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Wenn Mode Schaden anrichtet, ist adaptive Kleidung die Zukunft

Von Jackie Mallon

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Mode
Adaptive Kleidung von IZ Adaptive. Credit: IZadaptive.com

Das Titelbild der britischen Vogue zeigt in diesem Monat prominente Menschen mit Behinderungen. Es soll daran erinnern, wie wichtig Sichtbarkeit und Repräsentation in der Mode ist, gerade für ausgegrenzte Gruppen oder Minderheiten. Der Chefredakteur der britischen Vogue, Edward Enninful, lebt selbst mit einer unsichtbaren Behinderung, wie er im Interview mit der Zeitung Guardian verriet: „Ich hatte fünf Netzhautablösungen, bin teilweise blind und habe ein Hörvermögen von weniger als 50 Prozent - ich trage jetzt ein Hörgerät“.

Das Cover der Vogue versucht die heilsame Wirkung der Mode auszuloten: Menschen, die mit Behinderungen leben, finden sich auf der Titelseite des wichtigsten Modemagazins wieder, nachdem sie sich ein Leben lang von der Luxusindustrie ungesehen gefühlt hat. Aber selten wird darüber gesprochen, dass die Mode jahrzehntelang ein Gatekeeper war, der nur eine sehr enge Definition von Schönheit und Normalität zuließ.

„Die Game Changer-Hose ist die wichtigste Arbeit, die ich je gemacht habe“, sagt Izzy Camilleri aus Toronto. Sie ist die Gründerin von IZ Adaptive, einer der ersten adaptiven Bekleidungslinien der Welt. Die Welt scheint ihr zuzustimmen, denn ihre Designs können sogar lebensrettend sein. Dafür erhielt Camilleri 2022 zwei Auszeichnungen für ihre 2009 gegründete adaptive Linie: den Innovationspreis bei den Women's Empowerment Awards und den Fashion Impact Award der Canadian Art & Fashion Awards.

Camilleri hat Berühmtheiten wie Meryl Streep, Angelina Jolie und David Bowie eingekleidet, aber als Menschen mit Behinderung nach einer Hose ohne Schrittnaht fragten, war sie ratlos. „Ich habe nicht wirklich verstanden, was daran so schlimm ist“, sagt sie gegenüber FashionUnited. „Ich dachte, dass diese Naht ein wesentlicher Bestandteil des Hosendesigns ist, weil sie die rechte und die linke Seite trennt und ihre Kurven den Hintern formen." Camilleri wiederholte damit lediglich einen Industriestandard, der auch die Grundlage jeder Modeausbildung bildet. Es sei demnach unmöglich, eine gut sitzende Hose ohne eine Naht im Schritt zu entwerfen. Modestudierende, die diese Naht in ihren technischen Skizzen vergessen, bekamen eine schlechte Note wegen Nachlässigkeit.

Pionier-Technologie in der Game Changer Hose von IZ Adaptive. Bild: IZadaptive.com

Designs für den adaptiven Markt neu denken

Bei Menschen, die auf den Rollstuhl angewiesen sind, um sich in der Welt zu bewegen, kann die Naht jedoch zu Druckstellen führen, wenn sie stundenlang auf die Wirbelsäule drückt. Über einen längeren Zeitraum kann das die Haut durchdringen und bis zu einem Jahr dauern, bis solch eine Wunde verheilt ist. In manchen Fällen müssen die Betroffenen drei Monate lang auf dem Bauch liegen, um sich zu erholen. Im schlimmsten Fall kann es zu einer tödlichen Blutinfektion kommen, wie jene, an der der Superman-Darsteller Christopher Reeve starb. Und das alles wegen der Platzierung einer Naht.

„Es ist häufig, es lähmt einen und die längste Zeit dachte ich, ich könnte nichts tun“, sagt Camilleri. „Dann, während des ersten Lockdowns, als so wenig los war, fragte ich mich, ob ich das Problem nicht lösen könnte. Ich habe diese Hose den Game Changer genannt, weil sie genau das ist.“

Die zum Patent angemeldete Seamless Technology von IZ beinhaltet einen Schnitt zum Sitzen mit klassischer Vorderseite und zusätzlicher Länge an der Rückseite, um ein Verrutschen zu vermeiden. Bei einigen Modellen sind die Nähte an den Stellen, an denen sonst Nähte zu sehen sind, optisch nachgebildet, um den Look einer herkömmlichen Jeans zu imitieren. Taschen auf der Vorderseite wurden umgenäht, da selbst wulstiger Stoff zu Wunden führen kann. Die Technologie wurde bei Sweatshirts, Chinos, Leggings und Yogahosen für Männer und Frauen eingesetzt.

Adaptive Mode, eine aufregende Design-Herausforderung für Kreative

Es gibt so viele Überlegungen, die in die Entwicklung von adaptiver Mode einfließen, dass es wirklich eine aufregende Möglichkeit für Designer:innen und Schnittmacher:innen ist, die sich gerne einer Herausforderung stellen. Eine gehbehinderte Person kann den Tag mit einer Taille von 30 Zoll (etwa 76 Zentimeter) beginnen, aber im Laufe des Tages kann sie 32 Zoll (etwa 81 Zentimeter) umfassen, weil die Organe bei längerem Sitzen absinken. Ein Gummiband wirkt dem entgegen.

