Wie die Mode im Homeoffice menschlicher und transparenter wird
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Ob das Homeoffice-Modell beibehalten werden kann, wenn die Läden wieder öffnen und Unternehmen ihre Mitarbeiter wieder in die Büros lassen dürfen? Während diese Diskussion noch weitertobt, hat die Modeindustrie von den Einschränkungen gelernt, die mit virtuellen Begegnungen verbunden sind.
Der Prozess einer Kollektionsgestaltung beinhaltet das Berühren von Materialien. Von der Skizze bis zum Drapieren, von der Auswahl der Stoffe bis zur Anprobe, von der Show bis zum Verkauf - für jeden Schritt waren traditionell echte Handgriffe und die reale Begegnung zentral.
Mode ist ein Geschäft mit Gefühlen: Sie hat die Fähigkeit, alle unsere Sinne anzusprechen. Ihre Shows und Kampagnen wecken unsere Emotionen, während die Körperlichkeit der Kleidungsstücke auf der Haut nicht digitalisierbar ist. Wie ein Stoff klingt, wie er raschelt oder fällt, wie er sich am Körper verhält, ob er luftig ist oder am Körper klebt, macht ein Kleidungsstück und die damit einhergehenden Emotionen aus. So viel unseres Handwerks hängt von der menschlichen Hand ab: vom meisterhaften Schnitt, vom sorgfältigen Zuschneiden, vom traditionellen Weben, bis hin Fertigkeiten, die über Generationen weitergegeben werden.
Digitale Werkzeuge bieten der Mode einen unerwarteten neuen Aspekt von Menschlichkeit
Covid-19 hat Marken und Insidern die Lizenz erteilt, digitale Inhalte mit kleinem Produktionsbudget zu liefern, die noch vor wenigen Monaten inakzeptabel gewesen wären. Zoom-Konferenzen mit Influencern und Tastemakern aus der Modebranche besitzen eine DIY-Spontaneität, die fast schon anarchisch ist. In einem noch nie dagewesenen Blick hinter die Kulissen können wir die arsengrüne Samtcouch des prominenten Journalisten Alexander Fury sehen und dann darüber staunen, wie Anna Wintours eher langweilige ecrufarbene Vorhänge im Widerspruch zu ihrer dunklen Brille stehen.
Und während dieser Ad-hoc-Sendungen geht links und rechts etwas schief. Da ist Cara Delevingne, die mit der Technologie kämpft, während sie mit dem Präsidenten von Greenpeace auf Instagram zoomt; der weise Chronist Tim Blanks, der seinen Gedankengang verliert, weil sein Interviewerin ihn unterbricht, weil sie ihr Telefon aufladen muss. Die Grand Dame der US-Mode, Diane von Fürstenberg, ist wie wir alle, wenn sie jedes Mal, wenn sie sich in der Kamera sieht, ihre Haare überprüft. Die Größen der Mode spiegeln die Ängste von uns allen wider, während wir uns stoisch darauf vorbereiten, was als nächstes in diesem großen Abenteuer auf uns zukommen mag.
John Galliano hat im Gespräch mit Anna Wintour letzte Woche gezeigt, dass es ihm nicht leicht fällt, er aber flexibel bleibt: "Ich gewöhne mich langsam an die Technologie. Das ist alles sehr neu für mich". Wenn er beschreibt, wie er die Entstehung seiner nächsten Kollektion bewältigt, sieht er sich selbst als Dirigent, dessen Musiker auf der ganzen Welt zu Hause sind. "Mein Cellist ist auf der Terrasse", scherzt er, "mein Pianist ist in der Garage."
Die Idee, eine Modenschau zu veranstalten, verwarf er zugunsten eines Einblicks in den Entstehungsprozess einer Kollektion, die nicht nur eine Gelegenheit zum Geschichtenerzählen, sondern auch eine Möglichkeit zur Vermittlung der Werte von Maison Margiela bieten würde. Die Krise birgt Chancen für diejenigen, die bereit sind, sie zu ergreifen.
Näher dran als je zuvor teilen die globalen Glitterati der Mode die Geheimnisse ihrer Kreativität und die gefühlte Connection mit ihnen wird tiefer. Die mit dem LVMH-Award ausgezeichnete französische Designerin Marine Serre besprach während einer Podiumsdiskussion von Vogue Global Conversations, an der auch die britische Modedesignerin des Jahres, Simone Rocha, teilnahm, ihre Trauer über die Entfernung zwischen ihr und ihrem Team: "Man kann sich nicht berühren, also muss man sich sehr um die Worte kümmern, die man benutzt. Das ist etwas ganz Schönes. Wir können einander und uns selbst näher kommen."
Da wir alle mit dem arbeiten müssen, was wir haben - zuhause, echt, unordentlich - hat eine Athentizität und Transparent in die Mode Einzug gehalten, die durch die hochkarätigen, teuren Veranstaltungen, die superredigierten Pressemitteilungen und die Theatralik der Shows, die die letzten Jahre prägten, die erfreulich ist. Das ist ein gutes Zeichen für eine Zukunft, von der alle erkannt haben, dass es notwendig ist, authentische Erlebnisse zu bieten, für die aber noch niemand einen wirklichen Fahrplan entwickelt hatte. Lasst uns also in der Zwischenzeit einfach diese neue Intimität annehmen und sehen, wohin sie uns führt.
Dies ist eine Übersetzung eines englischen Beitrags von Jackie Mallon. Jackie Mallon lehrt Mode in New York und ist die Autorin des Buches ‚Silk for the Feed Dogs’, ein Roman, der in der internationalen Modeindustrie spielt. Übersetzung und Bearbeitung: Barbara Russ
Foto: Pexels