Iris van Herpen: „Ich bin völlig unabhängig und möchte es auch bleiben“
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FashionUnited traf Iris van Herpen anlässlich der Eröffnung ihrer Ausstellung „Scuplting the Senses“ im Musée des Arts Décoratifs in Paris. Wir wollten wissen, wie es ihr gelingt, ihre Kreativität zu bewahren, ihre Forschungen fortzusetzen und was Couture für sie bedeutet. Sie antwortete mit Präzision.
Wie bewahren Sie sich Ihre kreative Freiheit?
Iris van Herpen: Die Architektur gibt mir viel Freiheit, weil sie eine Kunstform ist, und ich sehe die Mode als eine Kunstform. Das Wichtigste war, meine eigene kreative DNA zu schaffen und mich daran zu halten. Nicht zu viele Menschen zu haben, die mich beeinflussen. Wir müssen die Mode weiterentwickeln, indem wir traditionelle Handwerkskunst mit innovativen Technologien mischen.
Wie gehen Sie an die Kreation neuer Materialien heran?
Ich arbeite mit Fachleuten in den Bereichen Biologie, Wissenschaft, Kunst und Architektur zusammen. Sie bringen neue Erkenntnisse in das Feld der Mode ein. Das ist für mich von entscheidender Bedeutung.
Wie beschaffen Sie die Mittel für diese Forschung?
Das Geld kommt von unserer Couture-Kundschaft, für die wir maßgeschneiderte Designs herstellen. Unsere Kund:innen kommen in unser Atelier in Amsterdam oder für die Modenschau nach Paris. Das ist ein schönes und klares Finanzierungssystem.
Wer kauft Ihre Kreationen?
Ich habe eine breit gefächerte Haute-Couture-Kundschaft, die aus Europa, den USA, Asien und Nahost kommt.
Wie lange dauert es, ein Iris van Herpen-Outfit zu entwerfen?
Das hängt von den Modellen ab. Manche Leute bestellen einfache Kleider, die ein oder zwei Monate Arbeit erfordern. Aber andere, aufwendigere benötigen vier oder fünf Monate für den Entwurf. Wir fertigen auch Hochzeitskleider an.
Was kostet ein Kleid von Iris van Herpen ?
Unsere Preise starten von 35.000 Euro aufwärts.
Welchen Status hat Ihr Unternehmen?
Ich bin völlig unabhängig.
Erhalten Sie staatliche oder andere Unterstützung, um Ihnen bei Ihrer Forschungsarbeit zu helfen?
Nein, überhaupt nicht.
Möchten Sie unabhängig bleiben?
Ja, auf jeden Fall.
Wie viele Menschen arbeiten für Sie?
Das Unternehmen beschäftigt etwa dreißig Personen. Für die Vorbereitung der Show erhöht sich diese Zahl. Auch durch meine externe Zusammenarbeit (außerhalb des Ateliers) erhöht sich diese Zahl.
Sie haben zuvor auch Prêt-à-porter gemacht. Warum haben Sie aufgehört?
Ich habe 2014 den Andam Fashion Award gewonnen, dank dessen ich von Kering Mentoring erhalten habe. Dadurch konnte ich drei Saisonen lang Prêt-à-porter-Kollektionen entwerfen. Aber eigentlich bin ich darauf fokussiert, meine eigenen Materialien und Techniken zu entwickeln. Das ist sehr zeitaufwendig und kann nicht in meinem eigenen Atelier als Teil der Konfektionskleidung stattfinden.
Außerdem ist mir Nachhaltigkeit wichtig, und das ist einer der Gründe, warum ich mich lieber auf Haute Couture konzentriert habe. Ich denke, dass sich die Mode in Zukunft zu einer bewussteren Arbeitsweise wandeln muss. Die Arbeit in der Couture ermöglicht es mir, mich auf neue Materialien zu konzentrieren.
Biomimetik, Kymatik, Morphogenese, 3D-Technologie — in welchen Gebieten finden Sie Ihre neuen Inspirationen?
Meine Einflüsse kommen von vielen Dingen: der Natur, Architektur, Kunst, Tanz oder auch der Musik wie die für meine Ausstellung („Sculplting The Senses“ im Musée des Arts Décoratifs, Anm. d. Red.) geschaffene Musik, die sich die Besucher:innen auf dem gesamten Rundgang anhören können. Musik ist ein wichtiger Teil meines kreativen Prozesses. Ich versuche, empfänglich und sensibel für alle Zeichen des Lebens um mich herum zu sein und Couture mit der Welt, in der wir leben, zu verbinden.
Was halten Sie von der Künstlichen Intelligenz?
Oh, das ist ein großes Thema, haben Sie mehrere Stunden Zeit? (lacht). Ich bin einfach nur neugierig. Ich experimentiere mit dieser Technologie, aber nicht von einem kreativen Standpunkt aus. Ich denke, dass Künstliche Intelligenz interessant sein kann, um Lösungen für aufkommende Fragen zu finden. Gleichzeitig habe ich aber auch Angst vor den Händen, in die sie geraten kann. Sie ist ein sehr mächtiges Werkzeug und kann für wichtige Aufgaben eingesetzt werden.
Glauben Sie wirklich, dass Couture, so wie Sie sie machen, unser Ökosystem verändern kann, das von Fast Fashion und ungleicher Kaufkraft geprägt ist?
Couture geht weit darüber hinaus und funktioniert ähnlich wie Gemälde, die in einem Museum ausgestellt werden. Kunstwerke haben einen Einfluss, der über die Käufer:innen hinausgeht. So können alle meine Werke in meiner Ausstellung sehen und meine Arbeit verstehen. Aber auch online oder durch Bücher kann man sie entdecken. Couture ist nicht nur ein Artikel, den man kauft. Couture zeigt, woher die Kunst kommt und wohin die Mode gehen kann, die Beziehung zwischen unserer Geschichte und unserer Zukunft.
In dieser Dimension ist das Handwerk ein sehr wichtiges Element, ebenso wie Innovationen. Die Kreation von Mode beginnt immer mit der Couture und setzt sich in der Prêt-à-porter-Mode mit größeren Marken fort, die sie individuell anpassen.
Dieser Artikel erschien ursprünglich auf FashionUnited.fr. Übersetzt und bearbeitet von Simone Preuss.