Camilleri leistete Pionierarbeit in Sachen adaptives Design, als darüber noch nicht viel diskutiert wurde. „Die meiste Zeit war ich allein“, sagt sie. Jetzt lizenziert sie ihre Technologie für andere Marken und arbeitet eng mit Runway of Dreams, Gamut Management und vor allem mit Menschen mit Behinderungen zusammen. Ihren ersten Ausflug in die adaptive Mode machte sie 2004, als sie für eine Kundin, die einen Rollstuhl benutzte, Maßanfertigungen anfertigte und von den Herausforderungen erfuhr, mit denen sie konfrontiert war. Statistiken in Kanada zeigten damals, dass 84 Prozent der Menschen, die sich die Wirbelsäule brechen, zwischen 18 und 34 Jahre alt sind und sich entweder bei Autounfällen oder beim Sport verletzen. Die restlichen 16 Prozent wurden durch Stürze bei älteren Menschen verursacht. Die erschütternde Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage veranlasste Camilleri dazu, ihr Geschäft auf Designs für Menschen mit Behinderungen umzustellen und sich auf Kleidung für Rollstuhlfahrer:innen zu spezialisieren.

„Es gab nur Angebote für ältere Menschen, aber nichts für junge Unfallopfer, die ihr Leben neu aufbauen und vielleicht wieder arbeiten wollen“, sagt sie. „Wenn man ein Goth ist, bleibt man das dieselbe Person, die man vor dem Unfall war, und stellen Sie sich vor, dass Ihnen das durch den Mangel an Möglichkeiten genommen wird.“

IZ bietet elegante Kleidungsstücke mit versteckten Innovationen, die für das bloße Auge nicht immer sichtbar sind, und genau das ist die Absicht von Camilleri. Traditionell gestaltete Mäntel können für Menschen im Rollstuhl oder für diejenigen, die nicht aufstehen können, um den Saum unter sich zu richten, ein Problem darstellen. „Viele Rollstuhlfahrer:innen tragen aus diesem Grund kurze Bombermäntel, um zu vermeiden, auf einer Stoffwulst zu sitzen“, sagt Camilleri. „Aber in der kanadischen Kälte friert Ihr Schoß und Sie bewegen Ihre Beine nicht, sodass es lange dauert, bis der Körper die Energie zum Aufwärmen aufbringt.“ Die Anprobe von Modellen in Rollstühlen ist für die Entwicklung von Prototypen entscheidend. Die IZ-Mäntel folgen der Linie einer sitzenden Person, wobei die Rückseite bis zur Sitzfläche des Stuhls reicht, während die Vorderseite über das Knie reicht, sodass der Mantel angezogen werden kann, ohne dass man aufstehen muss.

Laufsteg-Look von der Unhidden Show bei der London Fashion Week. Bild: Unhidden

Victoria Jenkins, Bekleidungstechnologin und Gründerin der Marke Unhidden, deren Laufstegshow im Februar während der Londoner Modewoche für Aufsehen sorgte, wurde wegen Magen-Darm-Problemen mehrfach operiert. Sie hat ihre Marke gegründet, um inklusive und anpassungsfähige Kleidung für Menschen mit Behinderungen anzubieten, wie beispielsweise angepasste Hosen für Rollstuhlfahrer:innen mit vertikalen Taschen, damit der Inhalt nicht herausfällt, und einem elastischen Bund, der für sitzende Menschen nicht einschränkend oder schmerzhaft ist. Es gibt auch Hemden mit Öffnungen für Stomata oder Ernährungssonden und Armöffnungen für Patienten, die sich einer Chemo- oder Strahlentherapie unterziehen. Kleidung, die ohne diese Überlegungen entworfen wurde, „kann die Würde beeinträchtigen“, sagt Jenkins. „Die Möglichkeit, Schläuche durch die Öffnungen zu führen, ist bequemer und weniger riskant.“

Rutschige Stoffe können für Rollstuhlfahrer:innen gefährlich sein und manche Menschen mit bestimmten Hautkrankheiten können nur Naturfasern tragen. Wenn eine Person Schwierigkeiten hat, die Arme zu heben, um in die Ärmel zu kommen, sind abnehmbare Ärmel hilfreich und Capes haben sich als begehrt erwiesen, sagt Camilleri. Mäntel und Jacken von IZ haben falsche Knöpfe, die magnetische Verschlüsse verdecken, während bei Modellen mit Reißverschluss ebenfalls ein Magnet verborgen ist, sodass sie sich einfach zusammenklappen lassen, um das Anziehen für Menschen mit eingeschränkter Beweglichkeit zu erleichtern.

Wenn man sich die vielen Mängel im traditionellen Bekleidungsdesign ansieht, kann es den Anschein haben, als ob die Gesellschaft oder, genauer gesagt, die Modeindustrie den Schaden für Menschen mit Behinderungen noch verschlimmert. Ist es daher angemessen, traditionelles Design als ‚ableist‘ oder behindertenfeindlich, zu bezeichnen? Jenkins ist der Meinung, dass die aktuelle Art, Mode zu denken, auch für Unternehmen kontraproduktiv ist. „Es ist reine Ignoranz, aber das ist nicht immer die Schuld einer Marke“, sagt sie. „Wir sind so voneinander abgeschottet, dass es einfach ein Fall von aus den Augen, aus dem Sinn ist. Ich denke, es ist ausgrenzend und ich denke, dass jede Marke, die sich selbst als nachhaltig bezeichnet, sich überlegen muss, was es für sie bedeutet, 25 Prozent aller Menschen auszuschließen. Wir haben nur begrenzte Ressourcen und müssen sie intelligenter einsetzen, und das bedeutet, dass universelle Designpraktiken in alles integriert werden müssen.“

Dieser Artikel wurde auf FashionUnited.com veröffentlicht. Übersetzung und redaktionelle Bearbeitung: Barbara Russ

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