Tutia Schaad und Michael Sontag haben sich zusammengetan. Bisher waren die beiden Modeschaffenden für ihre eigenen Labels und ihr Handwerk bekannt, mit ihren neuen Vorhaben wagen sich die beiden in die Welt der digitalen Mode und wollen sie der analogen Couture verknüpfen.
Michael Sontag hat sein gleichnamiges Label 2009 gegründet, im selben Jahr, als Tutia Schaad mit ihrer damaligen Partnerin Johanna Perret die Marke Perret Schaad ins Leben rief. Neun Jahre später beendeten die beiden ihre Zusammenarbeit, aber die Idee, selbst wieder Mode zu machen, ließ Tutia Schaad neben ihrer Arbeit als Professorin nicht los.
Nach vier Jahren meldet sie sich mit The Twins zurück, wofür sie gemeinsam mit Sontag nicht nur wie bisher physische Mode entwirft, sondern auch einen digitalen Zwilling. Aber dabei bleibt es nicht. Anstelle von Modelabel spricht sie von einem interdisziplinären Projekt, denn die Mode steht im Zentrum, aber es geht um mehr.
Im September zeigte sich das Duo erstmals beim Berliner Salon. In den drei ersten Entwürfen bildete die raue Sprache der Stoffreste aus früheren Kollektionen einen interessanten Kontrast zum hochwertigen Seidenstoff und den Couture-Techniken, mit denen sie gemacht wurden. Wie genau diese mit den digitalen Zwillingen und den NFTs funktionieren, erklären Schaad und Sontag erstmalig in einem Interview.
Wie kam es, dass Sie sich zu The Twins zusammengetan haben?
Tutia Schaad: Michael war mein erster “Fashion Love” – wenn man das so nennen kann – als ich nach Berlin kam. Wir haben an der Kunsthochschule in Weißensee zusammen studiert. Wir waren in der gleichen Klasse und gleichzeitig in Paris, als wir unsere Praktika bei Givenchy in der Prêt-à-Porter gemacht haben. Und wir lieben es, zusammen über Mode zu sprechen. Auch als wir unsere eigenen Labels geführt haben, haben wir uns immer darüber ausgetauscht, was in der Mode passiert.
Wann wurde aus der Freundschaft ein konkretes Projekt?
Tutia Schaad: Vor einem Jahr haben wir uns getroffen und darüber gesprochen, ob wir jetzt endlich mal zusammen etwas machen wollen. Was uns beide immer vereint hat, ist diese krasse Liebe für das Handwerk und die traditionelle Verarbeitung der Couture – also wirklich hochwertige Kleidungsstücke. Aber gleichzeitig auch die Innovation; wir beide haben schon mit 3D-Druck gearbeitet und interessieren uns auch wirklich für die Technologie in der Mode. Dieser krasse Kontrast hat mich auch interessiert, um etwas zusammen zu machen.
Die Kombination von Couture-Handwerk und NFTs erscheint auf den ersten Blick in der Tat als Kontrast. Mit Ihren Labels waren Sie beide bisher eher für das Handwerk bekannt, wie passt das nun zu NFTs?
Michael Sontag: Das war ja genau das, was uns interessiert hat, dass es etwas anderes und Neues ist. Es birgt neue Möglichkeiten mit sich, Mode zu machen und auch mit der Idee von Mode umzugehen.
Wie genau?
Michael Sontag: In der analogen Mode, die wir alle kennen und tragen, haben wir schon ziemlich weit ausgereizt, was es an Möglichkeiten gibt. Anders bei der digitalen Mode – es geht nicht nur um NFTs – es geht erstmal darum, digital Mode zu machen und was man digital mit Mode machen kann. Da ist schon viel möglich und da wird auch noch viel mehr möglich sein. Das heißt, es gibt total viel Potential kreativ zu sein – was wir in erster Linie sind, und was uns auch so vereint.
Über The Twins:
Das neue Berliner Modelabel The Twins hat sich erstmals im September auf der Modewoche in der Hauptstadt präsentiert. Beim ersten Projekt wurden drei physische Entwürfe vorgestellt, deren digitale Zwillinge in einem Film zu sehen sind. Die Videoarbeit in Zusammenarbeit mit Kunstschaffenden und Architekt:innen wurde in 60 Sequenzen aufgeteilt, die als NFTs gemintet worden sind. Mit der Marke Trippen wurden zudem gemeinsam Schuhe entworfen, die in 3D übersetzt wurden. Das Video und mehr von The twins ist auf dieser Webseite zu sehen: https://thetwins.michaelsontag.com
Was haben Sie aus dem ersten Projekt von The Twins mitgenommen?
Michael Sontag: Wir haben im Prozess der Entwicklung digitaler Zwillinge gemerkt, dass ganz viel, was wir an Ideen haben, noch nicht umsetzbar ist. Das ist auch eine neue Erfahrung für uns. Im Analogen gibt’s eigentlich für alles eine Lösung. Natürlich sind manche Sachen komplizierter und manche einfacher, aber wir kennen die Wege. Aber im Digitalen ist es oft noch nicht möglich, weil es die technischen Möglichkeiten noch nicht gibt und das finden wir spannend, weil es noch unbekanntes Terrain ist – auch für Leute, die da schon lange mit dabei sind. Es gibt noch vieles, was noch erforscht werden muss und wo man Pionierarbeit leisten kann.
