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EU-Parlament sagt Fast Fashion den Kampf an, was sagen Unternehmen und Verbände?

Von Simone Preuss

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EU-Abgeordnete stimmen zu, hier am 27. April 2023. Bild: EP

Das Fast Fashion mit seinem „Wear and Throw”-Ansatz das umweltschädigendste Geschäftsmodell der Modebranche ist, ist angekommen. Aber wird wirklich etwas dagegen getan? Und was sagen Unternehmen und Verbände dazu?

Jüngst trafen sich die Bürgermeister:innen von mehr als 30 Städten weltweit bei ChangeNow, einer prominenten Veranstaltung, die sich auf Lösungen für den Planeten konzentriert. Ziel des Treffens war es auf die schädlichen Auswirkungen von Fast Fashion auf ihre Städte und die Umwelt aufmerksam zu machen.

Modeunternehmen reagieren, indem sie nicht bei ihrem Geschäftsmodell ansetzen, sondern sich bei gleicher oder höherer Produktion auf Bereiche konzentrieren, die ihnen oberflächlich betrachtet Nachhaltigkeitspunkte einbringen, oft unter Kollaboration mit Organisationen.

Jüngst haben sich etwa führende Bekleidungsunternehmen wie Adidas, Bestseller, C&A, H&M Group, Inditex und VF Corporation mit dem Policy Hub zusammengetan, einer Gemeinschaftsinitiative der Sustainable Apparel Coalition (SAC), des Verbands der europäischen Sportartikelindustrie (FESI) und der Global Fashion Agenda. Sie wollen gemeinsam eine Reihe von Grundsätzen für das effektivste Abfallmanagementsystem zusammenstellen und „einen reibungslosen Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft für Textilien in der EU ermöglichen”.

Europaparlament stimmt EU-Lieferkettengesetz zu

Am heutigen Donnerstag stimmte auch das Europäische Parlament einem Plenumsbeschluss zum EU-Lieferkettengesetz (EU Corporate Sustainability Due Diligence Directive - CSDDD) mit Mehrheit zu; jetzt müssen sich Parlament und Mitgliedstaaten noch auf einen gemeinsamen Kompromiss einigen.

„Mit der Zustimmung zu einem europäischen Lieferkettengesetz hat das Europäische Parlament heute einen wichtigen Schritt in Richtung gerechterer globaler Lieferketten getan. Die Abgeordneten sprachen sich mit einer stabilen Mehrheit für verbindliche Regeln für Unternehmen aus. Die Botschaft ist deutlich: Menschenrechte, Klima und Umwelt müssen zukünftig wirksam vor negativen Einflüssen durch globales Wirtschaften geschützt werden”, kommentiert Michelle Trimborn, Sprecherin der Initiative Lieferkettengesetz.

„Die neuen Vorschriften sehen vor, dass Unternehmen die negativen Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf die Menschenrechte und die Umwelt, wie Kinderarbeit, Sklaverei, Umweltverschmutzung oder Verlust der biologischen Vielfalt, verhindern, beenden oder abmildern müssen. Außerdem müssen sie die Auswirkungen ihrer Partner in der Wertschöpfungskette, einschließlich Lieferanten, Transport, Vertrieb und Verkauf, auf die Menschenrechte und die Umwelt bewerten”, so das neue EU-Gesetz.

Dieses würde damit über das deutsche Lieferkettengesetz hinausgehen, dass seit dem 1. Januar dieses Jahres zunächst große Unternehmen ab 3.000 Mitarbeiter:innen erfasst und ab 2024 dann auch Unternehmen ab 1.000 Mitarbeiter:innen. Das neue EU-Gesetz würde für in der EU ansässige Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten und einem Umsatz von über 40 Millionen Euro sowie für Muttergesellschaften mit mehr als 500 Beschäftigten und einem Umsatz von über 150 Millionen Euro gelten.

