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Neue Männer: Erwartungen an die Menswear der kommenden Jahre

Von Marthe Stroom

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Mode

Kidsuper Studios H/W23 Menswear Show in Paris. Bild: Launchmetrics Spotlight.

Dass die traditionellen Geschlechterrollen in der westlichen Gesellschaft in den letzten Jahren einen Wandel durchlaufen haben, ist nichts Neues. Doch wie diese Veränderungen die Herrenmode in der aktuellen Saison beeinflussen, bleibt jedes Mal eine Überraschung. Die vor Jahren eingeleiteten Entwicklungen nehmen immer wieder neue Erscheinungsformen an. Während der Modefabriek stellte die Trendprognostikerin Mehtap Güngormez ihre Vision des ‘neuen Mannes’ vor – und was diese Figur für die Herrenmode der kommenden Jahre bedeutet.

Heute treten Männer immer weiter aus dem traditionellen Rollenmuster heraus, so Güngormez Vision. Männer sind auf der Sinnsuche. Das Ungleichgewicht in der Welt, das durch Krisen, Polarisierung und Krieg entstanden ist, spiegelt sich in der Mode wider. Während es früher um moderate und durchschnittliche Perspektiven ging, werden jetzt Extreme gesucht. Das hat viele negative Auswirkungen, aber auch einige gute: Es gibt mehr Raum, um mit den Grundsteinen der Männlichkeit zu spielen und sie auf ihre eigene Weise neu zu interpretieren. Auch Verletzlichkeit nimmt mehr Raum ein.

The Real Currency: Raum für eigene Überzeugungen

Dies führt zu einem Trend, den Güngormez als „the real currency“ bezeichnet, also dass, was wirklich zählt. Authentizität, ein Wort, das in den letzten Jahren immer häufiger gefallen ist und derzeit einen Höhepunkt zu erreichen scheint, ist ein wichtiger Aspekt des ‘neuen Mannes’. Männer haben mehr Spielraum, um einen starken, eigenwilligen Charakter zu entwickeln. Sie nehmen ihren Platz als ‘echte’ Person ein, mit authentischen Überzeugungen und Gefühlen, anstelle einer Rolle, in die sie sich pressen müssen. Als Beispiel dafür nennt Güngormez den Rapper A$ap Rocky sowie den Designer Aimé Leon Dore. Leon Dore spielt mit dem Gleichgewicht innerhalb der Streetwear, die früher meist mit Hip-Hop assoziiert wurde, indem er sie authentisch mit US-amerikanischer Sportswear verbindet.

Interessanterweise, so Güngormez, erlebt auch die Krawatte ein Comeback durch authentische Neuinterpretationen. „Jetzt, wo der Anzug nicht mehr zum Mainstream gehört, wird er von den Innovator:innen wieder geschätzt. Die Leute greifen Elemente davon auf und geben ihnen eine neue Bedeutung, wie zum Beispiel der Rapper Tyler, the Creator.“ Heute wird der Anzug also nicht in der traditionellen, formellen Art und Weise getragen, wie wir es von Georgio Armani kennen, sondern mit Beanie, Hoodie und Sneakern.

Givenchy FW23 Menswear Show in Paris. Bild: Launchmetrics Spotlight.

Paradigmenwandel: Das Digitale untermauert das Mystische

In der modernen Welt gibt es nur noch wenig Raum für Geheimnisse. Selbst die speziellsten Informationen sind nur ein paar Klicks entfernt und Religion spielt für immer weniger Menschen eine Rolle. Aus diesem Grund, so Güngormez, suchen Männer nach neuen Formen von Sinn durch Spiritualität, Yoga, Meditation, Silent Retreats und Psychedelika: heute übliche Praktiken, um mit der Geschwindigkeit der Gesellschaft umzugehen.

