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5 Thesen, warum der deutsche Modemarkt so schwer zu knacken ist

Von Barbara Russ

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Einzelhandel |HINTERGRUND

Berliner Quartier 205 Luxuseinkaufszentrum in Berlin. Bild: Sandip Roy / Unsplash

Für die Modeindustrie ist Deutschland ein attraktiver Markt. Innerhalb Europas ist es der größte und einer der reichsten. Viele internationale Player haben in Deutschland einen verlässlichen Absatzmarkt gefunden. Doch andererseits haben Marken und Einzelhändler erfolglos versucht, den deutschen Markt zu erobern. Woran lag das?

Der deutsche Markt lockt

Deutschland ist der größte Markt in der Europäischen Union, mit einer Bevölkerung von fast 84 Millionen – zum Vergleich: Frankreich hat rund 65 Millionen Einwohner, Italien rund 60 Millionen. Deutschland ist auch Europas Spitzenreiter beim Bruttoinlandsprodukt, was bedeutet, dass die Bevölkerung insgesamt ein hohes Einkommensniveau und damit eine hohe Kaufkraft hat. Vor der Pandemie gaben die Menschen in Deutschland allein 2019 laut Statista 76 Milliarden Euro für Kleidung und Schuhe aus. Damit liegt Deutschland knapp hinter dem Vereinigten Königreich in Europa und weltweit auf Platz sechs hinter den USA, China, Indien und Japan. Diese Zahlen könnten den Eindruck erwecken, dass es einfach sei, Mode und Kleidung in Deutschland zu verkaufen. Leider ist es das nicht.

Die Kaufkraft im deutschsprachigen Raum. Grafik: GfK

Ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit ist die Die Hudson's Bay Company (HBC). Das traditionsreiche Modehandelsunternehmen aus Kanada trat 2015 mit großen Hoffnungen in den deutschen Markt ein. Es kaufte die Warenhauskette Kaufhof für 2,8 Milliarden US-Dollar, mit dem Plan, „sie in Macy's-Konzepte umzuwandeln“, wie Forbes 2016 schrieb. Zusätzlich eröffnete es Off-Price-Stores unter der Marke Saks Off Fifth. „Die Frage ist, ob die Off-Price-Stores bei den deutschen Kunden, die mit dem Saks 5th Avenue-Banner nicht vertraut sind, auf Resonanz stoßen werden“, fragte Forbes damals. Sie taten es nicht.

Obwohl andere Off-Price-Konzepte wie TK Maxx, die deutsche Version der amerikanischen Rabattwarenkette TJ Maxx, gut zu funktionieren scheinen, musste Saks Off 5th nur wenige Jahre später seine Läden schließen und HBC zog sich aus Europa zurück. Galeria Kaufhof wurde an Signa verkauft. Schuld daran dürfte eine Kombination aus zu wenig Verständnis und Feingefühl für den deutschen Markt sowie eine mangelnde E-Commerce-Ausrichtung gewesen sein.

Zuvor hatten auch andere US-amerikanische Einzelhändler versucht, in Deutschland Fuß zu fassen, allen voran Walmart. Der Mega-Store kaufte 1997 Wertkauf- und Interspar-Discounter auf, „nur um neun Jahre später die hart umkämpfte deutsche Einzelhandelslandschaft zu verlassen“, wie Forbes schrieb, und mit einem mutmaßlichen Verlust von einer Milliarde US-Dollar. Auch die Bekleidungskete Gap versuchte sich in Deutschland und scheiterte, ebenso wie Forever21, das selbst 2019 in die Insolvenz rutschte. Deutschland ist ein schwieriger Markt und die Strategie, die im Heimatmarkt funktioniert, geht bei den Deutschen oft nicht so auf, wie geplant. Was sind die Gründe dafür?

In diesen Regionen gönnen sich die Deutschen gerne etwas. Bild: GfK

1. Dezentralisierte Struktur

Dass Deutschland schwer zu erschließen ist, liegt an mehreren Faktoren, die Deutschland eigen sind. Im Gegensatz zu Frankreich, Großbritannien oder Italien ist Deutschland dezentraler strukturiert, was bedeutet, dass es viele urbane Zentren gibt und nicht, wie in Großbritannien oder Frankreich, den Großraum London oder die Pariser Île-de-France, wo sich der meiste Wohlstand und die Tastemaker konzentrieren. Stattdessen liegen die fünf größten Städte Deutschlands in verschiedenen Ecken des Landes und der jeweilige Lifestyle unterscheidet sich deutlich. Ein Blick auf das Pro-Kopf-Einkommen nach Städten in Deutschland birgt noch mehr Überraschungen. Wer hätte schon an Städte wie Wolfsburg, Ingolstadt oder Schweinfurt gedacht, um seine erste Modeboutique zu eröffnen? Und doch sind dies die Orte in Deutschland mit dem höchsten Einkommen pro Angestellten.