Was vermissen Sie noch bei digitaler Mode?
Michael Sontag: Wir sehen eine Lücke zwischen der technischen Innovation und dem, was Mode bisher ist. Das ist unser Ansatz, und da wollen wir daran arbeiten, eine Brücke zu schlagen. Digitale Mode ist sehr ‘techie’ und es sind auch Leute, die oftmals nicht aus der Mode kommen, die diese Entwicklungen vorantreiben. Das merkt man auch, dass dieses Gefühl von High Fashion oder Designermode fehlt.
Wie kommt High Fashion in die digitale Welt?
Tutia Schaad: Wir haben gemerkt, dass ein gutes digitales Design viel Zeit, Liebe und Leidenschaft benötigt...
Michael Sontag:... dass das Handwerk bei der digitalen Mode eine genauso große Rolle spielt. Wie in der analogen Welt gibt es Spezialist:innen für die unterschiedlichen Gewerke. Es gibt Spezialist:innen für Kleidung, für Schuhe, Taschen und für die Umgebung. Es ist nicht so, dass ein 3D-Designer einfach alles macht. Es gibt Expert:innen genauso wie in der analogen Welt, für die unterschiedlichen Bereiche. Und es gibt auch unterschiedlich gute Handwerker:innen, genauso wie im Analogen auch.
Man hat das Gefühl, es geht alles im Digitalen so schnell, aber letzten Endes ist es gar nicht so. Es dauert genauso lange, digitale Teile zu bauen, zumindest bei den (weniger) komplexen Teilen.
Über Tutia Schaad:
Tutia Schaad ist “Head of the Faculty of Creative Arts" und Professorin für Modedesign im Atelier Chardon Savard, Macromedia Hochschule Berlin. Die Designerin studierte an der Genfer Hochschule für Kunst und Design sowie an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Nach einem Praktikum bei Givenchy war sie ab 2009 zusammen mit Johanna Perret Miteigentümerin und Co-Creative Director des Labels Perret Schaad. Seit 2016 entwirft Schaad Kostüme für das Theater und arbeitete mit den Münchner Kammerspielen oder dem Maxim Gorki Theater in Berlin zusammen.
War das zusätzliche Arbeiten in 3D eine große Umstellung für Sie?
Michael Sontag:... Mit unseren Labels haben wir schon mit 3D-Entwurf gearbeitet, meistens im Accessoires-Bereich. Als Entwurfsmethode ist es nicht so neu für uns gewesen. Wir sind beide keine 3D-Modellierer, aber haben Grundkenntnisse. Wir haben Leute dazu genommen, die unsere Teile gebaut haben. Wir haben ja auch nicht unsere Couture-Kleider selbst genäht, man holt sich dann Expert:innen dazu. Insofern ist es auch ein ähnlicher Prozess gewesen.
Viele digitale Modelabels sehen keine Notwendigkeit mehr, physische Kleidung zu entwerfen. Aber Sie machen beides. Was ist Ihr Konzept?
Tutia Schaad: Es heißt The Twins, weil es für jedes physische Teil, was wir machen, digitale Zwillinge gibt. Es ist nicht so, dass das eine Produkt ohne das andere funktioniert. Bei Chanel gibt es zum Beispiel Kleidung und daneben noch Accessoires. Digitale Mode ist Teil unserer gesamten Markenwelt, die sowohl physisch als auch digital ist.
Also NFTs als Accessoires?
Tutia Schaad: Die NFTs, die wir anbieten, sind nicht nur schön als digitale Mode zu haben, sie bilden auch eine Brücke zu unserer physischen Welt. Indem du sie trägst oder kaufst, hast du auch einen Anteil an den physischen Teilen. Dann kannst du sie auch einmal pro Jahr ausleihen – zum Anziehen, Ausstellen oder Fotografieren. Das dürfen quasi die ersten sechzig Leute, die unsere NFTs kaufen – es sind sogenannte Utility NFTs. Und sie werden zu unserer zukünftigen Modenschau eingeladen.
Wie kann digitale Mode Couture sein? Bild: The Twins
Michael Sontag:... Der NFT verliert auch nicht an Wert. Eher im Gegenteil, wenn die Attraktivität der Marke in Zukunft steigt, steigt auch der Wert des NFTs. Wenn in drei Jahren jemand 1000 Euro für ein NFT bietet, weil sie unbedingt zur Modenschau wollen, dann steigt auch der Wert aller NFTs.
Wie viel kostet ein NFT jetzt?
Tutia Schaad: 50 pro NFT. Wir haben uns bewusst für den Preis entschieden. In der Kunst gibt es ja auch NFTs, die einige Zehntausend Euro kosten. Es ging uns aber um mehr als nur das Produkt zu verkaufen, es ging uns auch darum, eine Community aufzubauen. Wir wollen unsere bisherigen Communities zusammenbringen und das Projekt mit ihnen weiterentwickeln. Das spielt eine große Rolle.
Haben Sie bereits NFTs verkauft?
Tutia Schaad: Wir haben Käufer:innen. Und wir haben auch Partner:innen, die am Designprozess mitgewirkt haben, NFTs geschenkt.
Wieso sind es gerade 60 NFTs?
Tutia Schaad: Für dieses Projekt haben wir ein Video produziert, das wir in 60 Sequenzen geschnitten haben, und jede Sequenz von etwa 10 Sekunden ist ein NFT.