Lidewij Edelkoort – die große Emanzipation der Mode
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Als Lidewij Edelkoort im vergangenen Jahr das ‚Ende der Mode, wie wir sie kennen’ verkündete, da horchte die gesamte Modewelt kurz auf. Das Medienecho war groß, denn wenn die wohl wichtigste Trendforscherin der Welt so eine spitze These aufstellt, dann nicht ohne Grund. Edelkoort führte weiter aus, die Mode habe ihre Aussagekraft verloren, sie sei zu einer „lächerlichen und bemitleidenswerten Parodie dessen geworden, was sie einst war“. Als Gründe für diese Entwicklung sah sie damals die Modeschulen, die ihre Studenten zu Laufstegdesignern ausbildeten, anstatt sie zu guten Teamplayern für die Sharing Economy zu machen, eine zu starke Koppelung von medialer Berichterstattung an Anzeigenverkäufe und zu guter Letzt die Unternehmen, die Vision gegen Geldgier eingetauscht hätten.
Die Mode emanzipiert sich von Konventionen
Wenn auch die Probleme der Mode noch nicht gelöst sind, so muss sie doch weitergehen, denn sie lebt von Innovation und Schnelllebigkeit. Aus der Asche des von Li Edelkoort prophezeiten Untergangs der Mode steigt nun, in ihrem Vortrag für Frühjahr/Sommer 2017, ein Phönix ganz anderer Gestalt auf. Die Gesellschaft, und mit ihr die Mode, werde sich von gewohnten Schemata ablösen und emanzipieren, so die Trendkoryphäe. In ihrem neuen Manifest prophezeit sie nichts Geringeres als ‚The Emancipation of Everything’. Diese große gesellschaftliche Emanzipation soll alle sozialen Bereiche betreffen und althergebrachte Normen von Geschlecht, Alter und Ethnie über Bord werfen.
Diese Entwicklung, die sie nach eigener Aussage ‚seit 20 Jahren’ vorhersagt, ginge nun in den Mainstream über. Im Zuge des bereits stattfindenden gesellschaftlichen Wandels werde auch im Design alles neu überdacht, so die Aussage der Trendforecasterin: ‚Braucht ein Glas einen Stiel?’, ‚Braucht ein Schuh einen Absatz?’, ‚Braucht ein Rock einen Saum?’ sind nur einige Beispiele für dieses allumfassende Umdenken im angewandten gestalterischen Bereich. Um diesen Wandel zu bewerkstelligen, muss der Designer zurück zum Anfang, ebenso wie der Reformer gesellschaftliche Konventionen erst sichtbar machen muss, um diese zu verändern. Nun geht die Mode also zurück zu ihren Wurzeln und überdenkt Farben, Fasern und Techniken neu.
Die Emanzipation der Farben
So befreit sich zum Beispiel das lange in die Basic-Ecke verbannte Beige und bekommt eine Hauptrolle und auch Gelb hat einen Moment des Triumphes, so Edelkoort. Als besondere Überraschung darf Braun endlich wieder vorne mitspielen. Lidewij Edelkoort erinnert sich an eine Einladung zu einer Feier von Karl Lagerfeld in den 70er Jahren, bei der alle Gäste in Schwarz erschienen sollten – was viele der Geladenen vor ein Problem stellte, denn damals trug man nicht Schwarz, man trug Braun. In ihrem Punkt ‚The Tribalisation of Brown’ wirft Edelkoort sogar die Frage auf, ob ein gewisser Farben-Rassismus für die Absenz brauner Töne verantwortlich gewesen sein könnte.
Das Erwachen der südlichen Hemisphäre, erweckt durch die sich eröffnenden Möglichkeiten der globalen Partizipation, wirkt sich besonders auf die Farbwelten aus. Tropisch, farbenfroh und exotisch sind die Schlagworte, die Edelkoort benutzt.
Handwerk, Techniken und Kreation
Das Comeback der Couture ist Ausdruck eines größeren und tiefschürfenderen gesellschaftlichen Umbruchs, nämlich einer Rückkehr zur lokalen Fertigung. Handwerkliche Techniken, die bereits vom Aussterben bedroht waren, weil sämtliches Handwerk nach Übersee verlagert wurde, steht wieder hoch im Kurs. Auch bei anderen Völkern wird auf die Hände geschaut. Folklore und regionale Handwerkstechniken werden wiederbelebt, ethnische Muster respektvoll in die Moderne geholt. Dem Trend zur Manufaktur folgt eine Aufwertung handgearbeiteter Basics aus erlesener Baumwolle, weichem Leinen und hochwertigen Jerseyqualitäten. Fasern bekommen einen ganz neuen Platz im Rampenlicht: Ananas-, Hanf-, Bast- und Leinenfasern werden durch Stricken, Flechten und Wickeln sichtbar und kunstvoll eingesetzt.
Alte, Frauen, Männer – veraltete Kategorien
‚Hybrid’ ist das neue Zaubertwort, wenn es um soziale Zugehörigkeiten geht. Alter verliert seine Stigmata, das Zusammenleben von Mehrgenerationen-Haushalten nivelliert Unterschiede zwischen den Alten und den jungen, Generationenkonflikte werden beigelegt, der Austausch zwischen den gelebten Erfahrungswelten bringt Harmonie.
Eine Frau muss sich nicht mehr maskulin kleiden, um Dominanz oder Kompetenz zu beweisen, laut Li Edelkoort befinden wir uns auf dem langsamen Weg in eine matriarchalische Gesellschaft, in der Frauen Bürgermeisterinnen, Brandmanagerinnen und Staatspräsidentinnen sind. Im Gegenzug befreien sich die Männer, so ihre Aussage, derzeit von den Ketten der Maskulinität und bekennen sich zu ihrer softeren, sensibleren Seite. In der HAKA werden die Farben dadurch ebenfalls softer, die Schnitte und die Bekleidungszwänge gelockert. Auch im Produktdesign schlägt sich diese Entwicklung in Hybriden nieder.