In der Herrenmode wird dies ästhetisch durch Materialien und Muster umgesetzt. Es gibt visuelle Anspielungen auf die Steinzeit, ‘okkulte‘ Symbolik, Funghi und psychedelische visuelle Effekte. Hier treffen das Digitale und das Mystische aufeinander und die künstliche Intelligenz (KI) spielt eine wichtige Rolle. Viele der Muster wurden von der KI generiert. Dabei scheinen der Aufstieg der KI und alle damit verbundenen Fragen und Bedenken durch ein Spiel mit visuellen Effekten in die Kleidung eingearbeitet zu werden, bei dem man sich fragt, was echt und was unecht ist, wie bei einem Paar verzerrter Jeans von Dolev Elron und Diesel.

Das Bedürfnis, sich in dieser digitalen Welt zu erden, führt zu einem verstärkten Einsatz von natürlichen Stoffen wie Leinen und Hanf. Der Gorpcore-Trend (das Tragen von funktioneller Outdoor-Kleidung außerhalb ihres eigentlichen Verwendungszwecks) hängt natürlich auch damit zusammen und äußert sich auf einer anderen Ebene in dem, was Güngormez als ‚Ninja Tech‘ bezeichnet. Hier wird Outdoor im Alltag genutzt, um sich vor extremen, unvorhersehbaren Wetterbedingungen zu schützen. Das Bedecken von Nase und Mund aus modischen Gründen, das bisher vor allem bei jüngeren Generationen zu beobachten war, ist ein Beispiel dafür. Auch ‚Puffiness‘ fällt unter dieses Thema, also Pufferjackets und andere wattierte Kleidungsstücke. Die Bomberjacke, die nie wirklich verschwunden war, erlebt gerade erneut ein Revival.

Dries Van Noten FW23 Menswear show in Parijs. Bild: Launchmetrics Spotlight.
Botter FW23 Menswear show in Parijs. Bild: Launchmetrics Spotlight.

Neuer Surealismus: Die Rolle der Fantasie

Eine neue Verspieltheit in der Mode setzt jetzt auch bei den Männern durch. Modische Männer werden zur neuen Norm, erklärt Güngormez. Im Einklang mit dem Thema der Authentizität manifestiert sich dies in Spielerei und Fantasie, die in ihrer extremsten Form surrealistische Auswüchse annimmt. Colm Dillane, Gründer der Marke KidSuper und Designer der kürzlich vorgestellten HW23-Herrenkollektion von Louis Vuitton, setzt den Trend in farbenfrohen Mustern um, die von Spaß und Kreativität inspiriert wurden. Güngormez bezeichnet diese farbenfrohe und phantasievolle Ästhetik als einen „neuen Surrealismus“. Eine wichtige Entwicklung in der Herrenmode, die vor allem in der Vergangenheit, aber auch heute einen ernsteren Unterton hat.

Retro-Elemente kehren auch unter dem Deckmantel der Verspieltheit zurück, so Güngormez. Alessandro Michele hat diesen Trend bei Gucci eingeführt, mit seinem extravaganten Stil, der reich an den Farben der 1970er Jahre war. Das lässt auch Platz für wirklich ikonische Stücke, wie die bei Prada bekannten Loafers mit dicken Sohlen oder klassische Dufflecoats.

Kidsuper Studios FW23 Menswear show in Parijs. Bild: Launchmetrics Spotlight.
Botter FW23 Menswear show in Parijs. Bild: Launchmetrics Spotlight.

Die Zukunft der Streetwear

Die Zukunft der Streetwear im Allgemeinen, die von Medien wie Business of Fashion und Vogue Business in letzter Zeit hinterfragt wurde, wurde auch in einer der Publikumsfragen am Ende von Güngormez Vortrag angesprochen. Die Antwort? Streetwear spielt eine zu große Rolle, um einfach wegzufallen. Sie wird relevant bleiben, wenn auch in neuen Formen. So wird die Entwicklung der Männer(mode) in unserer Gesellschaft in den kommenden Jahren Hand in Hand mit dem gehen, was wir von der Streetwear erwarten können.

Sie wollen mehr über die Modefabriek lesen? Dann finden Sie hier unseren Messebericht.

Dieser Artikel wurde zuvor auf FashionUnited.nl veröffentlicht. Übersetzung und redaktionelle Bearbeitung: Barbara Russ

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