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Wenn man in einer immateriellen Welt lebt, welche Materialien sind dann wichtig?

Von Jackie Mallon

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Mode|MEINUNG

Vor etwa dreißig Jahren sang Madonna ihren Song 'Material Girl'. Sie war dabei in pinkfarbenen Satin gehüllt, kokettierte mit Pelz, funkelte nur so vor Juwelen und wurde von einer Gruppe von Männern auf Händen durch die Luft getragen. Sie ahmte dabei ihr Idol Marilyn Monroe nach, die etwa dreißig Jahre zuvor, ähnlich gekleidet, über Diamanten gesungen hatte, die in dem Film "Gentlemen Prefer Blondes" die besten Freunde eines Mädchens waren. Ein weiterer Flashback um dreißig Jahre zurück zeigt eine blonde Mae West als Femme Fatale. Sie reagierte auf den Ausruf von „My Goodness!" von einem Bewunderer mit der Aussage "Gut sein hat damit nichts zu tun."

Hat Goodness nichts mit Glamour zu tun?

West hatte Recht. Im Laufe der Geschichte war weiblicher Glamour ein rücksichtsloser Todeskampf, in dem die Hauptakteure in einem Patchwork aus Häuten, Fellen und Federn der verwundbarsten Kreaturen des Planeten gekleidet waren. Der Glamour, dem ihre Fans nacheiferten, war eine Trophäe der Zerstörung. Aber zumindest wussten wir, wo wir standen.

Das heutige Neuland kann für Glamour Queens verwirrend sein. Luxushäuser wie Gucci und Giorgio Armani haben sich dazu entschlossen, gegen Pelz Stellung zu beziehen. Das Streben nach Glamour, es rechtfertigt nicht mehr das Töten und Misshandeln von Tieren. Mit einem weiteren Schritt hat nun der britische Modehändler Asos zugesichert, dass bis Januar 2019 nicht nur Produkte, die "Pelz, einschließlich mongolisches Lammfell für Kaninchenhaar" enthalten, sondern zusätzlich alle Produkte mit "Knochen, Horn, Muscheln (einschließlich Perlmutt), Zähne, Mohair, Kaschmir oder Seide“ nicht mehr von ihnen verkauft werden sollen. Selbst H&M, Zara und Gap sind kürzlich Mohair-frei geworden. Werbekampagnen verwenden den Begriff seidig -glatt, um das Gefühl nach einer angenehmen Dusche auf unserer Haut zu beschreiben. Echte Seide hingegen ist gar nicht so sauber und unschuldig, wie man denken mag. Der durchschnittliche Kunde, der eine Seidenbluse kauft, weiß wahrscheinlich nicht, dass laut PETA zirka 3.000 Seidenraupen in ihren Kokons lebend gekocht werden, um ein Pfund Seide zu produzieren. Sie könnten jedoch wissen, dass es eine der ältesten und die stärkste natürliche Faser ist, die dem Menschen bekannt ist. So steht sie seit Generationen für Qualität und Glamour. Begriffe wie Taft, Damast oder Shantung dienten im Laufe der Zeit dazu, Seide mit ihrem exotischen Reiz zu versehen.

Polyester und Nylon wurden seit dem frühen zwanzigsten Jahrhundert als Seidenalternativen angeboten. Während des zweiten Weltkrieges wurden Nylonstrümpfe als Höhepunkt der Dekadenz angesehen. Frauen, denen es nicht gelang, ein Paar in die Hände zu bekommen, nicht einmal auf dem Schwarzmarkt, waren gezwungen, die Naht mit einem Stift auf die Rückseite ihres Beines zu malen. Nach dem anfänglichen Boom wurden "synthetische" Fasern oder Chemiefasern als budgetfreundliche Optionen angesehen, Naturfasern behielten aber weiterhin Ruf der überlegenen Faser. Doch auch diese synthetischen Fasern, die aus Erdöl gewonnen werden, sind laut PETA nicht umweltfreundlich und landen am Ende ihrer Nutzdauer auf Müllddeponien und in Ozeanen. Selbst einfache Baumwolle ist nicht unproblematisch, ob Bio oder nicht.

