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Warum die Modebranche Black Lives Matter unterstützen muss

Von Jackie Mallon

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Mode |KOMMENTAR

Fridays for Future und die Black Lives Matter-Proteste prallten in diesem Jahr aufeinander und zum ersten Mal übertönten die Forderungen der Letzteren die Stimmen der Ersteren. Proteste rund um den Mord an George Floyd durch weiße Polizisten haben in allen 50 Staaten der USA und in 18 weiteren Ländern stattgefunden. Es ist damit wohl die größte Bürgerrechtsbewegung der Weltgeschichte.

Im Jahr 2015 lancierten die Vereinten Nationen ihre Ziele für nachhaltige Entwicklung, "eine gemeinsame Blaupause für Frieden und Wohlstand für die Menschen und den Planeten", und die Nummer 16 auf der Liste ist Frieden und Gerechtigkeit. Einer der lautesten Rufe bei den Black Lives Matter-Kundgebungen war "Keine Gerechtigkeit, kein Frieden!"

Die Mentalität eines Kolonialherren im In- und Ausland

Im März startete die Non-Profit-Organisation Remake auf der Grundlage von Berichten von Zulieferern die PayUp-Kampagne, um Fast-Fashion-Firmen wie Forever 21, Gap, Urban Outfitters, Walmart, JCPenney und Kohl dafür zu zur Verantwortung ziehen, dass sie die Zahlung für Waren im Wert von Milliarden von US-Dollar zurückgezogen haben, die bereits von Fabrikarbeitern in Bangladesch, Indien, Myanmar und Kambodscha hergestellt wurden. Um die Verluste aus ihrer dreimonatigen Ladenschließung auszugleichen, brachten diese westlichen Einzelhandelsgiganten während einer Pandemie ohnehin stark betroffene marginaliserte Community in eklatanter Weise in Gefahr.

Laut Remake verdienen Bekleidungshersteller in Bangladesch durchschnittlich 95 US-Dollar im Monat, während der Grundlohn eines äthiopischen Bekleidungsarbeiters 26 US-Dollar im Monat beträgt, und viele leben von der Hand in den Mund, in Gemeinden ohne Infrastruktur und ohne Gesundheitsversorgung. Sie arbeiten mit lokalen Materialien und beherrschen Formen des Kunsthandwerks, die oft über Generationen weitergegeben wurden. Noch alarmierender als diese Zahlen ist die Tatsache, dass der Verdienst der Arbeiterinnen und Arbeiter so rücksichtslos von Firmengiganten verweigert werden konnte, die sich nicht besser als frühere Kolonialisten verhalten.

Dieses Verhalten offenbart eine Mentalität, die häufig zum Vorschein kommt, wenn Modemarken mit verschiedenen Ethnien zusammenarbeiten. Häufig werden Arbeiter Opfer eines grausamen Systems, das den Profit über alles andere stellt. Und selbst wenn Marken in ihrem Branding-Material Bilder namenloser Arbeiter zeigen, kann dies als symbolisch erscheinen, mit dem Unterton der Mentalität der weißen Retter.

Die Klimakrise und die Diskriminierung, die beiden großen Identitätskrisen der westlichen Welt, sind untrennbar miteinander verbunden. Marken überproduzieren, wir überkonsumieren, Bekleidung ist zu einer globalen Bedrohung geworden. In pakistanischen Flüssen fließt Indigo, um unser unersättliches Verlangen nach Jeans aufrechtzuerhalten, während die Körper von Teenagern in Bangladesch von einstürzenden Fabriken zerquetscht werden, und zu Hause in den USA leben unsere 'Communities of Color' Studien zufolge am ehesten in der Nähe von Mülldeponien mit gefährlich hohen Werten von Luftverschmutzung. Die von der Trump-Regierung vorgeschlagene Kürzung der MIttel für die Umweltschutzbehörde von 78 Prozent wird die innenpolitischen Probleme nur noch verschlimmern. Es gibt keine Ökologie ohne Anthropologie, und die Brüche in unserer gemeinsamen Menschlichkeit waren nie offensichtlicher als in den vergangenen zwei Wochen. Unser soziales Gefüge löst sich auf, wird die Modeindustrie dabei helfen, die Bindungen zu flicken?

