'Mental Health in Fashion': Projekt macht auf psychische Gesundheit in der Modebranche aufmerksam
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Florian Müller ist seit 20 Jahren fester Bestandteil der Berliner Modeszene. Insider:innen kennen ihn in seiner Funktion als PR-Profi und Gast-Manager bei den Modenschauen der Fashion Week. Daneben hat er sich in den vergangenen Jahren fortgebildet, anknüpfend an seinem ehemaligen Psychologiestudium, um heute psychotherapeutisch arbeiten zu dürfen.
Diese beiden Welten, die der Mode und die der Psychologie, bringt er jetzt mit seinem neuen Projekt 'Mental Health in Fashion' zusammen – eine dringend notwendige und lange überfällige Idee. Denn Arbeitsrealitäten wie in 'Der Teufel trägt Prada' sind in der Modebranche lange Zeit nicht ungewöhnlich gewesen. Und daran ändert sich nur langsam etwas.
Herr Müller, wie kamen Sie dazu, Ihre Initiative für mentale Gesundheit in der Modebranche ins Leben zu rufen?
Meine Initiative 'Mental Health in Fashion' entstand aus dem Bedürfnis, die oft übersehenen Herausforderungen im Bereich der psychischen Gesundheit anzusprechen. In meinen zwanzig Jahren in der Modebranche habe ich festgestellt, dass der Druck, Standards und Erwartungen zu erfüllen, oft zu emotionalem Stress führt. Die stetige Suche nach Perfektion, die Konkurrenz und Unsicherheiten in dieser Branche können erhebliche Auswirkungen auf das Wohlbefinden haben.
Auch beobachtete ich eine hohe Prävalenz psychischer Erkrankungen, die entweder von Menschen in die Branche eingebracht oder aufgrund der vorherrschenden Denkweise und Arbeitsstrukturen entwickelt wurden.
Ebenso werden zum Teil Signale an die Öffentlichkeit gesendet, die sich negativ auf die mentale Gesundheit der Empfänger und Empfängerinnen auswirken können, wie etwa in Form von Essstörungen. Trotz der Kenntnis von weiteren biologischen und psychosozialen Risikofaktoren außerhalb der Modeindustrie, die Krankheiten begünstigen, sehe ich generell in meiner Berufssparte ein zu geringes Bewusstsein für dieses Thema. Ich betrachte die gesamte Lieferkette und spreche daher von einem komplexen und weitreichenden Rahmen möglicher Krankheiten in verschiedenen Kontexten.
In meinem Arbeitsumfeld ist es mir wichtig, das Bewusstsein für mentale Gesundheit zu fördern und das Stigma rund um psychische Probleme abzubauen. Ein Raum für Menschen in der Modebranche ist notwendig, in dem sie Unterstützung finden können, ohne das Gefühl zu haben, Schwäche zu zeigen.
Die Erkenntnis, dass in der Modebranche die mentale Gesundheit oft vernachlässigt wird, hat mich dazu motiviert, aktiv zu werden und eine Plattform zu schaffen, die Sensibilität und Verständnis fördert. Mein Ziel ist es, einen Dialog zu initiieren, der die Bedeutung der psychischen Gesundheit in der Modebranche hervorhebt und gleichzeitig eine unterstützende Gemeinschaft für die Betroffenen aufbaut. Dabei denke ich auch an Personen, die keine Kenntnis über ihren eigenen Krankheitswert haben, sowie an solche, die sich aufgrund von Scham oder Repression nicht mitteilen können oder dürfen.
Ist die Modebranche eine besonders ungesunde?
Die Modebranche befindet sich oft in einem Spannungsfeld zwischen ihrem äußeren Glanz und den internen Herausforderungen, die Auswirkungen auf die mentale Gesundheit der Menschen in der Branche haben können. Von außen betrachtet assoziiert man die Modeindustrie oft mit Glamour, Kreativität und Perfektion. Der öffentliche Fokus liegt auf den atemberaubenden Modenschauen, den kreativen Designs und den schillernden Persönlichkeiten, die die Branche prägen. Dieses Bild kann dazu führen, dass die realen, oft belastenden Aspekte des Modegeschäfts übersehen oder unterschätzt werden.
