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Pariser Modewoche: Schlammschlacht und Hoffnungsschimmer

Von Jesse Brouns

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Mode
Bella Hadid im Sprühkleid bei Coperni. Foto: Coperni

Acht Highlights der gerade zu Ende gegangenen Pariser Modewoche, festgehalten von unserem Reporter vor Ort.

1. Coperni ging viral

Die Designer von Coperni sprühten ein Kleid aus schnelltrocknendem Material auf den fast nackten Körper des Models Bella Hadid. Die Technologie wurde der Öffentlichkeit als eine unglaubliche wissenschaftliche Innovation verkauft. In der Tat war es purer Kitsch, und Designer wie Alexander McQueen, Hussein Chalayan und Viktor&Rolf inszenierten zuvor ähnliche Performances. Auch die darauf folgende Kollektion war nicht sehr spektakulär. Aber dieser eine Moment - er dauerte neun Minuten - ging im Internet um. In dieser Hinsicht war die Show von Coperni ein Erfolg. Man kann nur dann Kleidung verkaufen, vor allem als junges Label, wenn man auffällt. Das kann man mit einem guten Konzept erreichen, wie die Outfits für Frauen aller Größen des belgischen Design-Duos Ester Manas (in der dritten Show), oder mit einem Gimmick.

Coperni SS23. Foto: Coperni

2. Bella Hadid war überall

Bella Hadid war der Star auf den Laufstegen in Paris. Sie ging mit Coperni (Bild oben) viral und schloss die Show von Sacai in einem verherrlichten Clownskostüm. Bei Thom Browne, der an der Opéra Garnier eine US-amerikanische Interpretation von Aschenputtel inszenierte, trat sie in einem von der Siebzigerjahre-Band The Runaways inspirierten Heavy-Metal-Outfit als eine von Aschenputtels hässlichen Stiefschwestern auf.

3. Balenciaga lädt zum Schlammbad ein

Balenciaga hat in einer obskuren Veranstaltungshalle in der Nähe des Flughafens Charles-de-Gaulle eine gigantische Menge Schlamm ausgekippt. Ein Kunstwerk von Santiago Sierra, das der Designer Demna als Metapher "für die Suche nach der Wahrheit und die Bodenständigkeit" beschreibt. Das Risiko für die Zuschauer:innen war gering: Unter der Tribüne war ein tadelloser Teppich ausgelegt worden. Auf jedem Platz lag ein Brief des Designers. Darin erklärte er, er wolle seine Kollektion nicht mehr erklären. Die Show war, wie immer bei Balenciaga, ein totales Spektakel. Man könnte darin alles Mögliche sehen: Schützengräben, den Klimawandel, den Shitstorm, der über die Welt hinwegfegt, und die postapokalyptische Landschaft, die daraus entstehen wird, oder einfach nur eine absurde Verschwendung von Geld, Energie und Zeit. In der letzten Saison erinnerte die Balenciaga-Schau mit einem Schneesturm hinter Glas an die Invasion der Ukraine. Sicherlich ging es dieses Mal um die Produkte im Schlamm: übergroße Glitzerclogs in Mitternachtsblau, Unterwäsche mit Balenciaga-Logo, Handtaschen aus verwaisten und vernachlässigten Teddybären.