Black Lives Matter ist gut für das Erzählen von Markengeschichten

Die rücksichtslose Einstellung, die die PayUp-Kampagne von Remake ans Licht brachte, existiert zu Hause in den USA weiter, nur besser getarnt. Unsere Industrie hat sich in der Vergangenheit an Protesten und Aufständen beteiligt, um T-Shirts zu verkaufen, und sie hat sich in den letzten Jahren selbst auf die Schulter geklopft, wenn es darum ging, auf Laufstegen und in Kampagnen People of Color zu zeigen. Am Blackout Tuesday haben Marken von Boohoo über Nordstrom bis hin zu Celine, deren Kreativdirektor Hedi Slimane bisher im Schneckentempo auf jede Forderung nach Vielfalt in seinen Kampagnen reagiert hat, ihre Verbundenheit mit Black Lives Matter bekundet, indem sie schwarze Quadrate auf ihren Instagram-Konten platzierten. Nichts als ein Lippenbekenntnis, scheint es: Es sind nur vier Schwarze CEOs auf den neuesten Fortune 500 gelistet, von denen nur einer aus der Modebranche kommt, Jide Zeitlin von dem Modekonzern Tapestry. Der Laufsteg bildet in etwa genau so ehrlich die Bedeutung von People of Color in der Mode ab, wie der Aktienmarkt die Gesundheit der US-Wirtschaft mit ihren über 40 Millionen Arbeitslosen.

Mode, so sagt man, ist ein Spiegelbild der Kultur im Allgemeinen und dessen, was gesellschaftlich vor sich geht. In den Städten brodeln Unruhen, die Bürger prangern Amtsmissbrauch an, schaffen Gatekeeper ab und stürzen Statuen. Ist unsere Industrie bereit für das gleiche Maß an Selbstkritik? Die reine Platzierung von Models of Color, um seine guten Absichten zu beweisen, wird künftig nicht mehr ausreichen. Dieser Moment erfordert den Umsturz eines Machtsystems, von dem Weiße profitieren. Die archetypischen "Karens" [Anm. d. Red: Der Name ‘Karen’ steht im angloamerikanischen Kontext für privilegierte weiße Frauen, die Teil des Problem sind] durchdringen unsere Industrie, weiße Frauen, die durch Worte oder (unterlassene) Taten Minderheiten an den Rand gedrängt, Mikro-Aggressionen gegen sie heruntergespielt oder umstrittene Praktiken unterstützt haben. Es gibt auch die "Chads", Mitverschwörer in der Unterdrückung oder Herren des problematischen Regimes, das männliche Pendant zu Karen. Diese Personen sind nicht unbedingt rassistisch, aber auch nicht aktiv antirassistisch. Sind sie bereit, das weiße Monopol, ihr Anspruchsdenken, zu opfern, um auf den Notstand der Gesellschaft zu antworten?

Die Schriftstellerin Toni Morrison sagte 1975 zu einer Menschenmenge: "Die sehr ernstzunehmende Funktion des Rassismus ist es, abzulenken. Er hindert Euch daran, Eure Arbeit zu tun. Er erlegt Euch auf, immer und immer wieder Eure Daseinsberechtigung zu erklären.” So wie die Pflicht zur Demontage dieser ungerechten diskriminierenden Systeme auf die Weißen, die sie aufgebaut haben, fallen muss, so muss auch der Umweltaktivismus vorerst an die Weißen fallen. Denn, wie die Klimawissenschaftlerin Ayana Elizabeth Johnson letzte Woche in der Washington Post formulierte: "Wie können wir von Schwarzen Amerikanern erwarten, dass sie sich auf das Klima konzentrieren, wenn wir auf unseren Straßen, in unseren Gemeinden und sogar in unseren eigenen Häusern so gefährdet sind?”