In einer zunehmend immateriellen Welt, in der alle traditionellen Symbole von Glamour und Luxus in Misskredit geraten, sind fast alle Statusmaterialien, die man einst als ‚beste Freunde‘ ansah, bestenfalls Ex-BFFs, und manch einer schämt sich dies einzugestehen. Das Thema Stoffe und Materialien ist ein modernes Minenfeld. Längst geht es nicht mehr darum, was sich gut anfühlt, sondern was kein schlechtes Gewissen hinterlässt. Ein Trost könnte sein, dass digitale Erfahrungen und virtuelle Realität zunehmend vereinnahmen und Eigentum nicht mehr den selben Stellenwert hat. Physische Materialien könnten zukünftig weiter an Wichtigkeit verlieren.

Das Aussehen von Luxus

Nach einem über Jahrhunderte kaum veränderten Status quo sieht Luxus heute radikal anders aus. Verantwortungsvoller Konsum hat den rücksichtslosen Überschuss in allem, was Geld kaufen kann, ersetzt. Biologisch abbaubares Polyester ist die Pelzstola des denkenden Mädchens oder des Jungen. Unsere Lingerie wird kompostierbar sein und unsere Bioleder-Bikerjacke wird aus Kollagenprotein, unsere Handtasche aus Äpfelschalen und unsere Sandalen aus Pilzen hergestellt werden. Mehrzweckprodukte werden zum ultimativen Statussymbol.

Der Inbegriff des neuen Glamours sind Iris Van Herpens formgebende, hinreißende Sci-Fi-Kreationen, die wie Energiefelder um den Körper zu schweben scheinen. Mit Stahlfäden, die Seide und Silikon imitieren, die Haut nachahmen, werden ihre Kleider, die in Kristallen tropfen oder in Federn verschönert sind, stattdessen in ihrem Atelier in 3D gedruckt und sorgfältig zusammengebaut. Einzigartige Stücke, die aus Kollaborationen mit Wissenschaftlern, Architekten und dem Militär entstanden sind, scheinen sich als Antwort auf die Notwendigkeit einer neuen maßgeschneiderten Produktion für die Zero-Waste-Generation materialisiert zu haben. Sie arbeitet regelmäßig mit CERN (der Europäischen Organisation für Kernforschung) und dem MIT (Massachusetts Institute of Technology) zusammen und arbeitet an der Schnittstelle zwischen Skulptur und Couture. Ihre ephemeren und zerbrechlichen Kleider erinnern nur noch dunkel an die abgelegten Exoskelette des Madonna-/ Marilyn-/ Mae-Glamours, der heute, wie ein Fossil, der Vergangenheit angehört.

Das 'Material Girl' von heute ist nicht käuflich. Verantwortungsbewusstsein ist in Mode gekommen und die Konsumentin verlangt nach einer Bestätigung, die über ihre Reflektion im Spiegel hinausgeht. Die Komplimente, nach denen sie strebt, sagen nicht nur ihrem Ego zu, sondern der ganzen Menschheit und Mutter Erde. Wie sich ein Material außen auf ihrer Haut anfühlt, hält keinem Vergleich dazu stand, wie zweifelsfrei sie ein Stoff innerlich stimmt.

Dies ist eine Übersetzung eines englischen Beitrags von Jackie Mallon. Jackie Mallon lehrt Mode in NYC und ist die Autorin des Buches ‚Silk for the Feed Dogs’, ein Roman, der in der internationalen Modeindustrie spielt. Übersetzung und Bearbeitung: Barbara Russ

Bilder: Pexels, pixabay, Youtube, Wikicommons, Catwalk pictures, Iris van Herpen, Couture AW17

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