Brachmann: „Aktuell kann man nur, wie im Nebel, auf Sicht fahren und sich auf die eigenen Stärken besinnen.“
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Das Berliner Modelabel Brachmann wird von der Architektin und Modedesignerin Jennifer Brachmann designt, das sie zusammen mit Ehemann und Geschäftspartner Olaf Kranz führt. 2016 war das Label für den International Woolmark Prize nominiert, seine Kollektionen zeigt es sowohl auf der Berliner als auch auf der Pariser Fashion Week. FashionUnited sprach mit Olaf Kranz über die Auswirkungen der Coronakrise auf das Label, neue Wege, die es in Form von Capsule Kollektionen beschreitet, und seine Hoffnungen für die Zukunft.
Herr Kranz, wie stark hat die Coronakrise Ihr Label getroffen?
Die Krise hat uns vor einem Jahr in einem Moment erwischt, wo es sehr gut aussah für uns als Label. Wir hatten einen guten Saisonstart und volle Bücher, neue Projekte und Kooperationen, sodass wir geplant hatten, unser Unternehmen zu vergrößern und neue Mitarbeiter einzustellen. Geplant war eine Capsule-Collection für ein anderes Label, außerdem waren wir in Gesprächen für einen Großauftrag über die Ausstattung eines Bundesliga-Fußballvereins und planten eine Kooperation mit einem Label aus dem Lifestylebereich, die unsere Auftragsfrequenz erhöht hätte. Das ist dann aufgrund der Coronakrise alles nicht eingetroffen. Rückblickend würde ich sagen, die Pandemie hat uns vor allem Wachstumschancen geraubt. Wir hatten zum Glück keine Stornierungen unserer Ordern, aber auch kaum Neukundengeschäft. Ich finde, man hat auch gemerkt, wie sehr der Austausch mit anderen Kreativen fehlt. Das merken wir als kleine Marke, aber auch im Großen macht es sich bemerkbar, dass die Events fehlen, bei denen sich die Branche trifft und austauscht. Ich stelle einen daraus resultierenden Verlust an Kreativität, zum Beispiel in der Trendentwicklung, fest.
Haben Sie staatliche Hilfen erhalten oder beantragt?
Die Berliner Soforthilfe haben wir beantragt, um die Liquidität zu sichern. Die ist meines Erachtens schnell und unbürokratisch gemanagt worden und hat den Unternehmen Zuversicht gegeben.
Wurde die Krise von staatlicher Seite für Unternehmen gut gemanagt? Was hätte man besser machen können?
Was ich so lese und aus dem Handel höre, ist die Hilfe von staatlicher Seite im zweiten Lockdown deutlich schlechter gelaufen. Aber das ist aus zweiter Hand, wir hatten sie nicht beantragt.
Wie haben Sie in den letzten Monaten ihre Einkäufer oder Konsumenten getroffen?
Wir hatten schon vor der Pandemie zunehmend auf Direktkundengeschäft umgestellt. Also ging es uns in erster Linie darum, den Kundenkontakt direkt aufrecht zu erhalten. Normalerweise haben wir einen gewissen Anteil an Maßanfertigungen, wofür die Kunden zu uns ins Atelier kommen. Das ging während der Lockdowns nicht, aber zum Glück haben wir eine gut geführte Kundenkartei, sodass wir viele Aufträge abarbeiten können, ohne noch einmal Maß zu nehmen. Das Neukundengeschäft in dem Bereich ist stark eingebrochen, vor allem, weil die Anlässe, wie Hochzeiten, abgesagt wurden.
Wie haben Sie Ihre Kollektionen präsentiert?
Wir haben auf der Fashion Positions unsere neue Winterkollektion und ein paar Kunstobjekte gezeigt, einem Format, das im September in Zusammenarbeit mit der Positions Art Fair und der Berlin Art Week am Flughafen Tempelhof stattfand. Dabei hat sich die unbändige Lebenslust der Menschen gezeigt, sich schöne Dinge anzusehen. Leider kam kurz danach der zweite Lockdown, gerade als die Menschen wieder Mut gefasst hatten.
Haben die Konsumenten anders eingekauft als sonst?
Unsere Kollektion beinhaltet viele klassische Kleidungsstücke wie Hemden und Anzüge, die sich die Kunden für besondere Anlässe kaufen. Spätestens mit dem zweiten Lockdown haben die Kunden die Trageanlässe und die Perspektive verloren. Also wir und die Kunden wissen nicht, ob Hochzeiten und andere Events 2021 stattfinden können. Das schafft viel Unsicherheit. Wir haben deshalb betont den Fokus darauf gesetzt, dass unsere Hemden und Blusen beispielsweise auf Zoom besonders gut rüber kommen, weil sie unkonventionelle Kragenformen und Materialien haben und gut zu erkennen sind.