Welche sind das?
Intern erleben viele Menschen in der Modebranche eine erhebliche Beanspruchung, die sich negativ auf ihre mentale Gesundheit auswirken kann. Der ständige Konkurrenzkampf, die hohen Erwartungen, die Unsicherheit in Bezug auf Arbeitsplätze und die Anforderungen an körperliche Ästhetik können zu Stress, Angstzuständen und anderen psychischen Herausforderungen führen. Der Druck, immer perfekt und im Einklang mit oft unrealistischen Standards zu sein, kann zu einem ungesunden Arbeitsumfeld führen. Ich würde sogar behaupten, dass der Glanz der schönen Welt selbst Brancheninterne blendet und sie Probleme nicht erkennen lässt.
Ein weiteres behandeltes Thema ist der ungesunde Konsum von Mode, der auch Ursache für verschiedene Problematiken im Bereich der Nachhaltigkeit ist und somit von besonderer Relevanz. Entscheidungen, Kleidung zu kaufen, können sich nicht nur auf die eigene psychische Gesundheit auswirken, sondern auch auf die Arbeitsbedingungen und Lebensumstände der Menschen am anderen Ende der Lieferkette. Neben bekannten Herausforderungen wie Überproduktion, Kleiderbergen, Umweltverschmutzung und Ressourcenverschwendung steht dieser ungesunde Konsum im Fokus nachhaltiger Gesichtspunkte. Eine Fabrikarbeiterin könnte beispielsweise aufgrund katastrophaler Arbeitsbedingungen und zahlreicher existenzieller Probleme ein erhöhtes Risiko für Depressionen und Angststörungen entwickeln.
Was hoffen Sie, mit der Kampagne zu erreichen?
Meine Initiative für mentale Gesundheit in der Modeindustrie zielt darauf ab, das Ungleichgewicht zwischen der öffentlichen Wahrnehmung und den internen Realitäten anzugehen. Es ist entscheidend, die Branche dazu zu ermutigen, offen über mentale Gesundheit zu sprechen. Ich möchte Unterstützungsmechanismen schaffen und das Bewusstsein dafür schärfen, dass jede und jeder – unabhängig von Position oder Bekanntheit – mit den Herausforderungen der mentalen Gesundheit konfrontiert sein kann. Durch die Förderung dieser Offenheit tragen wir dazu bei, das Stigma abzubauen und eine gesündere sowie unterstützende Umgebung in der Modebranche zu schaffen.
Mein Ziel ist es außerdem, konkrete Schritte zu vermitteln, die jeder in seinen Alltag integrieren kann, um das eigene Wohlbefinden zu fördern, während gleichzeitig belastende Strukturen in der Modeindustrie aufgebrochen werden. Langfristig hoffe ich, dass die Kampagne zu einem positiven Wandel in der Kultur der Modebranche beiträgt, um eine Umgebung zu schaffen, die mehr Wert auf die Lebensqualität der Personen legt, die in dieser Branche arbeiten. Des Weiteren strebe ich an, dass die Kampagne nicht nur innerhalb der Modebranche, sondern auch darüber hinaus positive Veränderungen bewirkt, indem sie die Signalwirkung der Mode positiv nutzt und somit zur Sensibilisierung der Gesellschaft für mentale Erkrankungen beiträgt.
Wie können konkrete Schritte aussehen? Was tun Sie zum Beispiel selbst?
Es ist mir ein Anliegen zu betonen, dass mentale Gesundheit eine höchst individuelle Reise ist, und daher gibt es keine universelle Lösung. Diese Herausforderung verlangt eine vielschichtige Herangehensweise, die sowohl persönliche Praktiken als auch strukturelle Veränderungen umfasst.
Es ist wichtig zu differenzieren, ob präventive Maßnahmen oder bereits bestehende psychische Krankheiten behandelt werden, die im Rahmen professioneller Psychotherapie außerhalb des Arbeitsumfeldes betrachtet werden sollten. Zugleich stehen nicht alle Einzelnen gleichermaßen in der Lage, sich ihrem Wohlbefinden zu widmen. Dies kann auf prekäre Umstände zurückzuführen sein, in denen selbst grundlegende Bedürfnisse nicht erfüllt sind, oder weil das Problem möglicherweise nicht erkannt wird.
