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SS24: Nostalgie, Raves und “echte” Mode auf der Mailänder Modewoche

Von Jule Scott

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Mode
Gucci SS24 Bild: Spotlight Launchmetrics

Nach Jahren voller spektakulärer Modenschauen mit einer gewissen Effekthascherei, die ursprünglich der Haute Couture vorbehalten war, bot die Mailänder Modewoche in dieser Saison einen in der zwischenzeit seltenen Einblick in das, was Ready-to-Wear-Kollektionen einst ausmachte: Mode, die vom Laufsteg in den Laden wandern könnte.

Ein zurückhaltendes Debüt stellt das “Produkt” in den Fokus

Vorfreude und Marketing übertönten die Debütshow von Sabato De Sarno für Gucci, die am Ende vor allem durch eine für die italienische Luxusmarke ungewohnte Tragbarkeit von sich Reden machte. Während De Sarnos Vorgänger Alessandro Michele die Modewelt mit aufwendigen Inszenierungen und einer Portion Magie verzaubert hat, setzte De Sarno mit seiner "Ancora"-Kollektion, die den Menschen wieder Lust auf Gucci machen sollte, eher beim Produkt als bei einer visionären Idee und einem spektakulären Laufstegshow an.

Mehr über das Gucci-Debüt erfahren Sie hier:

Die geplante Darbietung auf den Straßen Mailands fiel aufgrund des Wetters wortwörtlich ins Wasser und so blieb dem florentinischen Luxusmodehaus nichts anderes übrig, als die Show in den trockenen “Gucci Hub”, die Mailänder Zentrale der Marke, zu bringen. Dennoch stellt sich die Frage, ob die vor einer starbesetzen Front Row präsentiere Mischung aus Alltagslooks, strassbesetzten Tops und BHs und Plattform-Loafern in ihrer ursprünglichen Location etwas mehr Kohärenz mit sich gebracht hätte.

Gucci SS24 Bild: Spotlight Launchmetrics

Es schien bei Gucci nicht nur Anspielungen auf das eigene Markenarchiv, sondern auch auf die Archive der größten Brands der vergangenen Saisons zu geben, die nicht nur begeisterte Kritiken verliehen bekamen, sondern auch entsprechende Verkaufszahlen erzielten. Inwiefern die äußerst kommerzielle Darbietung von De Sarno tatsächlich mit Erfolg gekrönt ist, wird sich erst zeigen, wenn die Kollektion nächstes Jahr in die Läden kommen wird. Nicht abzustreiten ist es jedoch, dass es nicht schwerfällt, sich die Gucci-Sweatshirts, Mini-Röcke und Mäntel auf Kleiderbügeln in den Stores und an zahlreichen Kund:innen vorzustellen.

Gucci SS24 Bild: Spotlight Launchmetrics

Gucci war allerdings keineswegs die einzige Marke auf der Mailänder Modewoche, die sich für die kommende Frühjahr/Sommer-Saison auf die Vergangenheit besonnen hat. Donatella Versace ging zurück in das Jahr 1995 und kam mit einer von ihrem Bruder Gianni Versace inspirierten 60er-Jahre-Kollektion und 90er-Supermodel Claudia Schiffer zurück, während Designer Peter Hawkings bei seinem Tom-Ford-Debüt dessen Zeit bei Gucci huldigte.

Trotz des scheinbar geteilten Hang zur Nostalgie und dem Kommerz schlagen die Designer:innen in Mailand jedoch nach wie vor radikal unterschiedliche Wege ein.

Raves und Exzentrismus für Gen-Z-Kund:innen

Diesel – scheinbar ein ewiger Ausreißer unter der Leitung des Designers Glenn Martens – lud etwa 6.000 Gäste zu einem Techno-Rave im strömenden Regen ein. Vor lauter Aufregung wurde die Modenschau, die die Party eröffnete, zumindest auf den Sozialen Medien fast zur Nebensache. Hinter dem Spektakel versteckte sich dennoch eine Kollektion, die – zumindest innerhalb des Dieselversums – durch und durch tragbar ist.

Diesel SS24 Bild: Spotlight Launchmetrics

Die Models trotzten dem Sturm in T-Shirts, die mit grauen Hosen gepaart waren und einen Hauch von Haut enthüllten. Verfärbte Anoraks und gestrickte Tanktops erinnerten an abgetragenen Kleidungsstücken, während Kleider mit V-Ausschnitt und übergroße Strickjacken dekonstruiert wurden. Martens brachte paarte Gen-Z freundliche Ensembles mit düsterem Realismus und partytauglichem Stil, der den Outfits der Gäste vor Ort glich und damit gleichzeitig einen Blick auf künftige potentielle Kund:innen gewährte. Plakative Graphic-Print-Shirts erinnerten an Filmplakate, und die mit silberner sprühfarbe bemalten Models an deren außerirdische Hauptdarsteller:innen. Das "D"-Logo gab es immer noch zuhauf, ebenso wie die Illusion, dass zerrissene Kleider jeden Moment von den Körpern der Models fallen könnten und selbstverständlich jede Menge Denim.

