Loyalität war gestern: Wie Modemarken im neuen Normal Kunden binden
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Nicht erst seit Corona erodiert die Loyalität gegenüber Marken. Das Fehlen physischer Touchpoints, die Auswahlmöglichkeiten im E-Commerce und die vielen konkurrierenden Markenbotschaften setzen große Modemarken unter Druck und stellen kleine vor große Herausforderungen. Für die jüngeren Zielgruppen muss Markenbindung neu gedacht und anders inszeniert werden. Ulrich Köhler, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Trendbüro, beleuchtet veränderte Konsumentenerwartungen zwischen Fast Fashion und individuellem Erfolg, Trends im Bereich Loyalität und Potenziale für Fashion-Brands und -Retailer.
Die Pandemie hat viele Veränderungsprozesse beschleunigt, die für Fashion-Brands eigentlich große Chancen böten. Konsument:innen vertrauen beispielsweise immer weniger der Politik und den Medien. Laut dem im Frühjahr erschienenen Edelman-Trust-Barometer wird Unternehmen in 18 von 27 untersuchten Ländern bereits mehr vertraut als dem Staat. (Deutschland hat sich trotz massivem Vertrauenseinbruch bis zuletzt gegen den Trend gestemmt) Unternehmen und ihren Marken fällt demnach qua Existenz mittlerweile eine besondere Rolle in der Gesellschaft zu: Sie müssen Vertrauen aufbauen, Orientierung bieten und nach Möglichkeit die Art von Bindung herstellen, die auf anderer Ebene verlorengegangen ist.
Probieren zur Gewohnheit machen
Doch gerade hier liegt viel ungenutztes Potenzial: Die veränderten Konsumgewohnheiten während der Pandemie haben dazu geführt, dass Loyalität gegenüber Marken stärker noch als zuvor erodiert. McKinsey warnte in einer Untersuchung bereits im vergangenen August, dass 36 Prozent der Konsument:innen neue Marken und 25 Prozent Private Labels ausprobiert haben. Rund dreiviertel von Ihnen haben das Probieren zur Gewohnheit gemacht. Wichtigste Anlässe für den Markenwechsel: „Verfügbarkeit“ und „Convenience.“
Ein Blick nach China – trotz zahlreicher Rückschläge noch immer einer der Vorreiter im Umgang mit Covid-19 – zeigt, dass nach den Schätzungen des Trendbüros in urbanen Zentren bis zu einem Viertel der Retailer aufgegeben haben. Um diesem Schicksal zu entgehen, haben Couponing, Rabatte und Loyalitätsprogramme in China an Popularität stark zugenommen. Hinzu kommt der Fluch etlicher Pandemie-Innovationen: Streamed-Shopping, digitale Beratung und virtuelle Anproberäume haben dauerhaft die Erwartungen von Konsument:innnen verändert. Diese Angebote werden nun immer häufiger in physische Markenorte integriert – und mit einem immer komplexeren Onlineangebot verschmolzen.
Neudefinition von wirtschaftlichem Erfolg
Die Erosion von Markenbindung beschleunigt eine weitere vom digitalen Wandel beschleunigte Entwicklung: Die Deutungshoheit über Trends – zumal in der Modebranche – wandert zunehmend weg von den großen Marken und etablierten Designern. Die allgegenwärtige Dezentralisierung macht sich auch hier breit: Influencer, soziale Netze und deren schwer vorhersehbare Hypes takten Konsumentenwünsche neu und meist unabhängig von Kollektionen und Produktionszyklen.
Jenseits der scheinbar unfairen Ausgangslage für den Onlinehandel und Fashion-Hypes aus der Bloggersphere gibt es noch eine weitere Ursache für den Loyalitätsschwund. Bereits 2019 publizierte das Fachmagazin Business of Fashion einen Report, der darauf hinwies, dass neun von zehn Mitglieder der Generation Z (geboren ab dem Jahr 2000) überzeugt sind, dass Modeunternehmen große Verantwortung gegenüber Umwelt- und Sozialthemen haben. Auch im Werte-Index, einer vom Trendbüro durchgeführten Langzeitanalyse des Wertewandels in der deutschsprachigen Gesellschaft, zeigt sich seit Pandemiebeginn der immer stärkere Wunsch nach einer Neudefinition von wirtschaftlichem Erfolg. Wenn über Transparenz und Authentizität gesprochen wird, dann immer häufiger im Kontext nachhaltiger Unternehmensziele. Und hier schließt sich der Kreis: Es sind gerade die (online verfügbaren) Fashion-Start-ups, die mit einem Abgesang auf Fast Fashion und neu gedachten Produktionsketten die etablierten Unternehmen vor sich hertreiben.
Sehnsucht nach sozialer Interaktion
Doch was heißt das nun für die Zeit mit und nach Corona? Ein Schlüssel zu mehr Kundenbindung ist in jedem Fall, die digitalen Aktivitäten an Zielen jenseits des vertrieblichen Erfolgs zu messen. Denn jeder Kanal, jede Plattform baut Kontakt zur Zielgruppe auf oder hält ihn. US-Designerin Rebecca Minkoff beispielsweise sah die Einschränkungen der New York Fashion Week als Chance und nutzte jeden digitalen Kanal, der ihr einen Ertrag (ROI) für ihre Investition bot. So tauchte sie nicht nur in den wichtigsten Clubhouse-Talks auf, sie streamte ihre Runway-Show auf Instagram und TikTok, bot Einblicke hinter die Kulissen auf OnlyFans und ermöglichte ein Augmented-Reality-Erlebnis der Show über das RiotLab auf Yahoo.com.
In Zukunft ist also weniger entscheidend, wo Marken konsumiert werden, sondern ob sie sich mit den Werten der Zielgruppe decken und in welche Routinen sie eingebunden sind. Es ist eine romantische Vorstellung, dass die Sehnsucht nach sozialer Interaktion die Menschen nach der Pandemie dauerhaft in den Mode-Einzelhandel treibt und die Umsätze auf Pre-Corona-Werte bringt. Selbst die angesprochene Flut an Coupons wird den Wunschzustand nicht mehr herstellen – zumal dieser schon vor 2020 Grund zur Sorge gab. Wer aber ein klares Konzept zur Digitalisierung des eigenen Geschäfts hat und Mut mitbringt für mehr Nachhaltigkeit, mehr Geschwindigkeit und zu Dezentralisierung, wird über das zweite Krisenjahr hinaus das bieten, was sich Konsument:innen derzeit so sehr wünschen: Orientierung und Gemeinschaft.
Das Trendbüro entwickelt Konsumenten-Insights, Innovationsstrategien und Markenleitfäden für Kunden verschiedener Industrien. Seit 1992 untersucht das Team Megatrends, technologischen Wandel und gesellschaftliche Entwicklungen sowie deren Einfluss auf Konsumenten und Märkte. Sie übersetzen sie in klare Handlungsanweisungen, auf Basis derer sich Unternehmen an den Wandel anpassen und den Kunden von morgen ansprechen können.
Titelbild: Chalo Garcia/Unsplash