Persönlich praktiziere ich regelmäßige Selbstreflexion als Schlüsselgewohnheit. Dies ermöglicht es mir, bewusst auf meine Emotionen und Stressoren zu achten und Strategien zu entwickeln, um damit umzugehen. Diese Praxis ist nicht nur für mich selbst von Bedeutung, sondern auch ein zentraler Bestandteil meines Lehransatzes. In meinen Kursen ermutige ich Studierende dazu, ihre eigene mentale Gesundheit durch Reflexion zu fördern, und zeige, wie dies in den Kontext nachhaltiger Geschäftspraktiken integriert werden kann.
Ein weiterer wesentlicher Schwerpunkt liegt auf der Integration von Bewegung in den Alltag. Körperliche Aktivität hat nachweislich positive Auswirkungen auf die mentale Gesundheit. Sowohl in meinem persönlichen Leben als auch in meinem Unterricht betone ich die Bedeutung von regelmäßiger Bewegung als präventive Maßnahme.
Die Pflege sozialer Beziehungen ist ebenfalls von entscheidender Bedeutung. Sowohl privat als auch in der Lehrumgebung schaffe ich Räume für den Austausch, um eine unterstützende Gemeinschaft zu fördern. Diese Gemeinschaftsbildung ist integraler Bestandteil meines Lehrplans, da sie die emotionale Unterstützung und den Austausch von Herausforderungen ermöglicht.
Gleichzeitig strebe ich nach strukturellen Veränderungen. Durch mein Engagement an Schulen und Universitäten versuche ich, das Bewusstsein für mentale Gesundheit zu schärfen und innovative Lehrkonzepte zu entwickeln. Ein Beispiel dafür ist der Kurs "Sustainable Business Psychology and Leadership", der darauf abzielt, meinen Studierenden ein Verständnis für die Verbindung zwischen Psychologie, nachhaltigem Wirtschaftsmanagement und Führungskompetenz zu vermitteln.
Die Integration meiner Kampagne in den Bildungsbereich ist von entscheidender Relevanz, und ich arbeite daran, diese Initiative weiter auszubauen. Durch die Kombination von persönlichen Praktiken und das Aufbrechen ungesunder Strukturen hoffe ich, einen umfassenden Beitrag zur Förderung der mentalen Gesundheit zu leisten, sowohl für mich selbst als auch für die Gemeinschaften, die ich durch meine Lehrtätigkeit erreiche.
Wie geht es weiter?
Mit meiner 'Mental Health in Fashion'-Bewegung möchte ich dazu beitragen, einen strukturellen Wandel herbeizuführen. Im Arbeitskontext benötigen wir einen Standard, der auch den psychopathologischen Aspekt berücksichtigt. Es gibt Vorschriften darüber, wie Bürostühle ergonomisch gestaltet sein müssen, um Rückenleiden zu verhindern. Wieso haben wir nicht ein Regelwerk dazu, wie ich positiv mit der Psyche des Menschen umgehen sollte? Genau daran arbeite ich gerade.
Ich entwickle außerdem ein Schulungskonzept für eine Modemarke, bei dem ich Führungspersonen lehren möchte, wie sie sich in konkreten Situationen adäquat verhalten können. Nicht wenige wissen, wie sie bei einem Arbeitsunfall einen blutenden Finger versorgen können. Aber ist ihnen auch klar, wie sie Menschen bei einer Panikstörung im Arbeitskontext helfen können oder wie sie sich verhalten sollten, wenn jemand in meinem Büro eine akute Psychose hat? Viele kennen nicht einmal eine Nummer, die sie in diesem Fall anrufen können, um Betroffenen akut Hilfe zu besorgen.
Zusätzlich zu meinem Lehrunterricht und Vorträgen an internationalen Universitäten wird die Kampagne auch weiterhin direkt im Modeumfeld präsent sein. Ein bevorstehender Panel-Talk auf der Messe Seek im Januar und die Einführung der neuen Kategorie "Mental Health in Fashion" im Rahmen des ASVOFF Mode Film Festivals von Diane Pernet in Paris sind hierzu zählende Projekte.