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Jean Paul Gaultier: „Freiheit ist die erste Lektion, die ich von der Mode gelernt habe“

Von Florence Julienne

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Personen |Interview

Jean Paul Gaultier bei der Ausstellungseröffnung „Cinémode“ SCAD Lacoste Bild: F. Julienne

An dem Tag, an dem die spanische Puig-Gruppe und Eigentümerin der Marke Jean Paul Gaultier an die Börse ging, sorgte der inzwischen pensionierte Designer weiterhin für Aufsehen. Er wurde eingeladen, seine Arbeit als Teil der Ausstellung „Cinémode“ auf dem US-amerikanischen SCAD Lacoste-Campus vorzustellen und erteilte FashionUnited und den anwesenden Studierenden eine Lektion in Sachen Freiheit. Hier einige Höhepunkte.

Sie haben Freiheit als Ihre erste Lektion in Sachen Mode bezeichnet, was bedeutet sie heute für Sie?

Ich habe die Anteile meiner Firma an die Puig-Gruppe verkauft. Heute bin ich im Ruhestand, bin unabhängig und entwickle andere Projekte. Das gilt für die Welttournee meiner „Fashion Freak Show“, einer Show, die ursprünglich in den Folies Bergères aufgeführt wurde, und für die Ausstellung „Cinémode“ in Zusammenarbeit mit La Cinémathèque Française, die bis zum 30. September 2024 in SCAD Lacoste zu sehen ist. Zurzeit arbeite ich für ein belgisches Unternehmen. Ich führe die künstlerische Leitung eines Animationsfilms durch. Ich investiere in Projekte, die mir Spaß machen, denn das war schon immer ein Spaß für mich. Auch wenn es echte Arbeit ist, war es mein Kindheitstraum, also mache ich auf kreative Weise weiter.

Wer hat Sie auf den Geschmack der Freiheit in der Mode gebracht?

Pierre Cardin, als ich meine erste Berufserfahrungen machte. Er hatte ein Gespür für theatralische Shows, auch wenn er dabei realistisch bleiben musste.

Was waren Ihre ersten Modeerlebnisse, bevor Sie Pierre Cardin trafen?

Mit dreizehn Jahren, als ich den Film „Falbalas“ sah, die Geschichte eines Modeschöpfers und die Vorbereitung einer Modenschau. Ich bin nicht zur Schule gegangen, meine Schule war dieser Film. Wenn es am Ende keine Modenschau gegeben hätte, wäre ich vielleicht nicht in diesem Beruf gelandet. Mein erstes Modell war mein Teddybär, dem ich einen Kegel-BH anlegte, denselben, den ich später für Madonna entwarf. Und nach dem Vorbild desjenigen, den ich für ihr kostenloses Mega-Konzert am Strand der Copacabana (Rio de Janeiro) zum Abschluss ihrer Welttournee (Samstag, 4. Mai 2024) anfertigte.

Glauben Sie, dass junge Designer:innen wie zu Ihrer Zeit, als die Mode noch nicht von Konzernen abhängig war, unternehmerische Freiheit genießen?

Man braucht Freiheit. Als ich angefangen habe, gab es noch keine Konzerne, aber man musste trotzdem Geld haben. Ich selbst habe es ohne Geld geschafft. Als ich jung war, wollte ich die Regeln brechen. Für mich war es normal, die Codes ändern zu wollen. In der Mode geht es genau darum, etwas zu verändern: eine neue Art zu gehen, zu posieren, zu präsentieren etc. Alle, die entschlossen sind, werden, wenn sie Talent haben, die Ressourcen finden, um zu existieren. Vielleicht in den sozialen Netzwerken, auch wenn es dort viel Konkurrenz gibt.

