Warum Angelina Jolie das ehemalige Studio von Jean-Michel Basquiat als Hauptsitz ihrer Marke wählte
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In diesem Herbst wird Angelina Jolies neue Marke in das ehemalige Atelier des Künstlers Jean-Michel Basquiat in der Great Jones Street 57 in New York einziehen. Basquiat selbst lebte dort von 1983 bis zu seinem frühen Tod in 1988. Das 6.600 Quadratmeter große alte Kutschenhaus, das für 60.000 US-Dollar pro Monat (etwa 54.950 Euro) vermietet wird, war bereits seit acht Monaten auf dem Markt. Zuvor beheimatete das das historische Gebäude das exklusive japanische Restaurant ‚Bohemian’.
Die Immobilie liegt in einer ruhigen Kopfsteinpflasterstraße, weit entfernt von der Hektik der New Yorker Modeindustrie in Manhattans Fashion District. Der Standort scheint zu Jolies Vision zu passen, eine andere Art von Modemarke aufzubauen. „Sie hat dafür gesorgt, dass sie diesen Deal bekommt“, so John Roesch, der Makler der Meridian Capital Group gegenüber Curbed. Er wies auch darauf hin, dass sie nicht ihr Team schickte, sondern über sechs Monate hinweg mehrmals selbst zu Besuch kam. Dass sie eine echte Verbindung zu den Räumlichkeiten entwickelt habe, habe Meridian dazu veranlasst, trotz mehrerer Angebote für die Immobilie, letztendlich Jolies zu akzeptieren. „Wir haben entschieden, dass Angelinas Konzept am besten zu dem Gebäude passt und es am besten nutzt“, so Roesch.
Ein kunsthistorisches Gebäude
Das künstlerische Erbe des Gebäudes begann, als Andy Warhol das Gebäude, das sich über drei Etagen erstreckt, 1970 erwarb und es später an Basquiat vermietete. Er kehrte aber oft dorthin zurück, um mit dem jüngeren Künstler zu arbeiten. Das Gebäude ist leicht zu erkennen: Zu Ehren von Basquiat ist es mit Graffiti versehen und zieht Kunst- und Musikfans an, die auf der Suche nach dem New York der Vergangenheit sind. Es wird berichtet, dass die Oscar-Preisträgerin Jolie einen achtjährigen Mietvertrag unterzeichnet habe und beabsichtige, die Fassade zu erhalten, um die künstlerische Geschichte des Gebäudes zu bewahren.
Die Gegend hat bereits einen Zustrom von Prominenten und Marken erlebt, die versuchen, das reiche kulturelle Erbe der New Yorker Downtown-Szene anzuzapfen, die einst von Musiker.innen wir den Ramones, Blondie und Patti Smith frequentiert wurde. 2008 übernahm John Varvatos das Wahrzeichen der Bowery, den Club CBGB, der als „Geburtsstätte des Punkrock“ bekannt ist. Die Marke hat darin ihren Flagship-Store eingerichtet, in dem sie Lederjacken für 2500 US-Dollar verkauft, während sich einen Block südlich von Atelier Jolie der Goop-Store befindet, die umstrittene Lifestyle-Marke von Gwyneth Paltrow.
„Basquiats Gemälde und andere Werke stellten die etablierten Vorstellungen von bildender und populärer Kunst, von Ethnie und Klasse in Frage und schmiedeten eine visionäre Sprache, die sich jeder Charakterisierung entzog“, so eine Plakette, die von der Greenwich Village Society for Historic Preservation an der Fassade der 57 Great Jones Street angebracht wurde. Das Werk des Künstlers verbindet Poesie, Zeichnung und Malerei zu einem visuellen sozialen Kommentar, der Machtstrukturen angreift und Armut und Kolonialismus thematisiert. Als Schulabbrecher und jugendlicher Ausreißer, der unter dem Namen SAMO als Graffiti-Künstler arbeitete, passte Basquiat nicht in das Schema des globalen Kunststars der dekadenten und statusbewussten 1980er Jahre.
Als Halb-Haitianer und Halb-Puerto-Ricaner fühlte er sich nie ganz wohl dabei, sich unter die wohlhabenden weißen Kunstsammler:innen jener Zeit zu mischen. Doch 2010 wurde sein Gemälde ‚Untitled‘ zum teuersten Gemälde, das jemals verkauft wurde. Es erzielte einen Rekordpreis von 110,5 Millionen US-Dollar (etwa 101,2 Millionen Euro), während erst dieses Jahr ein Basquiat-Triptychon für 67,1 Millionen US-Dollar (um die 61,4 Millionen Euro) bei Christie's in New York versteigert wurde. Nach allem, was bisher bekannt ist, widersetzt sich Atelier Jolie auch der Charakterisierung einer Bekleidungslinie einer Prominenten. „Es ist ein Privileg, in diesen Räumlichkeiten zu sein“, schrieb Jolie auf Instagram. „Wir werden unser Bestes tun, um das Vermächtnis der Künstler:innen mit Gemeinschaft und Kreativität zu respektieren und zu ehren.“
Könnte Atelier Jolie ein neues Modell einer Promi-Bekleidungslinie einläuten?
