Gucci im Wandel: Das Debüt von Sabato De Sarno und die Geburt einer neuen Luxusikone
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Das Debüt des neuen Gucci-Kreativdirektor Sabato De Sarno gilt als eines der mit Spannung erwarteten Ereignissen der Mailänder Modewoche. Nicht zuletzt auch, weil die Modebranche sich fast acht Monate lang gedulden musste, um endlich einen Einblick in die Vision jenes Mannes zu erhaschen, der die Nachfolge von Alessandro Michele antritt. Am Freitag wird nun De Sarnos erste Darbietung für das italienische Luxusmodehaus über den Laufsteg schreiten, doch erste Hinweise auf die potentielle Reise der Marke als gesamtes gibt es zahlreiche – nicht zuletzt auch Dank grundlegenden Veränderungen innerhalb des Gucci-Mutterkonzerns Kering.
Ein Jubiläumsjahr gezeichnet von Veränderungen
„Wir befinden uns keineswegs in einem Übergangsjahr“, sagte Kering-CEO François-Henri Pinault im Februar nach der Veröffentlichung der Ergebnisse des vierten Quartals gegenüber dem Fachmagazin Vogue Business. Dennoch erwies sich das Jahr bislang als ein durchaus transformatives für den französischen Luxusgüterkonzern. Während noch zu Beginn des Jahres betont wurde das der damalige Gucci-CEO Marco Bizzarri keineswegs mit dem einst von ihm auserkorenen Designer Alessandro Michele das Modehaus verlassen müsse, revidierte Kering diese Entscheidung im Juli und so räumt Bizzarri – direkt nach De Sarnos Debut – seinen Posten zum 23. September.
Sein Posten – anders als es bei Michele der Fall war – wird direkt neu besetzt, wenn auch nur vorübergehend. Jean-François Palus, der aktuelle Managing Director der Kering Group übernimmt die Rolle, um “die Teams und Abläufe bei Gucci zu stärken, während das Modehaus wieder an Einfluss und Dynamik gewinnt und die Führung und Organisation für die Zukunft vorzubereiten”, so eine Mitteilung im Juli. Der Manager, der von Kering-CEO Pinault als seine rechte Hand und seinen täglichen Sparringspartner bezeichnet wurde, wird von Paris nach Mailand ziehen und das Geschäft vor Ort leiten.
Damit aber nicht genug, denn nicht nur bei Gucci, auch an der Spitze des Mutterkonzerns verändert sich in diesem für den Konzern Geschichtsträchtigen Jahr einiges. Vor etwa mehr als 60 Jahren wurde die Gruppe, damals noch Établissements Pinault, von François Pinault, dem Vater des heutigen CEOs, gegründet und war auf den Holzhandel spezialisiert. Zwei Jahre später, nach dem Erwerb von der französische Kaufhauskette Printemps und einer Beteiligung an dem Versandhaus La Redoute wurde die Gruppe zum Einzelhandelsunternehmen Pinault Printemps Redoute (PPR), wodurch der Wandel hin zum Luxuskonglomerat erfolgte. Die Namensänderung zu Kering kam 2013 – ein Meilenstein, den das Unternehmen in diesem Jahr unter anderem mit einer dreißig prozentigen Beteiligung an Valentino, einem eigenen Bildband und zahlreichen Events zelebrierte. Außerdem brachte das Jubiläum einige Veränderungen in der Spitze mit sich, die sich besonders in der Berufung von Co-CEOs zeigte. Francesca Bellettini, die Chefin des Modehauses Yves Saint Laurent, wurde zur stellvertretenden CEO von Kering ernannt, ebenso wie Kerings Finanzchef Jean-Marc Duplaix.
„Wir bauen eine robustere Organisation auf, um das Wachstum des globalen Luxusmarktes voll auszuschöpfen”, so Pinault im Juli.
Gucci als Inbegriff des Luxus?
Mit diesen Worten definiert Pinault nicht nur die Zukunft von Kering, sondern auch besonders für Gucci. Dass der Luxuskonglomerat das Wachstum des globalen Luxusmarktes voll auszuschöpfen möchte scheint logisch, doch genau da liegt auch das Problem, denn obwohl Gucci einst als eine der größten Erfolgsgeschichten der Branche galt, kämpfte das Label zuletzt unter Michele damit, aus dem Aufschwung nach der Pandemie Kapital zu schlagen.
Unter der Leitung von Michele und Bizzarri gelang Gucci von 2015 bis 2019 einer der wohl erfolgreichsten Trendwende in der Geschichte der Luxusindustrie, angetrieben von einem maximalitischen Rebranding und Nostalgie. Der Umsatz der Marke wurde in diesem Zeitraum auf fast 10 Milliarden Euro verdoppelt, während sich der Gewinn von Gucci vervierfachte – doch mit der Pandemie kam diese Erfolgsgeschichte zum Erliegen und die Ergebnisse für 2022 blieben hinter den Erwartungen zurück. Die maximalistische Vision des Designers hatte scheinbar seinen Zenith erreicht.
Nun steht für Kering – aber vor allem für Gucci – viel auf dem Spiel, denn weiterhin hinter der Konkurrenz, insbesondere dem ebenfalls französischen Luxusgüterkonzern LVMH, hinterherzuhinken, ist für das Unternehmen wohl kaum ein Dauerzustand und so ist es der auserkorene Kreativdirektor De Sarno, der dem italienischen Modehaus zu neuem Aufschwung verhelfen soll.
