Berlin Fashion Summit: Stichwort Innovation
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Kristine Harper, Autorin und Initiatorin des Podcasts „The Immaterialist“ startete den zweiten Tag des Berlin Fashion Summit am 16. März 2022. Als eine der Hauptredner:innen sprach sie über das Konzept ihres Buchs „Anti-trend“ und die Ästhetik und Kraft regenerativer kultureller Systeme. Auch wenn der Begriff „Anti-trend“ vielleicht negativ klingt, verspürt Harper den Drang, gegen etwas anzugehen. Sie nannte Trends im Besonderen, die erst durch Konsum, Überkonsum und wie sie es nannte, eine generelle „kulturelle Langeweile“ entstehen. „Manchmal braucht man einen entgegengesetzen Weg für nachhaltige Entwicklung und um etwas entstehen zu lassen“, sagte sie. Sie nannte aber auch Vorteile, wie etwa den Langzeitgebrauch von Dingen, den nachhaltigen kurzfristigen Gebrauch, „Rawness“, Handwerkskunst, Vielfalt und Flexibilität, die alle Offenheit als gemeinsamen Nenner haben.
Im Anschluss ging Harper auf jeden Vorteil weiter ein. „Die Langzeitnutzung unterstützt sich verändernde Lebenssituationen“, sagte sie und verwies auf die Tatsache, dass viele Produkt, die für eine kurzfristige Nutzung gedacht sind, viel länger halten (Flipflops zum Beispiel). Die Lösung liegt für sie deshalb darin, kurzlebige Dinge aus kurzlebigen Materialien zu machen. „Jedes Mal, wenn man sie trägt oder benutzt, nutzen sie sich ein bisschen ab, oder sie könnten kompostiert werden“, erklärt Harper. Dies würde zum bestmöglichen Fall führen, dass wir neue Kleidungsstücke erst kaufen, wenn die alten wirklich auseinanderfallen. Sie räumte aber auch ein, dass Design und der Sinn für neue Dinge ein wichtiger Bestandteil des menschlichen Geltungsbedürfnisses seien.
Flexibles Design ist dem Leben gegenüber offen
Unter „Rawness“ versteht Harper, dass Designer:innen ein bisschen an Kontrolle abgeben, die Saat des persönlichen Ausdrucks aber gesät werden muss. Zur Flexibilität gehören für sie Objekte, die sich auf Langlebigkeit konzentrieren, aber auch taktil und stimulierend sind und Anzeichen des Herstellungsprozesses zeigen beziehungsweise ihre Abnutzung begrüßen. Für Harper sind stagnierende, geschlossene Objekte nicht der Weg nach vorn, da nur „flexibles Design dem Leben gegenüber offen ist“.
In Bezug auf Handwerkskunst und Vielfalt sollte ein Objekt die kulturelle Nachhaltigkeit miteinbeziehen und im Einklang mit lokalen Traditionen existieren. Sie nannte Erfahrungen mit Weber:innen in ihrer Wahlheimat Bali als Beispiel. „Es dauert einen Monat, um nur einen Schal herzustellen, der mit Indigo, Rotholz und Kokosnuss aus der natürlichen Umgebung gemacht ist“, berichtet sie. Die Produkte haben einen sehr geringen Einfluss auf das Ökosystem und sollten gefragt sein, aber das Problem ist, dass es ähnliche Produkte aus synthetischen Materialien gibt, die billiger sind und in direkter Konkurrenz stehen, auch wenn diese vielleicht schlecht verarbeitet sind. Zusammenfassend rief Harper nach globaler Offenheit in Bezug auf Veränderungen auf und wünscht sich herstellende Betriebe, die auf die landwirtschaftlichen Bedingungen einer Region eingehen.
Printing On-Demand statt Überproduktion
Als nächstes sprach Daniel Rüben von Kornit Digital, einem israelisch-amerikanischen Herstellungsbetrieb, darüber wie Technologie die lokale On-Demand-Produktion antreiben kann. Das international agierende Unternehmen stellt Hochgeschwindigkeits-Inkjet-Drucker, pigmentierte Tinte und chemische Produkte für Bekleidung, Heimtextilien und textile Accessoires her. Als Pionier für den On-Demand-Druck für Bekleidung geht es den Überkonsum der Branche an.
Konkret bietet Kornit eine Software zur Erzielung neuer Einnahmen an, die ein hohes Maß an Produktgestaltung ermöglicht. Darüber hinaus stellt das Unternehmen eine Verbindung zum Webshop seiner Kund:innen her und bindet ihn in ein Netzwerk von Druckern ein, wodurch man sehr reaktiv auf neue Trends reagieren kann und Flexibilität in Bezug auf die Bestandsverwaltung schafft. „Das ist nachhaltig“, sagt Rüben, „weil man nur das druckt, was die Kundschaft bestellt hat.“ Außerdem verbraucht das Gerät kein Wasser.