Diesel SS24 Bild: Spotlight Launchmetrics

Nur wenige Marken sind weiterhin so ungezügelt wie es Diesel ist, es sei denn die eigene Historie erlaubt es, wie es bei Roberto Cavalli der Fall ist. Fausto Puglisi, der seit 2020 als Kreativdirektor für das italienische Label verantwortlich ist scheint mit jeder Saison tiefer in das Archiv und den Jungle Cavallis einzutauchen, diese Saison wortwörtlich denn der Designer verwandelte die Mailänder Börse in eine grüne Oase.

Es ist schwer vorzustellen, dass Puglisi, genau wie Cavalli selbst, je von Minimalismus oder “stillem Luxus” gehört hat, und wenn, dann lehnt er diese kategorisch ab. Seine Darbietung war laut, teils grell, voller 70er-Jahre Hippies und dem damit einhergehenden Excess, aber vor allem war die Kollektion zu einhundert Prozent Cavalli – fraglich ist nur, ob die Kund:innen für eine solche Kollektion nicht in der Zeit der Blumenkinder geblieben sind.

Roberto Cavalli SS24 Bild: Spotlight Launchmetrics

Bei Etro, einer weiteren geschichtsträchtigen Marke mit einer lauten und eklektischen Historie, scheint Kreativdirektor Marco De Vincenzo nach zwei Saisons Fuß zu fassen und seine eigene Vision zu etablieren, auch wenn die Kollektion offiziell im “Nirgendwo” angesiedelt war.

Minimalistisch, kommerziell und dennoch überraschend?

Kommerz ist, auch wenn es sich bei der Mode um eine Industrie handelt, nicht unbedingt ein gern gesehenes Wort – vor allem nicht, wenn dieses eine Kollektion beschreiben soll. Doch dass Kommerz auch modisch und vor allem überraschend sein kann, bewies sowohl Bottega Veneta als auch Ferragamo und Jil Sander.

Matthieu Blazy startete seine Bottega Veneta Show mit seiner mittlerweile von ihm gewohnten Simplizität, die im Laufe der insgesamt 73 Looks immer extremer werdenden Silhouetten und Experimenten wich. Der belgische Designer scheint ein neues Kapitel aufgeschlagen zu haben mit einer Kollektion, die, wie er in den begleitenden Notizen zur Show sagt, "frei" und "ohne Codes" war.

Bottega Veneta SS24 Bild: Spotlight Launchemetrics

Trotz mutiger neuen Proportionen blieb der Designer sich selbst und seiner bislang etablierten Ästhetik sowie seiner Vorliebe für Leder treu, verbindet seine Handschrift jedoch mit einer Reihe an neuen Texturen die an Fischernetze und Pom-Poms erinnern, ohne dabei übertrieben oder gar kindlich zu wirken. Wenn überhaupt, beweist Blazy, dass Minimalismus keineswegs langweilig oder gar vorhersehbar sein muss und Mode auch auf dem Laufsteg unglaublich tragbar daherkommen kann.

Bottega Veneta SS24 Bild: Spotlight Launchmetrics

Einen neuen Weg scheint auch Maximilian Davis bei seiner dritten Show für Salvatore Ferragamo eingeschlagen zu haben. Von dem in seinen ersten zwei Kollektionen so präsenten Rot ist passé und machte den Weg frei für eine minimalistische, präzise geschnittene Darbietung, die Officewear mit eleganter Abendkleidung mischte. Die 64-teilige Kollektion bestand wie auch Blazys Kollektion aus viel Leder, das in tiefes Grün getaucht wurde, während die figurbetonten Kleider den Körper der Models umschmeichelten. Jacketts wurden von dekorativer Abendmode abgelöst und elegante Capes offenbarten raffinierte Konstruktionen, die allesamt sowohl Alltags- als auch Ausgehfein erschienen – eine Balance und Kunst, die sonst vor allem Prada zugeschrieben wird.

Ferragamo SS24 Bild: Spotlight Launchmetrics

Mode liegt im Auge der Betrachter:innen

Die italienische Marke Sunnei hat sich für diese Saison etwas einfallen lassen, um ihre Kollektion der sofortigen Rückmeldung und Kritik des anwesenden Publikums auszusetzen. Dabei ging die Idee weit über den für Modenschauen üblichen braven und höflichen Applaus hinaus, denn die Anwesenden bekamen eine Reihe von Paddeln in die Hand,mit denen sie angewiesen wurden, die Looks von eins bis zehn zu bewerten, wie es später in den Kommentaren auf den Sozialen Medien ohnehin getan wird.

Sunnei SS24 Bild: Spotlight Launchmetrics

Während es sich bei der Idee des Designer:innen-Duos Simone Rizzo and Loris Messina wohl eher um ein Art sozialkritischen Spiegel für die konstante Kritik und ständige Meinungsäußerung auf Instagram und Co. handelte, ist es auch ein äußerst passendes Sinnbild für eine Saison, in der Modemarken scheinbar besonders auf die Gunst ihrer Kund:innen und den damit verbunden kommerziellen Erfolg bedacht waren. Während die meisten Marken die kommerzielle Strahlkraft ihrer Kollektionen frühestens im Februar nächsten Jahres erfahren werden, konnte Sunnei vielleicht bereits einen Vorgeschmack erhalten.

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