Wenn man kein Geld hat und zu keiner Gruppe gehört, muss man aus nichts etwas machen. Das ist hervorragend für die Kreativität. Und dann folgt vielleicht das Geld. Der beste Rat, den ich einem jungen Menschen geben kann, ist, sich selbst zu vertrauen und das zu erreichen, was er oder sie tun möchte. Das einzig Wichtige ist, leidenschaftlich und entschlossen zu sein. Wenn man nicht an sich selbst glaubt, kann es niemand für einen tun.

Wenn ich provokative Outfits gemacht habe, dann habe ich sie nicht gemacht, um zu schockieren. Es war nur eine persönliche Vision, die zum Beispiel einer avantgardistischen soziokulturellen Gruppe entsprach, die sich in eine andere Richtung als die Norm bewegte. Die Provokation muss einer Denkbewegung entsprechen.

Wie steht es um Ihr Verhältnis zur Weiblichkeit in Zeiten von MeToo?

Ich war schon immer schockiert über das Konzept der „Objektfrau“. Deshalb habe ich mich mit starken Frauen umgeben. Auch wenn sie es nicht offen zeigten, waren sie frei. Als ich die Männerkollektionen entwarf, wollte ich „Objektmänner“ zeigen, um einen fairen Ausgleich zu schaffen. Ich habe auch androgyne Personen ausgewählt, um alle Formen von Schönheit zu präsentieren.

Inwiefern werden neue Technologien, insbesondere die künstliche Intelligenz, die Mode verändern und vielleicht die menschliche Intelligenz einschränken?

Was soll ich sagen? Ich gehöre nicht mehr in diese Welt, seit ich mit der Mode aufgehört habe. Für mich war die Intelligenz vor allem meine eigene, die nicht künstlich ist (lacht). Die neuen Technologien gehen mit der Entwicklung der Welt einher. Wenn ich fünfzehn Jahre jünger wäre, würde ich die Dinge anders angehen. Aber ich bin gespannt, wie junge Designer:innen sie sich aneignen werden.

Wie halten Sie sich über alle neuen Entwicklungen auf dem Laufenden? Sind Sie Konsument von sozialen Netzwerken?

Ganz und gar nicht, ich weiß nicht einmal, wie man sie benutzt. Ich gehe nicht auf YouTube. Ich gehöre zur Generation der Fernsehkinder. Ich bin nur sehr gut informiert und man informiert mich, wenn man ein Thema für wichtig hält. Was mich betrifft, so möchte ich nicht in diesen Schwindel verfallen, den die Möglichkeit, viel zu sehen, bedeutet, weil man sich in ihn hineinstürzen kann. Ich halte lieber Abstand.

Was halten Sie vom Diktat der Modetrends?

Ich habe Trends nie gemocht. Anstatt ihnen zu folgen, ist es besser, sie zu machen, indem man ehrlich zu sich selbst ist. Wenn Sie sich an Trends orientieren, drücken Sie sich nicht aus und sind nicht frei.

Können Sie frei entscheiden, wer die Haute Couture-Kollektionen von Jean Paul Gaultier entwirft?

Ich wähle die Designer:innen aus, die die Haute Couture-Kollektionen von Jean Paul Gaultier herstellen. Als ich den Entschluss fasste, mit der Mode aufzuhören, fragte ich mich, was danach kommen könnte. Ich dachte, es wäre interessant zu sehen, wie die jüngere Generation mein Erbe übernehmen würde. Ich respektiere ihre Arbeit und mische mich nicht ein. Zum Beispiel hat Haider Ackermann (Haute Couture Frühjahr/Sommer 2023) keinen Gaultier gemacht, aber seine Interpretation war wunderbar. Ebenso brachte Simone Rochas Haute-Couture-Kollektion Frühjahr/Sommer 2025 eine Romantik mit sich, die in meiner Herangehensweise an die Mode nicht wirklich zu finden war. Ich war begeistert.

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf FashionUnited.fr. Übersetzt und bearbeitet von Simone Preuss.

Interview
Jean Paul Gaultier