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Rückblick: Die Berliner Mercedes-Benz Fashion Week in fünf Schauen

Von Jan Schroder

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Mode

Den Berliner Stil gibt es nicht, zumindest auf den Laufstegen der Mercedes-Benz Fashion Week. Dort treffen sich in jeder Saison die unterschiedlichsten Labels – vom künstlerisch ambitionierten Avantgarde-Designer bis zum marktorientierten kommerziellen Schwergewicht, vom einheimischen Nachwuchstalent bis zur international etablierten Marke. Das kann man als Mangel an Identität kritisieren – oder aber als Abbild der Modeszene in ihrer gesamten Vielfalt schätzen.

1. Verlässlich: Perret Schaad

Wenn es eine Gruppe von Labels gibt, die in den vergangenen Jahren von der Mercedes-Benz Fashion Week profitiert hat, sind es die einheimischen. Mittlerweile hat sich eine Reihe von Labels aus der Hauptstadt so weit etabliert, dass sie zum wichtigsten Identifikationskern der Modewoche geworden sind. Zu denen gehört Perret Schaad. Das 2009 gegründete Label hat den ersten Hype, als die beiden Designerinnen wegen ihres minimalistischen Stils als „Jil Sanders Töchter“ gefeiert wurden, schadlos überstanden und verfeinert und erweitert seine charakteristische Handschrift seither von Saison zu Saison. So sind die Kollektionen verlässlich gereift, ohne dem in der Mode oft tödlichen Stillstand anheimzufallen.

Diesmal bereicherte das Duo sein klares, puristisches Repertoire um ausgesprochen sommerliche Motive wie maritim blau-weiß gestreiften Stoffen, romantisch anmutende, in geradezu opulenten Faltenwürfen ausschwingende Rocksilhouetten oder ein Printmotiv, das den „Fall des Ikarus“, einen manieristischen Kupferstich von Henrik Goltzius aus dem späten 16. Jahrhundert, aufgreift. So machten Perret Schaad den nächsten Schritt, ohne den bewährten Weg zu verlassen.

2. Begabt: Marina Hoermanseder

Hunderte von Absolventen verlassen in jedem mit großen Hoffnungen die Berliner Modeschulen. Manche gründen ihr eigenes Label, ein paar schaffen es zur Mercedes-Benz Fashion Week. Doch viele von denen halten nur ein bis zwei Saisons durch, bevor sie wieder verschwinden – sei es, weil die Entwürfe dann doch nicht gut genug für die große Bühne sind, sei es aus finanziellen Gründen. Doch die Offenheit für Newcomer lässt die Veranstaltung nie langweilig werden. Und manchmal gibt es sogar außergewöhnliche Begabungen zu entdecken.

So wie Marina Hoermanseder. Die Esmod-Absolventin debütierte 2014 auf der Fashion Week mit aus Lederriemen geschnürten Entwürfen, die seinerzeit noch ein wenig fetischistisch daherkamen und gefährlich nah am Gimmick zu sein schienen. Dass viel mehr in ihr steckt, hat sie inzwischen bewiesen – mit ihrer neuen Kollektion sorgte sie nun für einen der unumstrittenen Höhepunkte der Woche. Die Lederriemen tauchten nur noch als identitätsstiftendes Zitat auf, dominierend waren skulpturale Silhouetten von hohem künstlerischem Anspruch und subtile, historische Vorbilder überzeugend weiterentwickelnde Schnitte und Konstruktionen, die gekonnt zwischen Geschichtsbewusstsein und Aktualität balancierten. Souverän bereicherte sie die Kollektion um innovative Technologie – etwa zahlreiche Stücke aus dem 3D-Printer – und traditionelle Handwerkskunst, wie die unzähligen applizierten Lederblüten. Den Status des Talents hat sie in kürzester Zeit überwunden – aber vielleicht wird auch sie bald wieder verschwinden. Denn eigentlich ist sie zu gut für Berlin und hätte es verdient, in einer höheren Liga zu spielen. Denn im Idealfall ist Berlin immer noch eine Durchgangsstation: Hier können Anfänger recht leicht erste Gehversuche machen – und sich damit auch für größere Herausforderungen in der Modewelt qualifizieren.

3. Kommerziell: Marc Cain

Manche mögen die Nase rümpfen, wenn sich Helmut Schlotterer, der Gründer, Eigentümer und Chef von Marc Cain, bei der Berliner Fashion Week stolz zwischen den eigens für die Show eingekauften Ex-Supermodels Eva Herzigová und Elle MacPherson in der Front Row präsentiert. Aber das garantiert eben Aufmerksamkeit in den Medien, und man sollte ihn und sein Unternehmen keinesfalls unterschätzen. Das Modebusiness heißt schließlich nicht ohne Grund so, und wer sonst kann auf der Mercedes-Benz Fashion Week einen Jahresumsatz von knapp einer Viertelmilliarde Euro vorweisen? Schlotterer und seine bewährte Chefdesignerin Karin Veit müssen also einiges richtig gemacht haben – im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Modeunternehmen.

Gute Geschäfte machen die Schwaben längst nicht nur in der Heimat, sondern auch dort, wo viele Firmen gerne Fuß fassen würden: In den sogenannten Wachstumsmärkten, wo die modischen Hierarchien noch flach sind und aufstrebende Mittelschichten neuerdings Geld für Qualitätskleidung ausgeben können, die nicht zu protzig oder extravagant aussehen soll. In China läuft das Geschäft, in Russland ist Marc Cain stark präsent – auch wenn die Zahlen dort zuletzt unter politischen und wirtschaftlichen Widrigkeiten litten.

