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Balenciaga entfacht Kontroverse über Kunst, Kommerz und Apokalypse

Von Weixin Zha

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Mode

Kanye West debütiert bei Balenciaga. Bild: Balenciaga SS23 via Catwalkpictures

Designer Demna Gvasalia erregte mit seiner Balenciaga-Show in Paris nicht nur die Aufmerksamkeit der Modeindustrie, sondern auch die Gemüter der Kunstwelt.

In der Modewelt konzentrierte sich der Gesprächsstoff auf den Musiker Kanye West, der in einer Sicherheitsjacke auf den Laufsteg stürmte und die Show für Frühjahr/Sommer 2023 eröffnete. Durch eine Kulisse aus Schlamm und Teer, die an eine Kohlegrube oder ein Massengrab erinnert, schritten weitere Models mit Taschen, die an auf der Flucht mitgenommene Kuscheltiere denken lassen. Dazu düstere Techno-Töne, mit Anklängen an Trauermärsche.

Auch wenn Balenciagas Kreativchef Gvasalia in seinen Bemerkungen zur Modenschau nicht auf den Krieg in der Ukraine eingeht, lag die Assoziation nach seiner Modenschau in der vergangenen Saison nahe. Damals, Anfang März, nur zwei Wochen nach dem Einmarsch von Russland in der Ukraine, schritten die Models bei einem Schneesturm über den Laufsteg von Balenciaga und Gvasalia sprach auch seine eigenen Erfahrungen mit Krieg und Vertreibung an.

Demna Gvasalia zeichnet ein düsteres Bild von Gegenwart und Zukunft. Bild: Balenciaga SS23 via Catwalkpictures

Nein zum Eskapismus

Die Schlammkulisse und Show will Gvasalia als Metapher für das “Graben nach der Wahrheit und Bodenständigkeit” sehen. Neben apokalyptischen Assoziationen drehte sich die Show auch wieder um Dresscodes und Identität. „Ich hasse Schubladen und Labels”, sagte Gvasalia in den Erklärungen.

Er brachte beispielsweise das Bild von Männern mit Babytaschen (mit Puppen innen) auf den Laufsteg. Die Silhouetten wechselten zwischen kämpferisch aufgesetzten Hoodies und extrem kurzen Hosen, bodenlangen Mänteln und Plissé-Kleidern mit Capes, Looks irgendwo zwischen Matrix und Hohepriesterinnen eines düsteren Kults. Die Models stapften mit klobigen Clogs, Spitzenpumps und Plateaustiefeln durch den Matsch. Accessoires wie schlängelnde, bodenlange Schals und breite Hüftgürtel fielen auf.

Einige aus der Modewelt, wie Redakteur:innen der Vogue, bedankten sich in ihren Rezensionen bei Gvasalia, dass er das schwere, aber aktuelle Thema weiter anspricht, während andere Modehäuser sich in dieser Saison fröhlich dem Eskapismus hingeben. Sie verbreiten Optimismus mit hellen, bunten Farben, während die Palette bei Balenciaga düster ausfiel – mit Schwarz, Rot und erdigen Farben.

„Verkauft Parfüm und Handtaschen, keinen Krieg.”

Die Kunstwelt sah die Show schon etwas kritischer. Ihre Aufmerksamkeit auf Balenciaga wurde durch die Tatsache gelenkt, dass der Macher der Kulisse Santiago Sierra war – ein Umstand, dem die Modeindustrie vergleichsweise kaum Aufmerksamkeit schenkte. Der Künstler thematisiert soziale Ungerechtigkeit und Ausbeutung in seiner Arbeit, daher verwundert es auf den ersten Blick, dass er mit einem französischen Luxusmodehaus wie Balenciaga kooperiert.

„Verkauft Parfüm und Handtaschen, keinen Krieg. Das ist kein großer Trost für die Ukrainer:innen und auch nicht für die Bürger:innen Russlands. Das riecht nach Ausbeutung", schreibt Künstlerin Maggie Mcgrath in einem Kommentar unter einem Instagram-Post des Kurators Klaus Biesenbach. Der löste eine lebhafte Debatte darüber aus, inwieweit ein Luxusmodehaus, radikale Statements setzen oder so ernste Themen wie Krieg thematisieren kann.

„Also verkauft er 5000-US-Dollar-Kleidung, weil er von der Ukraine berührt ist?", fragt Künstler Thaddeus Strode. „Sie werden dir sogar unseren eigenen Untergang verkaufen, solange er als Luxus vermarktet wird”, antwortet ein anderer Instagram-Nutzer. „Eine dystopische Landschaft mit bequemen Sitzen", betitelt Künstler Stephen Ormandy die Show von Balenciaga.

Apokalypse pur bei Balenciaga. Bild: Balenciaga SS23 via Catwalkpictures

Kommerz, Luxus und Kunst

In der Tat spielt Gvasalia gerne mit den Kategorien von Kommerz und Luxus. Notorisch bekannt ist seine Tasche für das Label Vetements, die das Design der weitaus günstigeren Ikea-Einkaufstasche aufgriff. Zuletzt sorgte ein abgetragener Sneaker zu Luxuspreisen für Kontroversen. Auch diesmal bleibt der Modedesigner seinem Thema treu und fragt sich, inwieweit mit Schlamm beschmierte Kleidung Luxus sein kann.

Und hier, irgendwo zwischen “Industrie, Konsum, Geld” und den sich wiederholenden Trends der Mode, liegt ein Widerspruch, wie Kuratorin Maylin Pérez in der Debatte auf Instagram anmerkt. Der macht das Phänomen Balenciaga unter Gvasalia nicht nur für die Kunstwelt spannend. In ihrer Videoinstallation ‘Mission Accomplished: Belanciege” untersuchte Künstlerin Hito Steyerl 2019 mit Miloš Trakilović und Giorgi Gago Gagoshidze, an dem Beispiel Balenciaga die politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen der vergangenen 30 Jahre, ab dem Fall der Berliner Mauer. Schließlich drehen sich Mode wie Politik in Zyklen um Identitäten.

Auf den zweiten Blick erscheint die Kooperation zwischen Gvasalia und Sierra also doch nicht so überraschend: Beide beschäftigen sich mit den Erscheinungen des Kapitalismus, gehen gerne in die Extreme und provozieren. Um auf prekäre Arbeitsbedingungen hinzuweisen, tat Sierra genau das, heuerte Arbeiter:innen an, um in einem Museum zu schuften. Balenciaga präsentierte seine Kollektion an der New Yorker Börse und brachte so die Hypes in der Mode an den Aktienmarkt.

Es gibt auch andere Parallelen: Sierra beschrieb seine Arbeit als Künstler in Museen, als die “eines Innenarchitekten oder eines Veranstalters von exklusiven Events für die kulturelle Elite.” So ähnlich könnten auch Modeschauen gesehen werden.

Dieser Beitrag wurde um 14:52 Uhr am 3. Oktober 2022 aktualisiert.

Balenciaga
Demna Gvasalia
Santiago Sierra
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