Munich Fabric Start & Bluezone: Neuer Termin, nachhaltige Innovationen und Fokus auf Kontinuität
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1.100 Stoffkollektionen auf der Munich Fabric Start, 100 Denimkollektionen auf der Bluezone – das sind gute Zahlen für eine Messe in einem international herausfordernden Umfeld. In München dreht sich derzeit alles um die neuen Grundzutaten für die Saison Herbst/Winter 2024/25.
Premiere des neuen, früheren Termins
Es ist enorm viel Bewegung in der internationalen Messelandschaft. Viele Veranstalter haben im Verlauf der Pandemie über ihre Termine nachgedacht und neue Fixpunkte für die Branche gesetzt - so auch die Munich Fabric Start: Mit ihrer aktuellen Show, die vom 18. bis 20. Juli stattfindet (die Bluezone endet wie immer einen Tag früher), haben sich die Veranstalter sechs Wochen weiter nach vorne gewagt. „Die Terminverschiebung war mit die größte Veränderung der Munich Fabric Start in den letzten Jahren“, erklärt Sebastian Klinder, Managing Director der Munich Fabric Start. Obwohl sich die ersten Stunden auf der Messe etwas leerer anfühlten als sonst, ist Klinder zuversichtlich. „Der neue Termin ist richtig, aber Veränderungsprozesse brauchen Zeit. Und natürlich gibt es bei so großen Veränderungen immer Stimmen in alle Richtungen. Wäre das Urteil eindeutig gewesen, hätten wir das schon früher gemacht.“
Dennoch bemühen sich die Organisatoren um Kontinuität und Stabilität, die in Zeiten des Wandels umso wichtiger sind. Immerhin feiert die Denimmesse Bluezone in diesem Sommer ihr 20-jähriges Bestehen, viele Ausstellende sind der Messe seit Jahren treu und haben nicht einmal ihren Standort auf der Messe gewechselt.
Wichtig seien aber ein rundes Bild und ein gutes Angebot, gerade weil Unternehmen jetzt genau hinschauen, welche Messen sie überhaupt noch besuchen wollen, so Klinder. Wieder mit am Start ist daher die im letzten Sommer gelaunchte Sourcing Area in der angrenzenden Motorworld. Synergien sollte auch der DMI Fashion Day am Vortag der Messe im MOC schaffen. „Viele kamen dafür einen Tag früher angereist und können jetzt beide Termine verbinden“, so Klinder weiter. „Wir finden es wichtig, nicht zu sehr zu fokussieren, sondern mit Damen-, Herren und Denimkollektionen, mit unserer neuen Sourcing Area und thematisch relevanten Foren ein möglichst breites Angebot zu bieten“, sagt Frank Junker, Creative Director & Partner der Munich Fabric Start.
Stofftrends für die Saison FW24/25: Highlands, extrovertierte Klassik und Retrofuturismus
Carl Tillessen, DMI Trend Analyst, lenkt angesichts der aktuellen Dauerkrise die Aufmerksamkeit zurück in glücklichere Zeiten und auf die Essenz der Mode: Körper und Stoff. Nicht zufällig hat er die Fashion Show von JW Anderson hervorgehoben, wo nahezu nackte Körper Stoffballen über den Laufsteg trugen und damit eine Rückbesinnung auf die wahren Zutaten von Mode versinnbildlichen wollten. „Darum geht es derzeit in der Mode: Die Menschen mitzunehmen auf eine Zeitreise in Phasen unseres und ihres Lebens, in denen wir, und alle um uns herum, so viel sorgloser waren als heute.“
Und welche Trends sind das genau? Die Modeanalyst:innen der Messe haben auf ihren Trendtafeln verschiedene, nicht selten konträre Tendenzen für die Saison FW 24/25 prognostiziert. Unter dem Schlagwort „Highland Hybrids“ verbirgt sich die archaische Sehnsucht nach Natur und Ursprünglichkeit, Wäldern und Wiesen, aber gepaart mit der Ästhetik moderner Technologien, die Unabhängigkeit und Selbstbestimmung ermöglichen. Dieses Thema orientiert sich an Performance, Wandern, Camping und Urbanität. Die Stoffe sind robust und stilvoll und stets perfekt balanciert auf dem Grat zwischen Multifunktionalität und Fashion.