Mittelstand „komplett überfordert“

Dagegen wehrt sich der Mittelstand: „Die geplante Richtlinie ist für den Mittelstand schlichtweg nicht leistbar und stellt eine bürokratische Überforderung dar. Wir fordern daher die Bundesregierung auf, sich in den anstehenden Trilog-Verhandlungen für eine generelle Ausnahme von kleineren und mittleren Unternehmen (KMU), eine Maximalharmonisierung der nationalen Richtlinien und eine Beschränkung der zivilrechtlichen Haftung einzusetzen”, fordert Dirk Jandura, Präsident des Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) in einer Mitteilung.

Er kritisiert auch, dass das Europäische Parlament die Sorgfaltspflicht auf die gesamte Wertschöpfungskette der Unternehmen erstrecken will. Diese werden damit verpflichtet zu überprüfen, wie die verkauften Produkte eingesetzt und benutzt werden.

“Mittelständische Unternehmen sollen dann 23 Umwelt- und Menschenrechtsübereinkommen, 29 Menschenrechtskonventionen und -erklärungen, sowie 15 Umwelt- und Klimaschutzkonventionen einhalten und ihre sämtlichen Produkte überwachen. Wer soll das noch leisten? Am Ende droht bei Versäumnissen die zivilrechtliche Haftung. So regulieren wir uns selbst aus dem Wettbewerb. Diese Richtlinie ist ein echtes Konjunkturprogramm für alle außereuropäischen Konkurrenten”, kommentiert Jandura.

Auch die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) stimmt zu, dass KMU mit der geplanten Richtlinie „komplett überfordert“ seien. Sie kritisiert, dem Gesetzesentwurf fehle es an „Praxistauglichkeit, Verhältnismäßigkeit und Rechtssicherheit“. „Das Lieferkettengesetz bürdet den Unternehmen ein neues und unkalkulierbares Haftungsrisiko auf: Von ihnen wird eine Kontrolle erwartet, die außerhalb ihrer eigenen Einflussmöglichkeiten liegt“, so DIHK-Präsident Peter Adrian.

Euratex fehlt Differenzierung und Verbraucherfokus

Auch der europäische Branchenverband Euratex sieht eine große Belastung für Unternehmen voraus: “Der EP-Bericht hat es versäumt, dieses Gleichgewicht zwischen Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit zu wahren. Stattdessen schlägt er noch mehr Regeln und Beschränkungen vor und ignoriert dabei völlig die aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen, die durch hohe Energiepreise, den Verlust des Verbrauchervertrauens und durchsetzungsfähige Handelspartner verursacht werden. Wenn die Messlatte noch höher gelegt wird, bedeutet dies lediglich, dass die europäische Textilindustrie aus dem Markt gedrängt wird, was zu einem größeren ökologischen Fußabdruck und einer größeren Abhängigkeit von ausländischen Lieferungen führt. Das ist genau das Gegenteil von dem, was die EU mit ihren offenen strategischen Autonomieplänen erreichen will”, so Euratex in einer Erklärung vom Donnerstag.

Der Branchenverband moniert auch, das nicht zwischen den einzelnen Textilprodukten unterschieden wird, etwa modischen und technischen Textilien, in Europa und außerhalb hergestellten Produkten, hochwertigen und langlebigen Artikeln und minderwertigen: “Es ist bedauerlich, dass das Europäische Parlament diese Unterscheidung nicht getroffen hat und einfach auf ‘Textilien’ als allgemeinen Grund zur Besorgnis verweist, ohne zum Beispiel die hochwertigen Produkte, die von europäischen Textil- und Modeunternehmen hergestellt werden, anzuerkennen”, heißt es. Wobei natürlich beachtet werden sollte, dass auch außerhalb Europas hochwertige Textilien hergestellt werden beziehungsweise weniger hochwertige innerhalb Europas.

Schließlich merkt Euratex an, dass die Verantwortung stark auf der Branche und Marken liege und nicht ausreichend auf die Rolle der Verbraucher:innen eingegangen werde. “Wir brauchen daher Initiativen, um eine stärkere Nachfrage nach nachhaltigen Textilien zu schaffen. Dazu gehören eine bessere Kommunikation und Transparenz (Vermeidung von Greenwashing), steuerliche Maßnahmen, ein umweltfreundliches öffentliches Beschaffungswesen und eine bessere Kontrolle von Online-Marktplätzen”, so das Euratex-Fazit.