2. Hohe Ansprüche an Service und Preis

Deutsche Kunden sind gut informiert und sehr anspruchsvoll. Sie vergleichen und suchen nach dem besten Angebot – Preis-Leistungs-Verhältnis ist ein zentrales Wort des deutschen Weltbildes – bevor sie einen Kauf tätigen. Laut einer globalen Studie von Accenture aus dem Jahr 2015 haben die Deutschen die höchsten Ansprüche der Welt. „Im Vergleich zu Konsumenten in anderen reifen Märkten sind die Deutschen besonders anspruchsvoll”, sagte Accenture-Geschäftsführer Sven Drinkuth in einer Mitteilung zur Studie. „Der Preis allein steht nicht mehr im Vordergrund. Die Kunden erwarten grundsätzlich eine hohe Qualität und sind schnell zu enttäuschen."

3. Kulturell protestantisch

Obgleich in Sachen Konfession ziemlich gleichmäßig zwischen Protestanten und Katholiken aufgeteilt, ist Deutschland, kulturell gesehen, eine protestantische Gesellschaft. Immerhin ist es das Land, in dem die Reformation begann. Das unterscheidet sie von den Franzosen und Italienern: Die Deutschen sind in ihrer Ästhetik pragmatischer und achten weniger auf Statussymbole: Denken Sie an Jil Sander, Hugo Boss oder auch Adidas. Der deutsche Stil ähnelt eher einem protestantischen Kircheninterieur – clean, minimalistisch, funktional – als dem Prunk einer katholischen Kathedrale.

Ebenfalls einer protestantischen Tugend folgend, sparen die Deutschen gerne ihr Geld und legen es an. Laut ING Deutschland und Barkow Consulting hat der durchschnittliche Europäer im vergangenen Jahr 3.121 Euro in Sparanlagen wie Aktien investiert. In Deutschland waren es 4.671 Euro.

4. Deutsche geben weniger für Mode aus als andere Nationen

In Deutschland wird „[S]tatus durch smarte Investitionen in Autos, Uhren und technische Geräte gezeigt“, so eine Studie der Unternehmensberatung ‚Join The Dots‘. Dieser Umstand spiegelt sich auch in der Budgetverteilung der Deutschen wider. Laut Daten von Statista gaben deutsche Frauen 2019 geschätzte 719 Euro pro Person für Kleidung aus, deutlich weniger als Italien (834 Euro) und Großbritannien (1.133 Euro). Das könnte laut dem Luxury Spending Index daran liegen, dass teure Accessoires wie Handtaschen und Schmuck – Statussymbole eben – in anderen Ländern beliebter sind.

5. Preissensibel und praktisch

Sicher ist, dass Deutschland seit Jahrzehnten der umsatzstärkste Markt für den schwedischen Modekonzern H&M ist, und der zweitgrößte für Amazon. In der Coronakrise hat sich die Preissensibilität im unteren Preissegment im laufenden Jahr noch einmal verstärkt. Von Februar bis Ende Mai hat der C-Markt, der 50 Prozent der Deutschen umfasst, 19,7 Prozent an Wert verloren, und 13,6 Prozent in der Menge, erklärt Ulla Ertelt, Geschäftsführerin des Frankfurter Marktforschungsunternehmen HML Marketing im Interview mit FashionUnited. „Das heißt die Menschen haben noch preisgünstiger eingekauft.”

Auch was den Stil angeht, sollten Marken realistisch bleiben. Deutsche Konsumenten und Konsumentinnen sind eher zurückhaltend und pragmatisch, was Mode angeht. Sie bevorzugen Kleidungsstücke, die praktisch sind und sich zu vielen Anlässen tragen lassen. „Häufigster Modestil ist der bequeme beziehungsweise lässige, ebenfalls beliebt sind ein klassischer, praktischer und sportlicher Stil. Wichtig ist es, immer ordentlich gekleidet zu sein”, resümiert eine jüngst erschienene Studie des Marktforschungsinstituts IWD mit Sitz in Magdeburg.

Die typische deutsche Kundin, die am meisten für Mode ausgibt, ist älter als viele vielleicht erwarten. „Der Markt der über 50-Jährigen macht über 50 Prozent des deutschen Marktes aus“, so Ertelt. Aber der Modern Women Markt mache nur 25 Prozent aus. „Das ist ein grundsätzliches Dilemma in der Mode, dass alle jünger werden wollen. Wenn alle in den 25-Prozent-Markt wandern, von ihrem Angebot und von ihren Passformen her, dann entstehen natürlich Lücken in dem Markt, wo 50 Prozent der Umsätze getätigt werden können“, so die Expertin. Die ältere Generation, „die Geld hat, die schon ihr Lebenshöchsteinkommen erreicht hat“, werde im Modehandel vernachlässigt. „Im Bereich zwischen 25 und 49 Jahren wird noch viel mehr aufgebaut, eine neue Wohnung oder Haus gekauft, eine Familie gegründet, bei kleinen Kindern kann einer oft nur halbtags arbeiten. Das sind Märkte, die sehr viel volatiler sind und modisch überschätzt werden. Die modischste Kundin ist 50 plus, die ihr Leben lang gewohnt war, im Fachhandel Modetrends zu kaufen."

Fazit

Für Marken und Händler bedeutet das, dass es nicht nur nicht den einen deutschen Lifestyle gibt, sondern auch verschiedene Regionen und Bevölkerungsgruppen mit sehr unterschiedlichen Shopping-Präferenzen, die gezielt mit Produkten und Kampagnen angesprochen werden müssen.

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