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Schöne neue Retailwelt? Warum Karstadt und Zalando kooperieren

Von Weixin Zha

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Einzelhandel |ANALYSE

Spätestens im Juni werden die ersten Karstadt-Filialen ihre Produkte über den deutschen Onlinehändler Zalando verkaufen. Die Zusammenarbeit der beiden Wettbewerber, steht für den Umbruch und das Umdenken im Einzelhandel, wo die Grenzen zwischen online und offline fallen.

"Die klassische Rolle des Einzelhandels für alle, die nicht im Lebensmittelbereich tätig sind, gibt es im Grunde genommen nicht mehr", sagte Stephan Fanderl, Geschäftsführer von Galeria Karstadt Kaufhof vergangene Woche. Auf dem World Retail Congress in Amsterdam ergründete er in einer Gesprächsrunde mit jungen Zukunftsdenkern, wie das Leben, die Städte und der Einzelhandel der Zukunft aussehen könnten. Die auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinende Konstellation der Runde mag bewusst gewählt worden sein um Fanderls Vision für seine Filialen zu untermalen, in der die Rolle des Ladens – das Herz und Gesicht des herkömmlichen Einzelhandels – tiefgreifend neu gedacht wird.

Ganz am Anfang steht eine Rechnung: Wenn der Marktanteil des Onlinehandels gegen 30 Prozent steigt, bedeutet das, dass beinahe 30 Prozent der Ladenflächen redundant sind, weil diese Produkte nicht mehr über den Laden verkauft werden, sagt Fanderl. Der traditionelle Einzelhandel in den Innenstädten stehe damit vor seiner wohl größten Herausforderung, die aber auch eine Chance ist, erklärt er. Wie die Rolle des Einzelhandels sich weiterentwickelt, beobachtet er sorgfältig aus der Immobilienperspektive des Karstadt-Kaufhof-Eigentümers Signa. Und aus dessen Sicht sind die Lagen der Filialen wertvoll. Bereits 80 Prozent der städtischen Bevölkerung in Deutschland leben 15 Auto-Minuten entfernt von den Warenhäusern des Konzerns, und die Tendenz in Großstädten zu leben steigt.

Die Rolle der Läden in einer vernetzten Welt

”Wir sollten die Fläche überhaupt nicht außer Acht lassen. Die Frage ist, welchen Teil wir wirklich brauchen, um Waren zu verkaufen”, sagte Fanderl in Amsterdam. Karstadt habe bereits begonnen die ersten, weniger frequentierten Warenhäuser in den Innenstädten in sogenannte ‘City Logistic Hubs’ umzuwandeln, um ihre Lage als Logistikstandort besser zu nutzen. Im vergangenen Jahr gründete Karstadt ein gemeinsames Unternehmen mit dem Logistikkonzern Fiege, um seine Logistik wieder selbst in die Hand zu nehmen. Auch in der Kooperation mit Zalando könnten die Lagen von Karstadt perspektivisch noch eine sehr attraktive Rolle spielen.

Die ersten acht Warenhäuser Karstadt in Berlin werden bis Ende Juni an die Plattform von Zalando angeschlossen, sagte Carsten Keller,Vice President Direct to Consumer bei Zalando, in einem Interview beim World Retail Congress am vergangenen Mittwoch. Damit werden Artikel aus den Bereichen Bekleidung, Schuhe und Accessoires von Karstadt auf der Webseite von Zalando angeboten. Die Vorbehalte zwischen dem mehr als 100 Jahre alten Warenhausriesen und dem zehn Jahre alten Onlinehändler scheinen plötzlich verschwunden.

“Man sieht das in verschiedenen Dimensionen, dass der Handel deutlich offener geworden ist für Kooperationen“,sagte Keller am vergangenen Mittwoch. “Das spricht sehr stark dafür, dass sich die Handelslandschaft mehr und mehr in Richtung von größeren Plattformen dreht. Also eine Plattform-Ökonomie, wo ehemalige Wettbewerber jetzt zusammenarbeiten.“

Obwohl um die 400.000 Artikel auf Zalando angeboten werden, schätzt das Unternehmen, dass bis zu 20 Millionen von seinen Kunden nachgefragte Artikel pro Jahr nicht geliefert werden können, weil diese auf der Webseite nicht mehr verfügbar waren. Die Online-Plattform versucht das nun zu ändern, indem sie mit Bekleidungsherstellern und Einzelhändlern zusammenarbeitet, die Artikel direkt aus ihren Warenhäusern und Läden an Zalando-Kunden versenden. Von dieser engeren Zusammenarbeit mit derzeit 250 Brands und 1000 Geschäften profitiert Zalando, weil der Konzern mehr Waren anbieten kann ohne weiteres Risiko mit eigenen Beständen einzugehen, die er bei fehlender Nachfrage reduzieren müsste.

