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Nachhaltige Textilinnovationen: Kleidung aus Krabbenpanzern

Von Anna Roos van Wijngaarden

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Mode

Bild: TômTex

Kleidungsstücke, Taschen oder Sneaker aus Krabbenpanzern könnten, wenn es nach TômTex geht, bald in den Regalen liegen. Die Wissenschaftler:innen des Unternehmens mit Sitz in New York sind bei der Entwicklung des neuartigen Gewebes einen Schritt weiter und wissen inzwischen, wie man das lederähnliche Material sehr präzise herstellen und bearbeiten kann. Es war sogar schon auf dem Laufsteg zu sehen. Die Ingenieurin Nicole Sved teilt ihre Zukunftsvision aus dem TômTex-Labor in Brooklyn mit FashionUnited.

Ingenieurin aus Leidenschaft

Das neuartige Textil von TômTex wird nicht aus Krabbenfleisch, sondern aus der komplexen Zuckerart Chitin, die in deren Panzern enthalten ist, hergestellt. „Man findet es überall in der Natur“, versichert Sved. Sie beschreibt das Material als ein weißes, sandiges, geruchloses Pulver. „Wir gewinnen es vor allem aus Krabbenpanzern, weil das ein großer Teil der Abfälle aus der Schalentierindustrie ist, aber es ist in allen möglichen Dingen enthalten, auch in Pilzen, Kaffee und Insekten.“

Was nach der Reinigung der Schalen geschieht, beschreibt die Forscherin als wasserbasierten Prozess. Nachdem das Chitin in einem chemischen Prozess extrahiert wurde, wird es mithilfe von Wasser und Chemikalien in eine zähe Substanz umgewandelt, die wie bernsteinfarbener Honig aussieht. Dieser fügt TômTex dann verschiedene Zusätze hinzu. Welche das genau sind, verrät das Unternehmen nicht, aber sie sollen notwendig sein, um dem Material die gewünschte Farbe und Textur zu verleihen. Das flüssige Mittel wird in eine Form gegossen und getrocknet. Falls erforderlich, kann dann mit Hitze und Druck eine Textur erschaffen werden.

„Man kann das Material auf verschiedene Weise bearbeiten. Beispielsweise kann man es wie Schlangen- oder Alligatorleder aussehen lassen, oder mit anderen Texturen abreiten. Man sieht das schön auf den Laufstegfotos. Wir haben mit den Marken Peter Do und Di Petsa gearbeitet, und an diesen verschiedenen Looks zeigt sich, dass es eine Menge Variationen gibt. So sieht [die Textur der Kreationen von] Di Petsa wie Fischschuppen aus und ist ziemlich durchsichtig, während das Material von Peter Do wie Latex aussieht und dehnbar ist“. Kommerzielle Kooperationen gibt es noch nicht, „aber das könnte sich in den nächsten neun Monaten ändern“, verrät Sved. „Das Unternehmen entwickelt sich sehr schnell, aber im Moment befinden wir uns noch in der Forschungs- und Entwicklungsphase und arbeiten an einer Reihe von Formeln.“

Skalierbar und realisierbar

In der Anfangsphase von TômTex experimentierte die Unternehmensgründerin Uyen Tran auch mit einem anderen Material, nämlich mit Kaffee. Jährlich fallen Millionen Tonnen Kaffeesatz an, also ein ebenso ernst zu nehmender Abfallstrom wie Krabbenpanzer. Ein wesentlicher Unterschied zu Krabbenschalen ist jedoch die kompliziertere Lieferkette. „Wir haben nach etwas gesucht, das immer verfügbar ist und mit dem man wirklich etwas anfangen kann“, so die Gründerin. Denn eine ausgeklügelte Infrastruktur ist erforderlich, um die Kaffeeabfälle von Cafés, Unternehmen und Verbraucher:innen zurückzugewinnen. Garnelenproduzent:innen entfernen das Chitin oft schon selbst aus den Schalen, um es als verzehrfertiges Rohmaterial zu verkaufen. Dies ist der Punkt, an dem TômTex ansetzt.