Eines der Erfolgsgeheimnisse sieht man der Kollektion an, die das Label in Berlin vor den mit echter und vermeintlicher Prominenz voll besetzten Rängen vorstellte: Hier geht es nicht um eine künstlerische Handschrift oder ein inhaltliches Konzept, sondern darum, möglichst viele aktuelle Trends abzudecken und verschiedenste Angebote zu machen. Schließlich muss für Kundinnen in aller Welt etwas dabei sein. Ein anderes Erfolgsrezept ist weniger auffällig. Das liegt in der Natur der Marke. Auch wenn der Promiauftrieb bei der Modenschau und die gefühlige Inszenierung mit tanzenden Hippiemädchen und einem Rosenblätterregen zum Schlussdefilée etwas anderes nahelegen könnten: Bei Marc Cain arbeiten keine Blender, sondern Experten, die großen Wert auf die Produktqualität legen. Und die weiß gerade die Kundin in Asien inzwischen als Distinktionsmerkmal zu schätzen.

4. Revolutionär: Julian Zigerli

Rituale werden überschätzt. Wozu muss eine Modenschau einen Laufsteg, eine opulente Licht- und Toninszenierung oder Sitzreihen, die eine Hierarchie der Gäste zementieren haben? Warum muss sie überhaupt festgefahrenen Regeln folgen, um den Anschein der Exklusivität zu erwecken? Der Schweizer Avantgardist Julian Zigerli, der in Berlin schon mehrfach mit außergewöhnlichen Präsentationen aufgefallen war, scherte sich auch diesmal so gar nicht um die traditionellen Konventionen einer Modenschau.

In einem öffentlichen Park ließ er einfach ein paar Scheinwerfer aufbauen, die Besucher wurden per Textnachricht herbeigelotst und konnten sich ihren Platz auf einem der vorhandenen Mäuerchen suchen – und die Models marschierten dann einfach über die Wiese, mittels mitgeführter Boxen sorgten sie selbst für die musikalische Untermalung und formierten sich zum Schlussbild zwischen Wacholderbüschen. Nun war der Park nicht irgendeiner – der für sein Konzept preisgekrönte Geschichtspark im Ortsteil Moabit zählt zu den raffiniertesten Gartenkunstwerken der vergangenen Jahre in Berlin. Er hat eine eigene, streng durchkomponierte Präsenz, die mit den eher lässigen, sportiven Entwürfen Zigerlis erstaunlich wirkungsvoll korrespondierte. So gewann die Kollektion durch ihre ungewöhnliche Bühne an Tiefe – und der Park durch die Modeperformance eine überraschende Lebendigkeit. Gerade weil die Schau mit weit weniger Regeln als die konventionelle Modenschau auskam, war sie deutlich beeindruckender.

Zigerli wählte in der vergangenen Woche zwar die radikalste Variante, er steht aber auch für einen Trend in Berlin: Immer mehr Designer entscheiden sich gegen die offiziellen Veranstaltungsorte und suchen sich selbst geeignete Spielstätten in der Stadt – in außergewöhnlichen Gebäuden oder eben unter freiem Himmel. Das mag günstiger sein als eine Show auf dem Laufsteg im zweckmäßigen, aber wenig stimmungsvollen Zelt am Brandenburger Tor, es ist in der Regel aber vor allem individueller und charaktervoller.

5. International: Fyodor Golan

In Berlin steht naturgemäß die deutsche Modebranche im Mittelpunkt – schließlich hat sie in der Hauptstadt ihr wichtigstes Heimspiel. Doch in jeder Saison sind Labels dabei, die dem Publikum einen erfrischenden Blick über den nationalen Tellerrand ermöglichen. Oft sind es einmalige Gäste: Die große dänische Designerin Stine Goya war schon mal da, auch die legendären belgischen Avantgardeveteranen AF Vandevorst gastierten hier mit ihrer tragbaren Zweitlinie. Immerhin bietet der Berliner Laufsteg die Chance, sich den Einkäufern und Journalisten des so wichtigen deutschen Markts auf großer Bühne zu präsentieren. Und außerdem ist Berlin eben für viele Kreative aus dem Ausland immer noch ein Sehnsuchtsort. Da machen Designer dann eben gerne einen Abstecher, um ihre Entwürfe vorzuführen.

Diesmal war das Londoner Designerduo Fyodor Golan an der Reihe. In der Heimat haben die beiden Nachwuchspreise eingeheimst und mit großen Marken kollaboriert, in Berlin sorgten sie mit der Abschlussshow für ein außergewöhnliches Finale der Mercedes-Benz Fashion Week. So ausgelassen und hedonistisch entwirft hierzulande keiner. Mit knalligen Neontönen, großformatigen Drucken mit Rennwagenmotiven, pseudokitschigen Rüschen und asymmetrischen, wie improvisiert wirkenden Schnitten brachten sie zum Soundtrack von New Order und The Prodigy eine Hommage an die Clubs und Raves der Achtziger und frühen Neunziger auf den Laufsteg. Das war erst einmal laut, bunt und krachig – aber beileibe nicht nur oberflächliches Blendwerk. Denn spätestens der zweite Blick auf die Kleiderkonstruktionen und die originellen Kunstlederjacken zeigt: Fyodor Golan machen nicht nur Stimmung, sie verstehen ihr Handwerk.

Bilder: ©Mercedes-Benz Fashion

Berlin Fashion Week