Mehr Drama, Baby. Wo sind die spektakulären Runway-Shows hin?
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Dank Instagram kann heute jeder sich so fühlen, als säße er in der ersten Reihe bei einer Modenschau, gleich neben Anna Wintour höchstpersönlich. Doch die meisten modernen Laufstege ähneln Fließbändern voller Merchandising-Ware; sie sind kaum mehr voneinander zu unterscheiden. Vor gar nicht allzu langer Zeit war das anders: Modenschauen waren Spektakel, Happenings. Die wirklich Außergewöhnlichen darunter sind auch heute noch in das kollektive Gedächtnis eingebrannt. Alexander McQueen Schachbrett-Laufsteg für Frühjahr/Sommer 2005, bei dem ein Hologramm von Kate-Moss zum Gänsehaut erzeugenden Soundtrack von Schindlers Liste auf den Catwalk projiziert wurde, ist sicherlich eines der erinnerungswürdigsten.
Aber es gab mehr: Hussein Chalayans Herbst/Winter Modenschau 2000 wurde zu einer Tour de Force, in der er Kleidungsstücke in Möbel verwandelte wie ein Magier/Zimmermann/Schneider. Gallianos explosive Tüllkleider, die sich für Frühjahr/Sommer 1995 zwischen Oldtimern hindurch zwängten sind ebenso ikonische Momente geworden, wie die Christian Dior Frühjahr/Sommer 2003 Couture Show, bei der sich Origami, Kabuki, Schwertartisten, Einräder, radschlagende Tänzer, und Kopfbedeckungen in der Größe kleiner asiatischer Tempel auf dem Laufsteg tummelten. Das Publikum muss sich gefühlt haben, wie bei einem Medley aus Las Vegas-Show und Broadway. Marc Jacobs letzte Show für Louis Vuitton verzauberte Moderedakteure ebenso wie jede Saison, in der Karl Lagerfeld sich selbst übertrumpfen will, besonders die Frühjahr/Sommer 2008-Show mit einer riesenhaften Chanel-Jacke bleibt im Gedächtnis.
There’s no business like show business
Derzeit werden einige der vielbeachtetsten Laufstege von Frauen beherrscht und mehr Frauen denn je zuvor erwecken neue und bisher unbeachtete kreative Visionen zum Leben. Eine Welle des Feminismus schwappt durch die großen Häuser, von denen viele von Frauen gegründet wurden. Allerdings verdienen sich die Frauen nicht gerade einen Ruf mit ihren spektakulären Inszenierungen. Nun mutmaßen einige, dass männliche Designer das Modebusiness eher von seinem Showbiz-Faktor aus betrachten - sie bedienen sich am großen Tamtam, an Fantasiewelten und bringen diese auf die große Bühne - während Frauen wissen, wie sich die Kleider am Körper anfühlen und fallen sollen. Männliche Designer betrachten Damenmode von außen, während weibliche Designer ihre Designs auf viel intimere Weise erfahren. Sicherlich bringt diese etwas veraltete Sichtweise den kreativen Prozess nicht voran. Können die großen Frauen der Mode nicht beides vereinen - Kleider machen, die sowohl perfekt auf die weibliche Form zugeschnitten sind und zugleich das Publikum begeistern?
Ein Business wie kein anderes
Labels, die von Designerinnen wie Phoebe Philo, Maria Grazia Chiuri, Natacha Ramsay-Levi oder Clare Waight Keller geführt werden, präsentieren selbstbewusst auftretende Models, die vor Lebensfreude strotzen, weder lächeln, noch aggressive schauen, die Tasche unprätentiös um den Körper geschlungen oder lose in einer Hand gehalten. Eine geradlinige Parade stylischer Outfits, ohne Ablenkung durch Szenografie oder Choreografie. Weibliche Stimmen sind lauter vernehmbar als je zuvor in unserer Kultur - und viel davon hat mit der Repräsentation von Frauen auf dem Laufsteg zu tun - insbesondere der von verschiedenen Ethnien, Größen und Altersgruppen. Bei all den ernsthaften Kämpfen, die die Frauen austragen, hat die Mode dabei ihren Humor und den Sinn für das Absurde verloren, das den Spaß in die Mode bringt?
Wäre eine weiblcihe Designerin auf den Armadillo-Schuh gekommen? Fragte mich ein männlicher Designerfreund neulich. Ich erinnerte ihn daran, dass Vivienne Westwood in die Geschichtsbücher einging, also Naomi Campbell 1993 in ihrer Modenschau von ihren 9 Inch hohen Plattformschuhen fiel. Aber die Angst davor, dass Designerinnen wie Westwood oder Rei Kawakubo, die ihren späten Schaffensjahren entgegen gehen, keine Nachfolgerinnen finden, die bereit sind, Risiken einzugehen und echte Fashion-Moments zu kreieren, ist möglicherweise berechtigt.