Bild: Stephan Fanderl, Geschäftsführer von Karstadt Kaufhof in einer Gesprächsrunde beim World Retail Congress | FashionUnited

Angesichts der steigenden Onlinekäufe und abnehmenden Kundenfrequenzen kann es sich auch für Läden lohnen, Onlinebestellungen zu bearbeiten. "Stationäre Händler schauen grundsätzlich auf ihre Flächenproduktivität. Durch die Verbindung der Bestände des Händlers mit der Zalando-Plattform sehen wir signifikante Verbesserungen der Produktivität für den Händler”, sagte Keller.

Mit seiner Idee als Onlinehändler weniger auf den eigenen Warenbestand zu setzten, sondern als Plattform zu agieren, ist Zalando keineswegs allein. Im Luxussegment hat die mittlerweile börsennotierte US-Plattform Farfetch weltweilt die Nase vorn; in Europa werben Unternehmen wie Trouva aus Großbritannien oder das von dem dänischen Bekleidungskonzern Bestseller gestützte Start-up Miinto um Kooperationen mit Händlern und Modemarken.

Händler helfen bei der letzten Meile

Umso bedeutender ist damit das Abkommen mit Karstadt – über die Häuser von Kaufhof wurde bisher nicht gesprochen – für Zalando; mit ihren Flächen und Sortimentsgrößen können die achtzig Warenhäuser von Karstadt das Angebot von Zalando erheblich steigern. Die zuletzt in den Berliner Gropius-Passagen eröffnete Karstadt-Filiale umfasst etwa 7.900 Quadratmeter Verkaufsfläche, die durchschnittliche Größe der Läden mit denen die Online-Plattform zusammenarbeitet beträgt 200 Quadratmeter. Auch der Verkauf von Kosmetikprodukten aus dem Sortiment von Karstadt auf Zalando könnte interessant sein; hinzu kommt die Lage der Filialen. Während ein Vorteil von Online-Händlern darin besteht, ein großes Sortiment mit hoher Verfügbarkeit anzubieten, bleibt weiter der Nachteil nicht so schnell aus Warenzentren liefern zu können. Aber der Anspruch der Kunden, alles sofort kaufen zu können steigt, auch weil sich Anbieter gegenseitig mit immer schnelleren Lieferzeiten überbieten. Bei der Überbrückung der letzten Meilen könnte mehr Kooperation mit den Läden helfen.

Mehr Partnerhändler würden es Zalando erleichtern seine Lieferungen am gleichen oder nächsten Tag auszubauen, die derzeit in 21 deutschen Städten nur für Premiumkunden möglich sind, sagte Keller. Schnellere Lieferungen in allen seinen Märkten könnte Zalando auch mit mehr Einzelhandelspartnern in anderen europäischen Ländern erreichen. Der erste Store außerhalb Deutschlands im niederländischen Den Haag wurde im Mai an die Plattform des Online-Händlers angeschlossen.

Auch der Warenhausriese Karstadt hat die Potentiale erkannt, die in einer geschickten Zusammenführung von offline und online liegen - und verfolgt selbst ehrgeizige Ziele. Verkaufskanalübergreifende Dienstleistungen wachsen um mindestens 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr und mehr als die Hälfte der Onlinebestellungen werden über die Filialen geregelt, erzählte Fanderl in Amsterdam. Karstadt-Kunden können beispielsweise auf der Webseite bestellte Artikel in den Filialen abholen oder in den Warenhäusern verfügbare Artikel im Internet reservieren. Aber der Gedanke der Vernetzung beschränkt sich nicht nur auf die eigenen Filialen — im Zuge der Digitalisierung spielt die schiere Größe des Angebots und die Reichweite eine immer stärkere Rolle.

"Natürlich wird es auch eine Verdrängung von Einzelhändlern geben”, sagte Fanderl. Einige der kleineren Unternehmen, die ihre Geschäftsmodelle nicht in die Online-Welt integrieren können, hätten bereits bei ihm angefragt, ob sie ihre Waren auf seinen Marktplätzen verkaufen könnten, weil das E-Commerce-Geschäft des Warenhauskonzerns immer größer werde.

Selbst mit sieben Millionen Artikeln gebe es immer noch Produkte, die sein Konzern nicht führe, sagte Fanderl. Es gebe noch Platz für Lebensmittel, Drogerien und ein ausgewähltes Baumarktsortiment in den Innenstädten, wo seine Filialen stehen. Mit der wachsenden Urbanisierung sollten Einzelhändler in den Vorstädten darüber nachdenken ihr Sortiment in die Stadtzentren zu bringen, wo die Menschen auch zunehmend leben, argumentiert er. “Daher müssen wir wahrscheinlich immer mehr in Plattformen denken, wie das die Online-Händler bereits über einen längeren Zeitraum machen, aber auch in Plattformen, die die physischen Fähigkeiten eines Händlers einbeziehen."

Foto: Erwin Lorenzen / pixelio.de

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