Fokussierung auf Schwarze Unternehmen und nicht nur auf Schwarze Konsumenten

Die 15-Prozent-Zusage, eine Initiative der in Brooklyn ansässigen Aurora James, Gründerin der nachhaltigen Schuhkollektion Brother Vellies, fordert Unternehmen wie Target und Shopbop auf, 15 Prozent ihrer Regalfläche für Unternehmen mit Schwarzen Inhabern zu reservieren. Ziel ist es, Afroamerikaner zu Interessenvertretern zu machen, die ihrem Beitrag zur Gesellschaft - sie machen 15 Prozent der US-Bevölkerung aus - gerecht werden und ihren Wert als Produzenten und Konsumenten widerspiegeln. Wie James auf Instagram erklärte: "So viele Ihrer Unternehmen sind auf der Kaufkraft der Schwarzen aufgebaut. So viele Ihrer Geschäfte sind in Schwarzen Gemeinden angesiedelt. So viele der von Ihnen gesponserten Beiträge sind auf Black Feeds zu sehen. Das ist das Mindeste, was Sie für uns tun können."

Die Industrie hatte drei Monate oder, um in der Sprache der Wirtschaft zu sprechen, ein Quartal Zeit, um mit ihren prominenten Denkern und Vordenkern über umweltfreundlichere Praktiken und einen humaneren Kalender nachzudenken und eine Strategie zu entwickeln, um ihre Bilanz zu verbessern. Sie hatten die Pandemie kollektiv als Gelegenheit gesehen, die Branche neu zu denken. Aber das war vor den Protesten. Jetzt ist nichts Geringeres als eine Revolution vonnöten. Einstellungen, die seit vierhundert Jahren in Kraft sind, ändern sich nicht in drei Monaten.

Die Modeindustrie jagt oft dem Zeitgeist hinterher, und hin und wieder fängt sie ihn sogar ein. Jetzt auf der falschen Seite der Geschichte zu stehen, wäre fatal.

Dies ist eine Übersetzung eines englischen Beitrags von Jackie Mallon. Jackie Mallon lehrt Mode in New York und ist die Autorin des Buches ‚Silk for the Feed Dogs’, ein Roman, der in der internationalen Modeindustrie spielt. Übersetzung und Bearbeitung: Barbara Russ

Anmerkungen zur Übersetzung:

Race - Der Begriff "Rasse" ist – insbesondere im deutschen Sprachgebrauch – problematisch, da er mit einem wissenschaftlich nicht haltbaren biologistischen Konzept verbunden und nicht als soziale Konstruktion verstanden wird.

People of Color / Menschen of Color ist "eine internationale Selbstbezeichnung von/für Menschen mit Rassismuserfahrungen. Der Begriff markiert eine politische gesellschaftliche Position und versteht sich als emanzipatorisch und solidarisch. Er positioniert sich gegen Spaltungsversuche durch Rassismus und Kulturalisierung sowie gegen diskriminierende Fremdbezeichnungen durch die weiße Mehrheitsgesellschaft."

Schwarze Menschen ist eine Selbstbezeichnung und beschreibt eine von Rassismus betroffene gesellschaftliche Position. "Schwarz wird großgeschrieben, um zu verdeutlichen,dass es sich um ein konstruiertes Zuordnungsmuster handelt und keine reelle" Eigenschaft", die auf die Farbe der Haut zurückzuführen ist. "Weiß" und "Weißsein" bezeichnen ebenso wie "Schwarzsein" keine biologische Eigenschaft und keine reelle Hautfarbe, sondern eine politische und soziale Konstruktion.

Weitere Informationen zu diskriminierungssensibler Sprache finden Sie auf www.amnesty.de/2017/3/1/glossar-fuer-diskriminierungssensible-sprache.

Fotos: FashionUnited

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