Verspielter und genauso widersprüchlich präsentiert sich das Thema „Mystic Beings“, das von der Fantasiewelt mit Elfen, Helden, Monstern und Robotern inspiriert ist. Inspiriert von Virtual Design, Artificial Reality, Gaming und Rendering stehen opulente Licht- und Glitterelemente im Fokus, umspielt von kraftvollen Formen und opulenten Materialien wie Fake Fur. Das dritte Thema „System Cringe“ ist geprägt von Positivismus und Motivation, kultur- und generationenübergreifend neue Gesetze und Regeln zu schaffen. Der Dreiklang aus Schutz der Umwelt, verantwortungsbewusstem Umgang mit Ressourcen und achtsamen Miteinander steht dabei an erster Stelle, was sich in Styles widerspiegelt, die von Upcycling und Second Hand geprägt sind. Bei „Kinky Classics“ spielen traditionelle Looks und eine gewisse Sexyness wieder eine zentrale Rolle. Klassische Kleidungsstücke und Stoffe werden in ein neues Licht gerückt. Alles dreht sich um ästhetische Provokation – sei es durch ungewöhnliche Formen, breite Schultern, tiefe Einschnitte, Schlitze oder einhüllende Weiten im Morgenmantelstil. Außerdem transparente und asymmetrische, unfertig wirkende Elemente, die für ein Mehr an Sinnlichkeit sorgen.
„Past Forward“ wiederum, das letzte Thema, ist eine ästhetische Zeitreise in die sechziger und siebziger Jahre mit ihren organischen Formen und Linien. Das Zeitalter der ersten Mondlandung vereint sich mit heutigen Technologien, wie innovativen Produktionsverfahren und 3D-Druck. Trotz der Inspiration aus der Vergangenheit steht hier das Neudenken im Fokus, um etwas Sinnvolles, Schönes und Besseres zu erschaffen. Es geht um Qualität, Modularität und Langlebigkeit, damit die Mode die Zeit überdauert, wandelbar und für die Zukunft relevant bleiben kann.
Denimtrends FW 24/25: Impulsgeber Luxusmarken
Denim ist und bleibt ein Dauerbrenner und ein nahezu zeitloses Must-have für jede Kollektion. Tilmann Wröbel, CEO der Denim-Designagentur Monsieur T., machte in seiner Präsentation auf der Bluezone jedoch klar, dass die Branche mehr wagen sollte, als immer nur die klassischen 5-Pocket-Hosen. „Denim ist gerade sehr relevant in der Luxusindustrie, aber die machen mit Denim völlig andere Dinge und gehen sehr experimentell damit um“, so Wröbel. „Da gibt es auch Galakleider aus Denim oder Mäntel. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht immer nur wiederholen, was wir seit Jahren machen.“ Wichtige Trendthemen sind für ihn daher „Starsystem“, wobei Denim in neuen Looks gezeigt wird, auch beschichtet mit Glitzer und Folien. Genauso wichtig sei das Thema „Old Money/Quiet Luxury“, das an den Dandystyle oder den Preppy-Look der 1980er Jahre erinnert. Hier spielen Tailoring-Elemente und besondere Stoffe eine wichtige Rolle, ebenso Tennis-Anklänge und Reiter-Looks. „Das ist eine Art Gegenbewegung zum Trend der letzten Jahre, wo Sneaker und ein fettes Logo auf dem T-Shirt ausgereicht haben.“ Hier geht es wieder mehr um Handwerkskunst und Passform, „in Schnittmacher zu investieren war noch nie so wichtig wie jetzt“, so der Designer weiter. Wichtige Inspirationen könnten da Schnitte aus den 80er Jahren liefern, damals gab es vor allem bei Damenjeans viele gute Beispiele für Tailoring. Wröbel: „Das müssen wir wieder lernen.“
Nach wie vor bleibt der Utilitarismus mit kantigen, militärischen Anklängen wichtig, mit Badgets, Camou-Prints und einer Fülle an Taschen, die überall an Hosen und Jacken platziert werden können. Wichtig sind auch Baggies – nicht die übertriebenen, überdesignten Hosen, sondern simple, weite Passformen, die bloß nicht zu viele Details haben sollten. „Ich weiß, wir finden das alle nicht besonders schön, aber die Kids tragen das so.“ Zudem zeige sich in den Social Media Kanälen und bei den großen Brands eine Rückkehr der Hüfthose – vor allem auch bei Männern, sowie eine neue Begeisterung für Gürtel. „Man muss unbedingt an Gürtel denken, nicht nur wegen der Schlaufen, sondern auch bei der Präsentation im Laden“, erklärt Wröbel.
