Steffl-Buyer Rafael Duleba: Kreativität und Kalkül im Einkaufsprozess für SS25
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Steffl prägt seit mehr als einem Jahrhundert, was in der österreichischen Hauptstadt getragen wird. Das Wiener Kaufhaus, das seine Ursprünge 1895 als Herrenkonfektionsgeschäft M. Neumann fand, steht auch heute noch für ein umfangreiches Portfolio, insbesondere im Bereich der Contemporary-Mode, der jüngsten und mutigsten Abteilung von Steffl. Doch wie bereitet sich das Modehaus auf die SS25-Saison vor?
Rafael Duleba, Steffl-Einkäufer im Contemporary-Segment, gibt Einblicke in seine Strategien und betont die Wichtigkeit seines globalen Netzwerks und seiner Reisen als Anregung für die Auswahl von Kollektionen. Dabei setzt er auf Marken wie Marine Serre, die mit Upcycling im High-Fashion-Bereich neue Maßstäbe vorgibt, sowie die kreativen Kollektionen des irischen Designers Jonathan Anderson.
Herr Duleba, wie haben Sie die SS24-Saison erlebt?
Die Frühjahr/Sommer-Saison 2024, die jetzt zu Ende geht, fand ich persönlich äußerst gut. Ich weiß, dass ich einer der wenigen bin, die das so sehen. Es gibt jedoch Gründe dafür: Zum einen hatten wir in Wien im Vergleich zu vielen anderen Ländern oder Städten großes Glück mit dem Wetter für eine Sommersaison. Das mag banal klingen, hat aber große Auswirkungen, denn bei Schlechtwetter gehen die Leute weniger gern einkaufen. Zum anderen haben wir offensichtlich die richtigen Produkte ausgewählt, denn die Resonanz der Kund:innen war positiv.
Wie planen Sie Ihr Budget?
In meinem Bereich ist das ein sehr komplexer Teil, da viel Kreativität einfließt. Ich würde meinen, es ist tatsächlich 50 Prozent Bauchgefühl und 50 Prozent Kalkül. Bei mir beginnt der Prozess schon eine Saison vorher, denn bereits auf Reisen für den Herbst/Winter 2024 mache ich mir Gedanken für das Frühjahr/Sommer 2025.
Wie gehen Sie bei der Auswahl von Marken und Kollektionen vor?
Es hängt stark davon ab, wem man da begegnet, welche Marken man schon am Markt entdeckt hat oder welche empfohlen werden. Das ist eine große Frage des Netzwerkes, in dem man sich entwickelt. Daher ist es ein Prozess, der früh auf der kreativen Ebene beginnt. Wie in einem Trichter sammelt sich die Essenz, die ich dann reduziere, um ein Vorabbudget oder einen strategischen Plan zu erstellen. Der nächste Schritt ist eigentlich ganz klar: Es geht um die nüchterne Betrachtung der gerade gelaufenen Saison – Zahlen, das Kalkül mit Unterstützung unseres Warenwirtschaftssystems.
Berichten Mitarbeiter:innen ihre Einschätzungen, um Sie zu unterstützen?
Ich forciere das Feedback von Mitarbeiter:innen oder Abteilungsleiter:innen. Man kann nur lesen, was man erfasst hat, also was gekauft wurde. In der Praxis erstelle ich einen Fragebogen, den die Mitarbeiter:innen anonym beantworten, um einen freien Spielraum zu geben. Die Fragen lauten beispielsweise: Was waren eure Top-Marken, was habt ihr vermisst, welche Wünsche habt ihr? Aus diesen Faktoren erhalte ich ein Gesamtpaket, mit dem ich dann die Saison gestalten kann – sowohl budgetär als auch kreativ. Im Endeffekt sind es meine Erkenntnisse, die aus den Reisen, meinem Netzwerk und vielen Dialogen entstehen. Dazu kommt das Feedback der Mitarbeiter:innen und die Zahlen. Dann bekomme ich einen Rucksack voller Informationen, mit dem ich losmarschiere.