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Foto: Balenciaga

4. Kanye verpasste der Party einen Dämpfer

Die Paris Fashion Week war eine Woche lang "eine Party" (oft wörtlich: es gab mehr Partys als je zuvor), bis Kanye West kam, um sich in die Mode einzumischen. West eröffnete bereits die Balenciaga-Show in einem gruseligen Stormtrooper-Outfit und trug einen Mundschutz mit aufgedrucktem Logo des Labels. Nach seiner Nebenrolle als Model hat Ye (Synonym des Künstlers) in Paris weiter mit Schlamm um sich geworfen. Letzten Montag inszenierte er auf der Modewoche eine "geheime" Show des Labels YZY, eines Bekleidungslabels mit einer langen, fragmentierten Geschichte, das nie richtig in Gang gekommen ist (eine weitreichende Zusammenarbeit mit dem US-Einzelhändler Gap hat er vor einigen Wochen abgebrochen; seine Schuhlinie mit Adidas war ein Erfolg, aber auch damit scheint er nicht glücklich zu sein, wie kürzlich in der US-Presse zu lesen war). Berichten zufolge hat Ye die Gästeliste selbst zusammengestellt. John Galliano kam mit Anna Wintour, und hinter der Bühne wurde die rechtsextreme Meinungsmacherin Candace Owens gesichtet. Der Show, die mit 90-minütiger Verspätung begann, ging eine zusammenhanglose Tirade von Ye voraus, an der Freund und Feind gleichermaßen Anstoß nahmen (FashionUnited gehörte nicht zu den etwa 50 Auserwählten, die der Show beiwohnen durften; Rede und Show wurden auf Youtube gestreamt und laut einer Pressemitteilung auch live auf einem riesigen Bildschirm am Times Square in New York). Am Ende war es ein T-Shirt, das Ye zum Verhängnis wurde. Auf der Vorderseite: Papst Johannes Paul II., auf der Rückseite: der Slogan "White lives matter". Es war geradezu schockierend. Der Slogan gehört seit Jahren zum faschistischen Vokabular der "weißen Suprematisten" und des Ku-Klux-Klan. Warum? Der Rapper hatte nicht sofort eine Erklärung parat.

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5. Blumen werden zum Hoffnungsschimmer

Dries Van Noten eröffnete seine Show mit einer Reihe monochromer schwarzer Looks, inspiriert von dem schwarzen Quadrat des konstruktivistischen Künstlers Kasimir Malewitsch. Es folgt eine Reihe von zaghaften Pastellbildern und dann ein überschwänglicher Abschnitt mit wilden Collagen von Blumendrucken. Von der Dunkelheit zum Licht am Ende des Tunnels, in zehn Minuten, viel schneller als die echte Pandemie. Comme des Garçons verfolgte einen ähnlichen Weg von Schwarz zu einem abstrakten Blumenstrauß. Jonathan Anderson von Loewe hat seiner Kollektion die "erotische Spannung und Präzision der Anthurium-Blume" zugrunde gelegt. Bei Louis Vuitton entwarf der Künstler Philippe Parreno eine "karnevaleske Blume" auf dem Cour Carrée des Louvre, die im Inneren Platz für Gäste bietet.

Dries van Noten SS23. Foto: Catwalkpictures

6. Die Japaner sind zurück

Japanische Buyer und Journalist:innen waren bereits im Juni zur Men's Week wieder nach Paris gekommen. In der vergangenen Woche kehrten aber auch mehrere Labels zurück, und das nicht zu knapp. Comme des Garçons feierte ein lang erwartetes Comeback im ehemaligen Air France-Gebäude an der Esplanade des Invalidendoms. Rei Kawakubo von Comme des Garçons, die bald 80 Jahre alt wird, beschrieb ihre Kollektion als "eine Klage über die Traurigkeit in der heutigen Welt und das Gefühl, zusammenstehen zu wollen". Junya Watanabe und Noir Kei Ninomiya kehrten ebenfalls auf den Laufsteg zurück. Watanabe, der bereits im Juni eine Männerschau veranstaltete, setzte auf die Ästhetik des Punk. Das visuelle Vokabular von Noir ist dem von Kawakubo sehr ähnlich, mit textilen Skulpturen, die langsam über die Bühne schreiten, zwischen Mode und Kunst.