Iris Van Herpens Arbeit zeigt eine fast an Magie grenzende kreative Vision, doch drehen sie sich alle Designs um die selbe Idee, sie haben kein Überraschungsmoment mehr und verursachen dadurch nicht das kollektive Staunen beim Zurückziehen des Vorhangs. Sie hat sich der Idee verschrieben, mittels 3D-Druck die Mode voranzubringen, nicht der Frage, wie Licht oder Inszenierung eine Kollektion transportieren können.
Everything about it is appealing
Wir befinden uns in einem Zeitalter, in dem viele die Sinnhaftigkeit von Laufsteg-Shows hinterfragen. Manche Designer haben versucht, die Routine zu durchbrechen, indem sie ihre Shows von New York nach Paris verlegt haben, oder von London nach Mailand. Aber die viel wichtigere Überlegung sollte sein, ob die Laufsteg-Präsentation noch zeitgemäß ist und wohin die Mode sich bewegt. Produkte zu verkaufen war immer der Grund für Laufsteg-Präsentationen, das zeigte sich auch in der Anglomania-Show er frühen 90er, die von einem Model eröffnet wurde, das sich die Handschuhe zu den Klängen on Mozart von den Händen zog, um auf den Catwalk eine Uhr aus der Verpackung zu nehmen und diese den restlichen Laufsteg lang zu bewundern, während aus ihrem Beutel ein Baguette ragte.
Das Storytelling hinter dem Verkauf
Das Bedürfnis etwas zu verkaufen ist stärker denn je. Darüber scheinen die Designer vergessen zu haben, wie wichtig es ist, zu den Produkten eine Geschichte zu erzählen. Die Designer, die das Spektakel zelebrierten waren nicht daran interessiert, leere Theatralik zu praktizieren. Es ging vielmehr um unmittelbare Kommunikation, die reinste Art, eine Geschichte zu über ihre Kollektionen erzählen und uns mittels der Macht der Fantasie aus dem beizeiten grauen Alltag zu entreißen. McQueen stellte seine Loyalität gegenüber seiner Freundin Kate Moss unter Beweis, als er sie zu einer beinahe göttlichen Erscheinung machte. So konnte sie ihren Kokain-Skandal überstehen. John Galliano war gerade von einer dreiwöchigen Odyssee durch Asien zurückgekehrt, Chalayan ließ sich von Flüchtlingen inspirieren, die auf ihrer lebensgefährlichen Flucht ihr Hab und Gut zurücklassen mussten. Können moderne Designer nicht auch Ideen zu Mode spinnen und uns gleichzeitig zum Kaufen verleiten? Bei dem aktuellen Maximalismus scheint das Timing gerade richtig für eine gut eingesetzte Kulisse. Zeit für Kronleuchter, Konzertflügel und Oldtimer, während die Front Row in pinkes Licht getaucht oder mit Trockeneis gezaubert wird! Unsere eingeschlafenen Geschmacksnerven könnten definitiv ein wenig Abwechslung vertragen, auch wenn die Überraschung wohl die Freude zuerst übertünchen würde.
Budget ist keine Ausrede
Wenn es am Geld liegt, sollten wir uns daran erinnern, dass Viktor und Rolf jedes ihrer Outfits an einem einzigen Model gezeigt haben, das auf einer sich drehenden Plattform stand. Lagen von schweren Stickereien, Puffärmeln und reich verzierten Brokatstoffen wurden ihr übergezogen, bis sie fast darin verschwand. Man kann sich ausrechnen, wie das das Casting-Budget geschont hat.
Dies ist die Übersetzung eines englischen Beitrags von Jackie Mallon. Jackie Mellon unterrichtet in New York verschiedene Modekurse und ist die Autorin des Buches ‚Silk for the Feed Dogs’, ein Roman, der in der internationalen Modeindustrie spielt.
Fotos: Alexander McQueen SS ‘07 - PIERRE VERDY / AFP
Collage 1: Alexander McQueen SS ‘07 - PIERRE VERDY / AFP, Alexander McQueen Shoes - Jackie Mallon Hussein Chalayan FW '00 - Wikimedia commons
Collage 2: Vivienne Westwood SS '93 - Flickr: Vivienne Westwood (14) via Wikimedia Commons, John Galliano/Dior SS '03 - PIERRE VERDY / AFP