Ein weiterer Vorteil der Kornit-Software ist, dass sie Unternehmen dabei helfen kann zu messen, wie eine Kampagne funktioniert und wie erfolgreich sie ist; etwas, das schwer vorherzusagen ist, wenn man zum Beispiel mit Influencer:innen arbeitet, da es keine harten Fakten gibt. Amazon, Adidas, Asos und verschiedene kleine und mittelgroße Marken und Einzelhandelsunternehmen nutzen bereits die Dienste von Kornit, die auch die Möglichkeit bieten, in verschiedenen Schichten auf Textilien zu drucken.
Nachhaltige Textilinnovationen in Deutschland
Eine Präsentation der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) und ihres Referatsleiters Ressourcenmanagement Volker Berding, Ina Budde von Circular.fashion, Marte Hentschel von Sqetch und Martin Lades von Assyst stellten deutsche Innovationen im Bereich nachhaltige Textilien vor. Alle boten Strategien und Werkzeuge für die Harmonisierung und Rationalisierung von Standards, den Aufbau zirkulärer Lieferketten und die verstärkte Nutzung digitaler Anpassungssysteme an.
Für Ina Budde, der Gründerin von Circular.fashion, geht es vor allem darum, fehlende Glieder und Verbindungen zu schaffen, um Kreislaufsysteme zu betreiben. „Wir müssen Nutzer:innen befähigen, Produkte länger zu nutzen und Transparenz zu entdecken“, sagte sie. Das Unternehmen, das beispielsweise von der Otto Group und Armedangels genutzt wird, stellt Transparenzetiketten zur Verfügung, die auf Kleidungsstücken angebracht und von Sortierbetrieben gelesen werden können. Circular.fashion hat auch eine Bibliothek mit Kreislaufmaterialien zusammengestellt, die alle auf ihre Wiederverwertbarkeit getestet wurden. „Wir müssen uns mit der größeren Wertschöpfungskette und der Wiederverwertungskette verbinden“, sagte Budde und wies darauf hin, dass eine Standardisierung in Form eines digitalen Produktpasses erforderlich sei.
Marte Hentschel von Sqetch, einer B2B-Verwaltungs- und Vernetzungsplattform, sprach über die Qualifizierung von Textil- und Bekleidungsunternehmen mit geschlossenen Kreisläufen und schlug vor, die Überproduktion auf Seiten der Hersteller selbst zu bekämpfen. „Sie müssen in der Lage sein, die Bestellmenge auf ihrer Seite zu reduzieren“, sagte sie. Um dies zu erreichen, hob sie drei Elemente hervor: den Aufbau eines Repository-Pools und verfügbarer Ressourcen zur Unterstützung von Herstellern und Zulieferern sowie das Angebot eines Selbstbewertungsinstruments, mit dem sie erkennen können, wo sie in Bezug auf Kreislaufwirtschaft stehen. Zweitens müssen sie sich mit der Konkurrenz vergleichen können und drittens ihre Bemühungen mit gut kuratierten Schulungsmodulen verbinden.
Mehr digitale statt physische Produkte
Martin Lades von Assyst erläuterte, wie der Onlinehändler mit einigen Schlüsselfragen begann: Wie man digitale Technologien nutzen kann, zum Beispiel, um Nachhaltigkeit in der Modebranche zu erhöhen, aber auch, wie man ein Modeprodukt analysieren und in Zahlen abbilden kann. Wichtig war auch aufzuzeigen, wie man digitale Modeprodukte anstelle von physischen produzieren kann. Dazu sind laut Lades drei Voraussetzungen erforderlich: die Simulation des Verhaltens eines realen Modeprodukts, ein digitales Muster und ein digitaler Körper. Assyst unterstützt seine Kundschaft von der Entwurfsphase bis hin zu den Verkaufsprototypen.
In einem anschließenden Gespräch zwischen Aras Baskauskas von Christy Dawn und Nishanth Chopra von der Oshadi Collective wurde erörtert, wie regenerative Landwirtschaft einen positiven Einfluss auf die Mode haben kann. Sie untersuchten die Art und Weise, wie regenerative Mode über die reine Landwirtschaft hinausgeht und Gegenseitigkeit in der gesamten Lieferkette schaffen muss. Mit anderen Worten: „Bei regenerativen Praktiken dreht sich alles um Beziehungen"“, lautete die Schlussfolgerung, die auch am Vortag erreicht wurde.