Auf der Website von Atelier Jolie ist zu lesen, dass die Marke „ein vielfältiges Team zusammenbringen wird, einschließlich Lehrstellen für Geflüchtete und andere talentierte, unterschätzte Gruppen, mit würdigen Positionen auf der Grundlage von Fähigkeiten.“ Es wird angedeutet, dass New York das erste von weiteren geplanten Ateliers ist und auf Instagram beschrieb Jolie, „Teil einer Bewegung“ zu sein, „die mehr Selbstausdruck kultiviert.“
Neben ihrer Karriere als Schauspielerin und Regisseurin arbeitete Jolie zwei Jahrzehnte lang für das UN-Flüchtlingshilfswerk. Als UN-Botschafterin reiste in den Jemen und nach Burkina Faso, um auf die Not der Menschen dort aufmerksam zu machen, die aufgrund von Krieg und Hunger aus ihrer Heimat fliehen mussten.
Ihre Marke hat bereits an einer ersten Zusammenarbeit mit dem französischen Luxusmodehaus Chloé für eine Kapsel-Kollektion gearbeitet, die von Jolie und Gabriela Hearst entworfen wurde. Auch Hearst setzt sich, wie Jolie, für soziale und ökologisch nachhaltige Mode ein. Sie trat im vergangenen Monat als Kreativdirektorin von Chloé zurück. Die Zusammenarbeit ermöglichte es Jolie, mit Kunsthandwerker:innen eines Fair-Trade-Unternehmens zusammenzuarbeiten und eine Kollektion zu entwerfen, die laut Jolie bei der Verwendung umweltfreundlicherer Materialien weiter gehe, als alle bisherigen Chloé-Kollektionen. „Nur sehr wenige Luxusmarken sind B-Corp-zertifiziert. Es war mir wichtig, mit Chloé zusammenzuarbeiten, einer der ersten Luxusmarken, die eine B Corp. sind“, schrieb Jolie, die versprach, alle Einnahmen aus der Zusammenarbeit in die Ausbildung von Schneider:innen und Kunsthandwerker:innen des Atelier Jolies zu investieren.
Eine neue Herangehensweise?
Aber Jolie ist auch eine Kunstsammlerin und die ersten Anzeichen deuten darauf hin, dass ihre Herangehensweise an den Markenaufbau und die Kreativität anders sein könnte, als die früherer Prominente, die in die Modebranche kamen. In dem Instagram-Post, der den Launch ankündigte, hieß es: „Atelier Jolie möchte sich anderen in ihrem Bemühen anschließen, die Modeindustrie zu demokratisieren.“ Sogar ihre Einstellungsstrategie ist anders. Die Marke hat einen ersten Aufruf auf Instagram veröffentlicht, in dem sie nach qualifizierten Schneider:innen sucht. Das ist sicherlich eine demokratischere Rekrutierungsmethode als der traditionelle Weg der Abwerbung von festangestellten Kreativen aus anderen Luxushäusern oder der Kontaktaufnahme mit globalen Luxus-Headhunter:innen wie Floriane De Saint Pierre.
„Wir suchen nach Schneider:innen, die sich auf Qualität und Kreativität verstehen. Das erste Atelier wird in New York City sein, dieser Aufruf richtet sich an Schneider:innen, die dort leben. Wir hoffen, dass es bald weitere geben wird, da wir eine globale Familie aufbauen“, schrieb sie. „Wir freuen uns auf Ihre Bewerbungen. Denken Sie daran: Wenn Sie in dieser Runde nichts von uns hören, wird es noch viele weitere Runden und andere Gelegenheiten geben.”
Atelier Jolie soll auch ein Ort sein, an dem die Öffentlichkeit reparaturbedürftige Kleidungsstücke aus ihrem Kleiderschrank abgeben kann, um „dem, was weggeworfen werden könnte, neues Leben einzuhauchen und hochwertige Erbstücke mit persönlicher Bedeutung zu schaffen.“ So wird auch die 57 Great Jones Street in ein neues Gewand gehüllt. Ein Gebäude, das so vielen Menschen so viel bedeutet, sollte nicht nur bewahrt werden, sondern auch wieder mit seiner Anti-Establishment-Kreativität aufwarten. Basquiat hat nicht nur auf Papier gearbeitet, sondern nutzte auch gefundene Materialien wie Fenster, Türen oder Gummiplatten, die mit Stangen und Scharnieren zusammengefügt wurden, als Leinwand. Ein Kollektiv also, das bisher übersehene Kreative dazu einlädt, aus alten und nicht mehr benötigten Stoffen Erbstücke herzustellen? Basquiat würde das sicher gutheißen.
Dies ist eine Übersetzung eines englischen Beitrags von Jackie Mallon. Mallon lehrt Mode in New York und ist die Autorin des Buches ‚Silk for the Feed Dogs’, ein Roman, der in der internationalen Modeindustrie spielt. Übersetzung und Bearbeitung: Barbara Russ