Großkonzerne machen mit

Der Modekonzern s.Oliver, der über 5.100 Mitarbeitende weltweit beschäftigt, unterstützt den regulatorischen Ansatz für die unternehmerische Sorgfaltspflicht auf EU-Ebene. “Ehrgeizige und verbindliche Nachhaltigkeitsstandards stärken verantwortungsbewusste Unternehmen und schaffen gleiche Wettbewerbsbedingungen für europäische Konzerne”, so das Unternehmen in einer Mitteilung.

Es sieht klar, dass freiwillige Maßnahmen von Betrieben nicht ausreichen: “Freiwillige Maßnahmen von Unternehmen und internationale Leitlinien für Sozial- und Umweltstandards haben dazu beigetragen, einen Rahmen zu schaffen und Prioritäten zu setzen. Sie reichen jedoch nicht aus, um notwendige Vorgaben zu erreichen, wie sie in den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen oder im Pariser Abkommen zum Klimawandel festgelegt sind.”

“Die s.Oliver Group ist davon überzeugt, dass Richtlinien wie die CSDDD ein wichtiger Treiber für positive Veränderungen sein können: Sie erzeugen einen Mehrwert für unsere Kund:innen, Mitarbeiter:innen und unseren Planeten und können die EU in den kommenden Jahrzehnten an der Spitze nachhaltiger Unternehmensinnovationen positionieren. Aus diesem Grund unterstützt die s.Oliver Group den Vorschlag der EU-Kommission für die Einführung einer europäischen Lieferkettenrichtlinie die darauf abzielt, Menschen- und Umweltrechte in den Geschäftsentscheidungen und Führungsstrukturen europäischer Unternehmen zu verankern”, heißt es bei s.Oliver.

Auf jeden Fall bleibt das neue EU-Lieferkettengesetz ein Kompromiss, denn während Handel und Unternehmen große Einschränkungen und unerfüllbare bürokratische Anforderungen befürchten, ist es für andere nicht schnell und verpflichtend genug: “Dennoch ist der heute beschlossene Kompromiss weit entfernt von unseren Forderungen als Zivilgesellschaft. Beim Zugang zu Recht begrüßen wir die grundsätzliche Regelung zum Thema Haftung, sehen aber auch massive Schwächen: Betroffene bleiben chancenlos, denn sie verfügen meist über geringe Mittel und haben keinen Zugang zu unternehmensinternen Informationen. So können sie vor Gericht kaum beweisen, dass Unternehmen ihre Sorgfaltspflichten nicht erfüllen. Darum fordern wir eine faire Verteilung der Beweislast. Natürlich müssen auch für den Finanzsektor vollumfängliche Sorgfaltspflichten gelten. Nur so können wir sicherstellen, dass europäische Banken und Investoren keine Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung finanzieren”, schließt Trimborn.

Und auch die Clean Clothes Campaign, die die EU-Richtlinie und deren Annahme begrüßt, vermisst darin die Behandlung von Beschwerden und eine größere Gewichtung der zivilrechtlichen Haftung: “Wir bedauern jedoch, dass das Parlament es versäumt hat, die Erfassung der Wertschöpfungskette und die Transparenz als Teil der Sorgfaltspflicht zu verankern. Ein umfassender Prozess zur Risikoidentifizierung sollte die Erfassung und Offenlegung der einzelnen Lieferbetriebe beinhalten.”

“Trotz zahlreicher Berichte über das Versagen von Sozialaudits und Überprüfungsinitiativen bei der Gewährleistung der Achtung der Menschenrechte misst der Bericht des Parlaments solchen Initiativen immer noch zu viel Bedeutung bei. Beschwerdemechanismen hätten zu einem festen Bestandteil der Abhilfemaßnahmen gemacht werden müssen. Wir sind auch besorgt über die verbleibenden Beschränkungen der zivilrechtlichen Haftung, einschließlich des Fehlens einer Umkehr der Beweislast zugunsten derjenigen, die unter unternehmensbedingten Verstößen leiden”, heißt es in einer Erklärung vom Donnerstag.

*Dieser Artikel wurde am 2. Juni aktualisiert.*

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