Die F/S23-Kollektion von Peter Do enthält Materialien von TômTex. Foto von Duke Winn

Kein Gift, kein Plastik, kein Öl

Das Krabben-System funktioniert immer besser, vor allem im Hinblick auf Nachhaltigkeit. Die Kritik an Lederimitaten wie Apfel- und Traubenleder bezieht sich oft auf das Plastik, das diesen „nachhaltigen“ Alternativen zugefügt werden muss. Lederähnlicher Krabbenstoff gehört laut TômTex nicht auf diese Liste. Die Prinzipien sind: kein Erdöl, keine Kunststoffe, keine Giftstoffe. Welche Chemikalien genau beim Krabbenleder verwendet werden, bleibt geheim, aber sie sind nicht gefährlich. „Man könnte alles ohne Handschuhe anfassen und es wäre völlig in Ordnung. Prinzipiell ist der Stoff sogar essbar, obwohl wir das nicht empfehlen“, so Sved.

Die Farbstoffe, die TômTex der Substanz hinzufügt, sind natürlich. Sie werden zum Beispiel aus gefärbtem Ton gewonnen. „Hellere Farben sind schwieriger, aber es gibt viele bunte Mineralien, die wir verwenden können. Einige natürliche Farbstoffe sind aber sogar schlechter für die Umwelt als synthetische Farben. Es bleibt also ein Balanceakt. Wir sind dabei, herauszufinden, welche Farben langfristig am schönsten bleiben.“

In vielerlei Hinsicht ähnelt das Verfahren dem Anbau von Kombucha-Leder, einer anderen nachhaltigen Textilart, mit der in der Biomaterialien-Industrie experimentiert wird. Auch hier handelt es sich um ein wasserbasiertes Material mit der gleichen Herausforderung in Sachen Nachhaltigkeit: dem Trocknungsprozess. „Das [Trocknen] kann sehr lange dauern. Viele Lösungsmittel, die im Labor angewandt werden, helfen zwar, das Material schneller zu trocknen, sind aber nicht sehr umweltfreundlich. Oft werden auch energieintensive Heizgeräte benötigt. Wenn wir den Maßstab erhöhen wollen, müssen wir den Trocknungsprozess optimieren.“

Wildleder aus Krabben

Die Technologie erfordert keine Investitionen in neue Produktionsverfahren und funktioniert einfach mit bestehenden Maschinen, sodass die Produktion leicht skalierbar ist. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Verbesserung des Materials und der Messung der positiven Auswirkungen. Zum Beispiel scheint der Garnelenstoff vollständig biologisch abbaubar zu sein und benötigt offenbar keine industriellen Prozesse. Normalerweise ist dies nur unter strengen Bedingungen möglich, wie einem bestimmten pH-Wert oder einer bestimmten Temperatur, aber man kann dieses Material, so Sved, einfach in den Müll werfen. „Wir können noch nicht genau sagen, wie lange es dauert, bis es vollständig abgebaut ist“, gibt sie zu. „Dafür führen wir gerade eine Ökobilanz durch.“

Im Moment ist das TômTex-Labor voll mit Ockerpigmenten in allen Formen und Größen. Es wird mit Texturen experimentiert, die für große Kleidungsstücke und Modeaccessoires eingesetzt werden könnten: sowohl neue Textiloptiken als auch Lederimitate mit und ohne ausgeprägten Texturen. Inzwischen sucht TômTex in Vietnam nach einer geeigneten Anlage. Mit viel Glück kann die kommerzielle Produktion von Krabbenschalengewebe bis Anfang 2025 kommerziell begonnen werden – und Wildleder, deutet Sved an. „Diese Techniken wenden wir schon seit einiger Zeit an. Wir fügen dann zusätzliche Zellulosefasern hinzu, die an einer Folie haften, um das typische weiche Gefühl von Wildleder zu erzeugen. Zellulose ist [nach Chitin] das am dritthäufigsten verwendete häufigste Biopolymer und wir werden bald beides verwenden."

Dieser Artikel wurde auf FashionUnited.nl veröffentlicht. Übersetzung und redaktionelle Bearbeitung: Barbara Russ

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