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Jil Sander entspricht nicht der heutigen Modeindustrie 'oder aber ist wegweisend'

Von Weixin Zha

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Kultur|INTERVIEW

Zur ersten Einzel-Ausstellung der deutschen Modemacherin Jil Sander im Museum Angewandte Kunst sprach FashionUnited mit Direktor und Kurator Matthias Wagner K. Er erzählt davon, wie es war mit der Designerin zusammenzuarbeiten und erklärt, warum ihre Kleidung gar nicht mehr der heutigen Modeindustrie entspricht, oder aber gerade deswegen wegweisend ist.

Können Sie uns verraten, warum Sie die Ausstellung gerade jetzt kuratiert haben?

Ach, ich hätte sie schon gerne vorher kuratiert. Ich bin jetzt fünf Jahre Direktor dieses Museums. Ganz am Anfang schon stand sie für mich ganz oben auf der Liste. Es brauchte aber Zeit, um mit ihr in Kontakt zu kommen. Wobei ich nicht ganz verstehe, warum eigentlich es grundsätzlich noch nicht vorher eine Ausstellung zum Werk und Schaffen von Jil Sander gegeben hat. Ich halte sie wirklich für eine der wichtigsten Modedesignerinnen und -designer ihrer Generation, weil sie in Bezug auf Formgebung ...

In der Modegeschichte gab es viele bekannte männliche Designer, wenige Frauen. Als eine der bedeutendsten, die die Frauen vom Korsett befreit hat, gilt Coco Chanel. Wie würden Sie Jil Sander hier sehen?

Wenn Sie mich auf Coco Chanel ansprechen, dann ist diese Mode doch schon sehr klassisch, wohingegen Jil Sander immer modern war und für die moderne Frau gearbeitet hat, mit ihrer Kleidung Schutz geben wollte - auch gerade im Berufsleben. Es gibt nur wenige große Modedesignerinnen. Kawakubo würde ich dazu zählen mit Comme des Garcons und Barbara I Gongini von den Faroer Inseln, die in Kopenhagen ihr Label hat. Und dann wird die Luft schon ganz schön dünn.

Was war Ihnen hier bei der Ausstellung ganz besonders wichtig?

Mir war wichtig – und deswegen lautet ja auch der Titel der Ausstellung "Jil Sander. Präsens" –, dass es nicht eine Retrospektive im Sinne einer Chronologie wird, sondern dass mit einem heutigen Blick auf ihr Werk ihre Zeitlosigkeit zum Tragen kommt. Dass etwas völlig Neues entsteht aus dem Material, was sie aus ihrem Archiv zur Verfügung gestellt hat. Wir beleuchten eben nicht nur Mode,...

Warum ist es wichtig für die moderne Frau, dass Jil Sander das Dekor weglässt?

Weil ich denke, dass es die natürliche Person, das Individuum eigentlich eher verstellt. Es schafft sehr schnell eine Maskerade. Bei ihr spielen die Geschlechter keine Rolle, ganz im Gegenteil, sie wendet sich ja gegen eine ganz festgefahrene Geschlechterrolle. Damit hat sie Frauen so etwas wie Schutz gegeben, um auf Augenhöhe mit dem männlichen Gegenüber in einer Arbeitswelt bestehen zu können.

Das Thema Gender ist heute immer noch sehr aktuell, aber die Schlichtheit für die Jil Sander so bekannt ist, bewirkt noch weit mehr, oder?

Auch wenn das Äußere so puristisch ist, findet sich ja trotzdem eine große Opulenz bei ihr, die sich in den Schnitten und im exzellenten Material festmacht. Das ist eben an dieser Stelle nie Fast-Fashion, es ist immer hochwertigst produziert, in vielen unterschiedlichen Manufakturen. Sie war auf der ganzen Welt unterwegs um entsprechende Materialien zu finden, hat sehr vieles mit ihrer erfinderischen Begabung neu entwickelt. Ich selbst trage gerade einen Jil-Sander-Anzug vom Ende der neunziger Jahre. Er sitzt immer noch perfekt, er hat immer noch seine Form und das hat etwas mit Langlebigkeit zu tun, ist im Grunde etwas das der heutigen Modeindustrie gar nicht mehr entspricht. Oder aber wegweisend ist.

Und deshalb auch Präsens?

Und deshalb auch Präsens, ja.

Was war das Besondere daran mit ihr zusammenzuarbeiten?

Es gibt eine Messlatte beim Arbeiten: Bei 95 Prozent ist man schon sehr weit, aber diese letzten fünf Prozent, die es auf den Punkt bringen, dieses Überhaupt-nicht-Aufhören, bevor nicht alles sitzt, das macht Jil Sander aus. Und das betrifft dann nicht nur das einzelne Kleidungsstück. Das betrifft in so einer Ausstellung die Architektur, den Text, die Beleuchtung. Im Grunde genommen das, was dann ein Gesamtwerk ausmacht. Sie hat es immer geschafft, dass sich andere dann genauso einsetzen. Sie hat anderthalb Jahre überhaupt keine Zeit mehr für etwas anderes gehabt... Und durch ihre Präsenz im Präsens ist ein ästhetisches Werk entstanden.

Wie haben Sie Frau Sander dazu bekommen gerade hier mit Ihnen in Frankfurt im Museum Angewandte Kunst zusammenzuarbeiten? Es war ja nicht so, dass sie nie Angebote dieser Art hatte.

Es gab viele Angebote, vom Victoria and Albert Museum und natürlich aus Hamburg. Ich glaube, hier sprach einerseits unsere Konzeption dafür, immer thematisch im Kontext, mit sehr zeitgenössischen Fragestellungen. Und das andere war natürlich, dass diese Architektur von Richard Meier in seiner Modernität hervorragend zu Jil Sander passt.

Eine Frage für das Museum zum Schluss. Was schwebt Ihnen in der Zukunft noch an Ausstellungen rund um Mode vor?

Wir bereiten in Zusammenarbeit mit den Fine Arts Museums in San Francisco eine sehr, sehr große Ausstellung zur Mode im Islam vor. Wir bereiten eine Ausstellung über Norwegen vor, Ehrengast der Frankfurter Buchmesse und ein spannendes Land, auch was Modedesign anbelangt. Wir haben große Pläne und Mode wird immer dabei sein. Ich bereite eine Ausstellung über Barbara I Gongini für 2020 vor. Die Ideenbücher sind gefüllt.

FashionUnited hat die Jil Sander Ausstellung besucht und Eindrücke in Bild und Ton hier festgehalten.

Foto 1: Matthias Wagner K steht in seinem Anzug von Jil Sander im Frankfurter Büro/FashionUnited
Foto 2: Jil Sander Flagship Store London, 2002 © Paul Warchol
Foto 3: Jil Sander Ausstellung/ FashionUnited

Jil Sander
Museum Angewandte Kunst