Sie haben außerdem eine Cosywear Capsule-Collection herausgebracht, warum?
Als sich der zweite Lockdown angekündigt hat, haben wir uns wieder auf uns und unsere Stärken konzentriert, also vor allem darauf, flexibel zu bleiben. Aktuell kann man nur, wie im Nebel, auf Sicht fahren. Wir haben uns also gefragt, wie können wir unser Angebot so gestalten, dass die Kunden etwas für sich finden, das sie noch nicht haben und zuhause anziehen können? Natürlich hat mit dem Homeoffice eine Casualisierung stattgefunden, die nicht unbedingt nahe liegt bei unserem Label. Also haben wir uns auf unsere Design-DNA fokussiert und überlegt, wie wir diese in eine Cosywear Capsule Collection im Brachmann-Stil übersetzen können. So ist eine kleine Cosywear Capsule-Collection für zuhause entstanden, die den Komfort, den anderswo eine Jogginghose verspricht, mit dem Style unseres post-klassischen Designansatzes verbindet. Eine weitere Capsule Collection erweitert unser Angebot auf Mode-Kunstobjekte. Wir hatten während der Fashion Positions im September eine große Resonanz auf unsere Modekollagen festgestellt, die wir erstellen. Die Kunden sind zuhause und wollen sich in ihrem Kokon schön einrichten, also dachten wir uns, warum nicht das als ein Produkt anbieten? So sind unsere Kollagen in limitierten Editionen als hochwertige Kunstdrucke auf Alu-Dibond-Platten in den Formaten A1 bis A3 entstanden.
Welches Fazit ziehen Sie aus der Coronazeit für Ihr Label und Ihre Art, Business zu machen?
Ein Fazit würde ich noch nicht ziehen wollen, weil wir noch mitten in der Krise stecken und auch noch keine wirkliche Perspektive zu sehen ist. Als Zwischenfazit sehe ich aber, dass es uns geholfen hat, uns auf unsere Stärken zu besinnen. Für uns sind das: Flexibilität, Agilität und das Pflegen unserer Kundenbeziehungen. Man kann nur schwer etwas zum Geschäftsmodell sagen, weil das ja ok war, bevor die Krise kam, und weil die Zeichen auf Wachstum standen. Gleichzeitig weiß heute niemand so genau, wie es postpandemisch aussehen wird, also welches Geschäftsmodell dann funktionieren kann. Vermutlich beschleunigt die Krise auch in diesem Bereich Strukturänderungen, so dass sich am Ende Balancen aus B-to-B und B-to-C einerseits und aus stationärem und Online-Handel andererseits herstellen werden, die deutlich in Richtung B-to-C und Online verschoben sind.
Können Sie der Krise etwas Positives abgewinnen? Wenn ja, was?
Ich glaube, wir haben es gut geschafft, uns auf unsere Stärken zu besinnen. Unsere Design-Philosophie macht uns unabhängig von Trends, die ja gerade blurry werden, das sehe ich auch als Stärke, die uns und unsere Kollektionsentwicklung krisensicherer macht. Die Krise hat uns aber auch dazu gebracht, unseren Weg zu überdenken. So haben wir uns für den Gedanken der Casualisierung ebenso geöffnet wie für neue Produktkategorien.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Wenn wir post-pandemisch bei einer neuen Normalität landen, denke ich, dass wir eine neue Lebensfreude sehen werden, ich will nicht die Wilden Zwanziger beschwören, aber ich hoffe auf eine spürbare Zunahme an Lebenslust.
Was wir nach dem ersten Lockdown gesehen haben, war eine große Lust, sich wieder ins gesellschaftliche Leben zu stürzen – wozu auch die Mode gehört. Wir beobachten auch, was in China passiert, und dass dort die Konsumfreude auf einem beispiellosen Hoch ist, aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir uns noch mitten im zweiten Lockdown befinden und die Unsicherheit sehr groß ist.
Für unser Label wünsche ich mir, dass sich die Entwicklungschancen schon bald wieder einstellen, die sich für uns vor ziemlich genau einem Jahr noch abgezeichnet hatten. Für die Branche wünsche ich mir, dass Hoffnung, Zukunftszuversicht und Gestaltungsfreude der Menschen wiederkommen, also all das, was die Mode ausmacht. Für die Gesellschaft wünsche ich mir, dass wir wieder zu einem Zustand gelangen, in dem die Voraussetzungen für genau dies gegeben sind: für kontemporäre Formen der Hoffnung, der Zukunftszuversicht und der Gestaltungsfreude, wobei kontemporäre Formen vor allem meint, abgestimmt mit Nachhaltigkeitszielen.
Bilder: Brachmann