebranche tätig ist und von Bottega Veneta als Parsons-Absolvent eingestellt wurde, ist aktuell Kreativdirektor der Luxus-Strickwarenmarke Sansovino 6. Er erinnert sich daran, wie er Schwarze in der Branche an einer Hand abzählen konnte. "Es war eine interessante Stimmung, die aus New York kam", sagt er. "Die Italiener sahen die Schwarzen so: entweder verkaufen sie gefälschte Prada-Taschen auf der Straße, oder sie arbeiteten in der Modebranche, es gab nichts dazwischen.” Während er sich an sein neues Zuhause gewöhnte, bemerkte er die Abwesenheit schwarzer Politiker in der Regierung, schwarzer Beamter in Ämtern und sogar schwarzer Taxifahrer. Seiner Meinung nach muss die Geschichte des Kolonialismus in Libyen, Eritrea, Somalia und Albanien zum Gespräch werden, und man muss das Patriarchatsproblem Italiens einbeziehen, wenn das Land dringend benötigte Fortschritte bei sozialer Gerechtigkeit machen will.

Dr. Royce Mahawatte, Fashion Roundtable Research and Development Director, der auch Kulturwissenschaften am Central Saint Martins College lehrt, stimmt zu, dass man nicht über Mode sprechen kann, ohne über koloniale Geschichte und Imperialismus zu sprechen. "Es gibt keine Modeindustrie ohne den Baumwollhandel", sagt er.

Die Europäische Modeindustrie geht zu langsam gegen Rassismus vor

"Insgesamt ist das italienische System von Unsicherheit und Arroganz geprägt", sagt Buchanan. Wenn ein Gespräch über Diversity stattfindet, denken die Machthaber, dass es etwas ist, das "dort drüben" passiert. "Mit da drüben meine ich die Vereinigten Staaten. Sie denken, dass das, was dort drüben geschieht, mit ihrer Geschichte oder mit dem, was sie tun, nicht zusammenhängt.” Buchanan wird das Verdienst zugeschrieben, Bottega Veneta auf den Weg zu der Relevanz gebracht zu haben, die es heute genießt. "Ich war qualifiziert, aber ich hatte auch großes Glück, dass mir diese Position angeboten wurde", gibt er zu.

Die Kraft, die es kostet, in der Modebranche schwarz zu sein, kann fast wie eine Form unbezahlter Überstunden klingen. Michelle Noel, CEO der in London ansässigen Markenmanagement-Beratung MNN Agency, bekommt Bauchschmerzen, wenn sie mit der kaum verhohlenen Respektlosigkeit konfrontiert wird, die weißen Kollegen nicht kennen, und fügt hinzu: "Ich muss das ertragen, aber auch meine Arbeit weiterführen. Es ist eine zusätzliche Belastung und kostet Kraft. Ich bin hier, um eine Arbeit zu tun wie alle anderen auch". Sie erinnert sich an Situationen, in denen Einkäufer sie übergangen haben, um mit jemand weniger Qualifiziertem zu sprechen, einfach wegen ihrer Hautfarbe. "Ich weiß, dass ich die Situation nicht falsch verstehe", sagt sie und vergleicht das Gefühl, beruflich weiterkommen zu wollen, mit dem Gefühl, Stromaufwärts zu schwimmen - man sieht die Tür direkt vor sich, aber sie scheint trotzdem unerreichbar, weil der widerstand so groß ist. Nach Jahren dieser Frustrationen sagt sie nun: "Ich hebe die Tür aus den Angeln, ich reiße sie aus dem Rahmen. Ich nehme die Tür einfach mit."

Deborah Latouche, Moderedakteurin bei Elle Italia und Gründerin der Modemarke Sabirah, ist der Meinung, dass sich weiße Kolleginnen und Kollegen mit dieser Art der Konversation vertraut machen sollten, insbesondere innerhalb der Führungsriege der Branche. Es kann keine Rückkehr zum Status Quo geben, jetzt, wo so viele Menschen auf die Straße gegangen sind. "Ich möchte in der Lage sein, meine Gefühle auszudrücken, ohne das Etikett der wütenden Schwarzen Frau aufgedrückt zu bekommen", sagt sie.

Buchanan glaubt, dass die anhaltende Abwesenheit von Schwarzen in Entscheidungspositionen innerhalb der italienischen Industrie die Ursache für die rassistisch unsensiblen Botschaften und die katastrophal taktlosen Produkte der letzten Jahre durch Gucci, Prada und Dolce & Gabbana war, für die sie jeweils einen Shitstorm ernteten. "Das liegt alles daran, dass sie keine PoC in ihren inneren Reihen hatten." Dieser Mangel an Multikulturalismus innerhalb der Branche ist lediglich ein Spiegelbild der Gesellschaft als Ganzes. Buchanan fügt hinzu: "Es gibt in Italien geborene Afroitaliener, die nie als Italiener betrachtet werden, die aber den gleichen Raum und Respekt verdienen wie weiße Italiener."

Ein paar Models of Color zu integrieren, um die Vielfalt in einer Werbekampagne zu repräsentieren, war die Antwort der Marken auf die Kritik, aber es ist an der Zeit, dass solche Tokenisms verschwinden. "Ich will keinen Platz am Tisch aufgrund meiner Hautfarbe", sagt Noel. "Ich will nicht, dass sie mich einladen. Ich will es mir verdienen, ich will als Gleichgestellte gesehen werden." Latouche stimmt zu, dass ein Platz am Tisch allein nicht ausreicht: "Auch wenn ich mit am Tisch sitze und sprechen kann, müssen die Menschen, die nicht wie ich aussehen, mir zuhören und mir beistehen."

Binns beschreibt diese Kultur als wahren modernen Luxus, und so stellt sie die Luxusindustrie vor eine Herausforderung: "Wenn Sie unsere Kultur als Inspiration nutzen wollen, müssen sie auch die Verantwortung übernehmen". Es ist kein Geheimnis, dass die Kaufkraft der Schwarzen für europäische Marken wichtig ist, und die Industrie kann sich nicht mit der Black Lives Matter-Bewegung verbünden, ohne sich mit ihrem eigenen Rassismus auseinanderzusetzen: "Modeleute sind gut darin, zu wissen, was man nicht wissen darf", sagt Mahawatte. Aber wenn Wissen Macht bedeutet, muss der nächste Schritt, um das Unrecht wiedergutzumachen, die Dekolonisierung des Lehrplans an den Modeschulen sein. Buchanan, der auch unterrichtet und in der Regel die einzige farbige Person im Klassenzimmer ist, ist der Ansicht, dass Pläne zur Einstellung von mehr PoC an Fakultäten und in der Verwaltung hinausgehen müssen. "Ein guter erster Schritt ist, sich anzusehen, wie die Studenten rekrutiert werden", sagt er. "Man geht nach China oder nach Japan, um zu rekrutieren. Aber warum nicht nach Afrika?"

Dies ist eine Übersetzung eines englischen Beitrags von Jackie Mallon. Jackie Mallon lehrt Mode in New York und ist die Autorin des Buches ‚Silk for the Feed Dogs’, ein Roman, der in der internationalen Modeindustrie spielt. Übersetzung und Bearbeitung: Barbara Russ

Foto: Fashion Roundtable

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