De Sarno: Gucci ist die Gelegenheit, sich wieder in die Mode zu verlieben
Seit dem abrupten Abschied von Michele vergangenen November wurde Gucci von einem hauseigenen Designteam am Laufen gehalten. Diese Praxis ist nicht unüblich, gilt häufig als eine Art modischer Zwischengang vor dem Antritt eines neuen Kreativdirektors, insbesondere dann, wenn dieser einen ästhetische Kehrtwende einlegen soll – und Hinweise auf eine solche gibt es zuhauf.
De Sarnos Aufgabe sei es, “das nächste Kapitel von Gucci zu schreiben, die modische Autorität des Hauses zu stärken und gleichzeitig von seinem reichen Erbe zu profitieren”, so der scheidende Gucci-CEO Bizzarri Ende Januar. Gleichzeitig betonte Pinault, dass Gucci unter seinem neuen Kreativdirektor “Mode und Kultur durch begehrenswerte Produkte und Kollektionen beeinflussen” und “eine einzigartige und zeitgenössische Vision des modernen Luxus” bieten wird. Zwischen den Zeilen konnte man also bereits bei der Ankündigung des neuen Designers den Wunsch nach einer luxuriöseren und zeitloseren Positionierung nach Jahren des Exzess und der Extravaganz unter Michele herauslesen.
Erste Schritte in diese Richtung wurden bereits mit der Einführung von “Salons”, – exklusive Boutiquen für die Superreichen der Klientel der Marke – wie es auch bei Traditionsmarken wie Chanel und Hermés der Fall ist, getätigt. Auch der Instagram-Account der Marke wurde von Micheles Exzentrismus sowie von seinen Musen wie dem Sänger Harry Styles befreit. Was auf den Sozialen Medien blieb, war eine Nachricht von De Sarno selbst, denn Gucci sei “die Gelegenheit, sich in die Mode zu verlieben, ancora”. Ancora, ein vielseitiges italienisches Wort, das sowohl “weiterhin” als auch “noch einmal” bedeuten kann”, scheint die erste direkte Nachricht des Designers an die Branche und die Jünger:innen der Marke zu sein. Allerdings liegt es nun auch an ihm, dass sich die Mode “ancora” in Gucci verliebt.
Wer ist Sabato De Sarno?
Ähnlich wie einst auch Michele wählte Gucci mit De Sarno keinen medienwirksamen Namen, sondern einen Brancheninsider. Nun wird der in Neapel aufgewachsene Designer, der bislang zu den stillen Schaffenden im Hintergrund zählte, erstmals selbst ins Rampenlicht treten. Nicht außer Acht zu lassen ist dabei sein Lebenslauf, denn mit Stationen bei Prada, Dolce & Gabbana und zuletzt Valentino, wo er unter Creative Director Pierpaolo Piccioli die kreative Leitung der Damen- und Herrenbekleidung verantworte, hat der Modeschöpfer bereits drei der renommiertesten italienischen Modehäuser durchlaufen.
Unter De Sarno, der für die Damen-, Herren-, Lederwaren-, Accessoires- und Lifestyle-Kollektionen verantwortlich sein wird, wird Gucci den Fokus vermutlich auf eine klassische Identität legen, doch ganz von Nostalgie befreit, scheint auch er nicht. Die wenigen Einblicke, die er bislang in seine Vision für Gucci gewährt hat, erinnern stark an das Gucci der Vergangenheit, nicht der jüngsten unter Michele, sondern an die Ära Tom Fords. In einem Interview mit Vogue Business schwelgt De Sarno in Erinnerungen an das erste Gucci-Stück, das er je besaß – eine dunkle rote Samtjacke des US-amerikanischen Designers mit schwarzem Kragen. Auch seine erste Schmuck-Kampagne für italienische Modehaus erinnerte an das Gucci der frühen 2000er. Grund dafür ist zum einen die Rückkehr von Topmodel Daria Werbowy, die zwar nach zahlreichen Kampagnen für viele synonym mit Phoebe Philos Celine ist, aber dennoch das Gesicht der Herbst/Winter 2004 Kollektion des florentinischen Modehauses war, aber auch die moderne Hochglanzoptik des Fotografen David Sims und die schlichte aber unverkennbare Sinnlichkeit der Inszenierung des Produkts – das erste, dass De Sarno präsentierte.
Einige Designer:innen sind künstlerisch tätig, andere sind technisch versiert. De Sarno gehört im Gegensatz zu seinem Vorgänger Michele zur letzteren Kategorie, wie Vogue Business berichtete. Dem Branchenmagazin zufolge wählte der Designer seine Ausbildung am Istituto Secoli in Mailand, da die Schule die technisch anspruchsvollste war und er praktische Fähigkeiten erlernen wollte. Diese Kenntnisse führten schließlich zu einem Praktikum bei Prada, das wiederum zu einer Vollzeitstelle bei dem Unternehmen führte, wo eine Zeit lang für Schnittmuster zuständig war. Mäntel wurden in dem Profil über den Designer besonders hervorgehoben, und die Publikation verrät, dass diese mit hoher Wahrscheinlichkeit auch auf dem Laufsteg zu sehen sein werden. Sein Gucci-Debüt werde voraussichtlich mit einem Mantel beginnen, der minimalistisch geschnitten und konstruiert ist, schreibt Journalistin Nicole Phelps, die De Sarno in seinem Atelier besuchte, und versprach außerdem das bereits prominente Comeback der Jackie-Tasche der Marke, wenn auch aus weichem Leder, "um sie alltagstauglicher zu machen", sowie der klassischen Bamboo-Tasche.
Es ist eine kreative Richtung die, wenn auch noch nicht offiziell bestätigt, gut in die angestrebte Vision von Gucci als zeitlose Luxusmarke passen würde und so liegt die Vermutung nahe, dass es konsumierbar Luxus und zeitlose Mode ist, die De Sarno bei seinem Gucci-Debüt am Freitag servieren wird.