Modeberatung Recloseted: „Nachhaltige Mode ist ein bisschen wie der Wilde Westen“
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Recloseted ist ein in Vancouver und London ansässiges Beratungsunternehmen für die Modeindustrie, das 2019 gegründet wurde. Es berät Designer:innen, wie sie ihre eigene bewusste Marke gründen können, verfolgt Trends und Innovationen zum Thema nachhaltige Mode und zeigt, wie man sein Unternehmen mit Best Practices im Bereich Nachhaltigkeit zukunftssicher macht. FashionUnited sprach mit der Gründerin und Geschäftsführerin von Recloseted, Selina Ho, in einem E-Mail-Interview über die Hürden und Möglichkeiten für die Branche, nachhaltiger zu werden.
Können Sie uns ein wenig darüber erzählen, was Sie dazu veranlasste, Recloseted zu gründen?
Ich habe Recloseted gegründet, um die schädlichen Auswirkungen der Modebranche zu verändern. Ich habe Kleidung schon immer geliebt, war aber bis vor fünf Jahren eine unwissende Konsumentin von Fast Fashion. Ich bekam einen Hautausschlag, als ich ein Polyesterhemd trug, und das führte mich auf eine wilde Suche, die wiederum zur Entdeckung der schmutzigen Wahrheiten hinter unserer Kleidung führte. Ich schaute mir den Dokumentarfilm „The True Cost“ an und erfuhr mehr über die schädlichen Materialien, die in unserer Kleidung verarbeitet werden, die unethische Behandlung von Bekleidungsarbeiter:innen, den massenhaften Überkonsum von Kleidung und die Millionen Tonnen von Textilabfällen, die wir auf unsere Mülldeponien werfen. Als mir all dies klar wurde, wusste ich, dass ich etwas dagegen tun musste, und so wurde Recloseted geboren.
Da Sie weltweit tätig sind, können Sie etwas dazu sagen, in welchem Land beziehungsweise in welcher Region Sie derzeit die größte Nachfrage nach Ihren Leistungen sehen?
Wir sehen eine große Nachfrage aus der ganzen Welt, was sehr spannend ist. Die meisten unserer Kund:innen kommen jedoch aus Europa, den USA, Kanada und Australien.
Was ist die häufigste Hürde, die Marken bisher davon abgehalten hat, nachhaltiger zu werden?
Viele Marken sind damit überfordert, wo und wie sie anfangen sollen. Es ist ein großes Unterfangen und kann bei begrenzter Zeit, begrenzten Ressourcen und begrenztem Budget sehr schwierig sein. Deshalb ist es wichtig, dass die Leute ihr 'Warum' kennen und ihre Prioritäten für den Weg zu mehr Nachhaltigkeit festlegen.
Wir empfehlen unseren Kund:innen immer, sich für ein oder zwei Prioritäten zu entscheiden, damit sie nicht überfordert werden und diese ein oder zwei Dinge wirklich gut machen können. Wenn eine Marke nur begrenzte Zeit, Ressourcen und Budgets zur Verfügung hat, muss sie sich für eine Sache entscheiden.
Wie schwierig ist es für Marken, neue herstellende Betriebe zu finden?
Es kann schwierig sein, wenn man keine Branchenkenntnisse und/oder -verbindungen hat und zum ersten Mal nach einem herstellenden Betrieb sucht. Ich rate Marken in der Anfangsphase immer davon ab, sich für Betriebe mit hohen Mindestbestellmengen zu entscheiden. Es ist keine gute Idee, Bargeld in Beständen zu binden, die sich nicht verkaufen. Die Suche nach einem Betrieb mit niedrigen Mindestbestellmengen macht die Sache jedoch noch komplexer. Außerdem ist die Gefahr groß, betrogen und ausgenutzt zu werden, so dass die Leute wirklich ihre Sorgfaltspflicht erfüllen müssen.
Wie besorgt sind Unternehmen im Moment über Greenwashing?
Das ist im Moment ein großes Thema. Viele unserer Kund:innen bemühen sich um einen bewussten Umgang damit und zögern, über ihre Fortschritte zu sprechen, weil sie Angst vor Rückschlägen haben, während Marken, die nicht sehr nachhaltig sind, von den Dächern schreien, dass sie „grün“ oder „öko“ seien. Es ist ziemlich widersprüchlich, und der Bereich der nachhaltigen Mode ist ein bisschen wie der Wilde Westen.
Welchen Rat haben Sie für Marken, die neu anfangen und von Anfang an nachhaltig sein wollen?
Ich weiß, dass es eine Menge Druck gibt, „perfekt nachhaltig“ zu sein, und ich möchte vermitteln, dass es so etwas wie eine wirklich 100 Prozent nachhaltige Marke nicht gibt. Ich spreche in meinem Podcast und auf unserem Instagram- und YouTube-Kanal darüber, aber wenn man eine wirklich nachhaltige Modemarke gründen wollte, würde man kein neues Unternehmen starten, denn dies hat Auswirkungen auf die Umwelt. Daher geht es bei der wahren Essenz der Nachhaltigkeit um Ausgewogenheit - wie können wir alle ein Gleichgewicht halten, indem wir uns nehmen, was wir brauchen, und gleichzeitig genug für zukünftige Generationen übrig lassen? Das nimmt hoffentlich etwas von dem Druck, „perfekt nachhaltig“ sein zu müssen, und ermutigt Marken, einfach anzufangen.
Der erste Schritt, den ich tun würde, ist, sich darüber klar zu werden, warum man dies tut und was wichtig ist. Ist es die unethische Behandlung von Bekleidungsarbeiter:innen? Geht es um die Millionen Tonnen von Textilabfällen, die auf Mülldeponien landen? Warum ist Nachhaltigkeit wichtig und auf welche ein oder zwei Prioritäten kann sich eine Marke konzentrieren, wie in der dritten Frage erwähnt.
Was ist mit etablierten Marken, die umsteigen wollen?
Die Tipps, die ich in der vorherigen Frage gegeben habe, gelten auch für etablierte Marken. Zusätzlich möchte ich jedoch betonen, wie wichtig es ist, sich realistische, aber dennoch ehrgeizige Ziele zu setzen und dann einen Plan zu erstellen, um sie zu erreichen. Anstatt sich unrealistische Ziele zu setzen, die sich gut anhören, sollten Marken sich überlegen, was sie im nächsten Jahr, in den nächsten drei Jahren, in den nächsten fünf Jahren und darüber hinaus tatsächlich erreichen können, und dann einen soliden Plan dafür aufstellen. Wir brauchen mehr Verantwortlichkeit und Engagement von Marken im Gegensatz zu großen Erklärungen und dem Unter-den-Teppich-Kehren von Zielen, wenn sie unweigerlich nicht erreicht werden.