Auch das Thema Nachhaltigkeit spielt in der Denimbranche weiterhin eine zentrale Rolle. „Unbleached Nature“ setzt auf ungebleichte Stoffe. Hier sind Texturen extrem wichtig, wie beispielsweise Flammgarn (Effektgarn mit unregelmäßig dicken und dünnen Stellen). Aber No-Indigo bedeutet noch mehr. Wröbel: „Wir können inzwischen alle Prozesse ohne Indigo machen und auf Indigo ganz verzichten.“ Vielleicht noch nicht für den Massenmarkt, hochpreisige Brands sollten das aber in jedem Fall in Betracht ziehen, meint der Designer.
Nachhaltigkeit: Neue Färbetechnologien und Materialien
Auf der Messe waren so auch einige Hersteller zu sehen, die nachhaltigere Färbeprozesse zur Aufgabe gemacht haben. Das türkische Denimanbieter Bossa präsentierte Denim aus farbig gewachsenen Baumwollpflanzen, die das Unternehmen selbst in der Nähe der eigenen Fabrik in Adana anbaut. Ficus, ein ebenfalls türkisches Unternehmen hat sich auf das Färben mit Pflanzenfarben spezialisiert und schon vor zehn Jahren mit dem Projekt begonnen. Inzwischen kann Ficus 50 verschiedene Farben anbieten, wobei aber alle eher im pastelligen Bereich angesiedelt sind. „Schwarz und kräftige Farben können wir noch nicht herstellen“, so Selim Sadir von Ficus.
Karin Schmitz von Peclers Paris weist in ihrem Trendvortrag jedoch darauf hin, dass man beim Färben inzwischen weiter sei. So habe Colorifix aus England mithilfe von Microorganismen Möglichkeiten gefunden, ganz neue Farbpaletten im Bereich der Pflanzenfarben zu entwickeln. Colorifix ist Preisträger des renommierten Andam Innovation Prize.
Bei den Materialien setzen immer mehr Weber auf recycelte Fasern. Denimanbieter Isko beispielsweise verwendet immer mehr recycelte Baumwolle und mischt diese mit recyceltem Polyester und anderen Fasern, wie Tencel, Modal, Kaschmir oder auch Soja.
Die Universität RWTH Aachen präsentierte auf der Messe eine Kooperation mit Adidas, wobei die textile Oberfläche aus Algen hergestellt wird. „Diese Algen wurden im Labor gezüchtet und können zu Polymeren weiterverarbeitet werden“, erklärt Nicole Espey vom Projekt Biotexfuture der RWTH Aachen. Weitere Forschungsfelder des Projekts sind biobasierte Rohstoffe für die Herstellung von Elasthan und Alternativen für PFAS, also für wasser- und ölabweisende Ausrüstungen für Textilien. Sowohl bei der Herstellung von Elasthan als auch bei den PFAS steht die Industrie vor der Herausforderung, Alternativen finden zu müssen, weil bestimmte Chemikalien künftig in der EU verboten sein werden. „Die Industrie sucht schon seit zehn Jahren nach einer Alternative für PFAS, aber vor allem für die Funktion der Ölabscheidung, die man beispielsweise bei medizinischer Bekleidung oder bei Feuerwehren benötigt, ist noch keine Alternative gefunden. Das Spannende an Biotexfuture ist, dass bisher noch niemand im Bereich der Biologie geschaut hat. Bisher hatte die Biologieforschung kaum Berührung mit der Textilindustrie.“ Bis die Alternativen gefunden sind, dauert es jedoch. Das Projekt, das auch vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird, läuft noch bis 2025.