Mehr Comebacks: Jun Takahashis Undercover oder das jüngere Label Beautiful People, das allerlei hübsche Dinge mit Militäruniformen anstellte - es gab einen Fallschirm aus Nylon, der in einen federleichten Kuppelrock verwandelt wurde, der in einer wunderschön choreografierten Show vorgeführt wurde. Das Comeback von Issey Miyake war bittersüß. Der Designer, der seit Jahren nicht mehr aktiv entwarf, aber die Entwicklung jeder neuen Kollektion mit Spannung verfolgte, ist vor einigen Monaten gestorben. Die Show in einer riesigen Halle am Rande von Paris begann und endete mit einer Hommage an Miyake. Das Finale mit Tänzern und laufenden Models war von einer berührenden Schönheit, traurig und optimistisch zugleich.

Issey Miyake SS23. Foto: Catwalkpictures

7. Familie und Freund:innen

Bei der Mode geht es heutzutage oft um eine "Community" - eine Gruppe von Gleichgesinnten, die sich auf den Stil eines (oder verwandter) Labels einigen. Die Idee der Familie - angeboren oder selbst gewählt - wurde während der Modewoche immer wieder aufgegriffen. Für seine dritte Show hat der junge Designer Victor Weinsanto seine besten Freund:innen als Models engagiert, darunter die Designer Charles de Vilmorin, Egonlab und Michaela Stark. Die Show zum zehnjährigen Jubiläum von Victoria/Tomas (Titel: A Decade of Love) wurde von der weiblichen Hälfte des Duos - Victoria - und ihrem neugeborenen Baby, Rain, eröffnet. Emeric Tchatchoua von 3.Paradis kam, um seiner kleinen Tochter nach seiner ersten Damenshow zu winken. Bei Victoria Beckham, die zum ersten Mal in Paris zeigte, saßen David Beckham und der gesamte Beckham-Nachwuchs in der ersten Reihe, und bei Stella McCartney war Vater Paul wieder einmal dabei. Ami Paris, das bereits während der Männerwoche im Juni seine Damenkollektion vorstellte, hat sich mit der Fotoagentur Magnum zusammengetan, um eine Ausstellung zum Thema Familie zu gestalten.

Victoria Beckham SS23. Foto: Catwalkpictures

8. Neue niederländische und belgische Abenteuer

In einer wunderschönen, verlassenen Villa neben dem Musée Yves Saint Laurent sahen wir die erste vollständige Bekleidungskollektion von Wandler, dem niederländischen Label von Elza Wandler. Paul Helbers stellte seine neue Marke Fforme, die von US-Investoren unterstützt wird, am letzten Tag der Modewoche vor, gleich nach Louis Vuitton. Helbers hat Herrenkollektionen für Maison Margiela, Louis Vuitton und The Row entworfen, aber auch Modedesign für Damen studiert. Die ersten Kollektionen des neuen Labels, das in dieser Saison nur online verkauft wird, bewegen sich in der Kategorie von The Row und Hermès. Immer noch in den Showrooms zu sehen: Marina Yee, die in den 1980er Jahren zu den Antwerp Six gehörte, unter anderem mit Dries Van Noten, Ann Demeulemeester und Walter Van Beirendonck. Im Gegensatz zu ihren Kolleg:innen hat Yee nie wirklich Karriere gemacht und bis jetzt gewartet, um ihre eigene Linie zu lancieren. Sie ist sich in all den Jahren treu geblieben, und das spiegelt sich auch in ihrer Kleidung wider. Meryll Rogge ist nach wie vor eine der aufregendsten jungen Designerinnen Belgiens. Für ihre von den Amerikaner:innen inspirierte Kollektion arbeitete sie mit dem Künstler Beni Bischof zusammen, der auch eine Kunstinstallation schuf. Rogge war auch Gastgeber eines Cocktailempfangs für Belgier in Paris, einer neuen Initiative von Flanders DC for Fashion, die darauf abzielt, die belgische Präsenz während der Modewoche zu fördern.

Foto: Wandler

Dieser übersetzte und bearbeitete Beitrag erschien zuvor auf FashionUnited.nl.

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