Ihr Einkaufsprozess beschränkt sich nicht auf ein Geschlecht …
In meiner Abteilung arbeite ich mit beiden Gendern, was die Arbeit mit Damen- und Herrenmode bedeutet. Dies ist eine komplexe Angelegenheit. Einerseits ist es sehr spannend, gleichzeitig verlängert es die Einkaufsperiode, da alles multipliziert wird – und das über längeren Zeitraum. Mir persönlich hilft es enorm, tatsächlich Strömungen von beiden Seiten mitzubekommen. Was tut sich bei den Männern, was tut sich bei den Frauen? Wir leben zum Glück in einer Zeit, in der Grenzen immer mehr verschwimmen, was meine Arbeit besonders aufregend macht.
Gibt es Platz für neue Marken im Portfolio?
Ja, den muss es geben – gerade in Zeiten, in denen man die Dominanz von Luxusmarken spürt. Sie etablieren sich stark und haben Milliarden für Werbung und Aktivitäten im Schlepptau, um ihre Exklusivität zu wahren. Bei Steffl arbeiten wir nur begrenzt mit Luxusmarken. Stattdessen haben wir uns stark im Premium- und Contemporary-Bereich positioniert, nicht nur in meiner Abteilung, sondern auch in anderen. Das macht den Alltag im Einkauf, aber auch im Verkauf bodenständiger. So bieten wir Highlights und außergewöhnliche kreative Marken – egal ob das jetzt eine klassische Herrenabteilung ist, das ist ein feines Gespür bei der Auswahl – man hat immer eine Möglichkeit.
Wie stellen Sie sicher, dass die SS25-Kollektionen den aktuellen Trends entsprechen?
Wenn man natürlich nur eine Copy-Paste-Taste aus der letzten Saison verwendet und dann statt eines hellblauen Hemdes ein mittelblaues präsentiert, kann es etwas eng werden. Viele arbeiten so. Wir möchten lieber Raum für Kreativität schaffen, auch in den klassischen Abteilungen. Da spreche ich zwar für meine Kolleg:innen, aber ich weiß, dass es so ist. Wir tauschen uns viel aus und ich gehe durchs Haus und sehe, ja, die geben viel Gas und das ist schön, als klassischer Mann oder klassische Frau Highlights zu finden, die man sonst nicht bekommt.
Und wie ist es in Ihrer Abteilung?
In meiner Abteilung wird dies besonders durch die Führung und unsere Grundideologie verstärkt. Es gibt mir persönlich ein gutes Gefühl, Marken anders zu begegnen. Ich habe keine Einschränkung, dass ich etwas nicht darf, sondern vielmehr die Freiheit, viele Entscheidungen zu treffen. Wenn ich mir unsicher bin, hole ich mir das Okay. Als Einkäufer:innen haben wir gelernt, Verantwortung zu tragen. Unser Alltag bringt viele Freiheiten, aber auch große Verantwortung. Damit leben wir bis jetzt ganz gut.
Wo gehen Sie hin, um sich inspirieren zu lassen?
Ich reise wirklich sehr viel, einerseits in alle Modemetropolen, bin aber auch privat viel unterwegs. Daher sehe ich auch, was die Menschen beispielsweise in Bangkok, in New Delhi oder auf Ibiza tragen. Ich beobachte Menschen wahnsinnig gerne. Das hilft mir als Information, gerade im beruflichen Kontext.
Aber die Online-Recherche ist auch wichtig für Sie …
Wir leben in einer Zeit, in der Online-Marketing eine große Rolle spielt und man kann es nicht ignorieren. Bestimmte Trends, bestimmte Strömungen. Manchmal ist es etwas gefährlich, da vieles – auch wenn High Fashion – doch durch Copy-Paste passiert. Viele tragen Gleiches oder Ähnliches oder folgen der Richtung einer bestimmten Person. Wenn es gerade ein Halstuch ist, dann tragen es alle, mich inklusive. (lacht) Vielleicht in einer eigenen Version, aber darum geht es eigentlich, Dinge herauszufiltern und in einen Kontext zu stellen, in dem etwas Eigenes entsteht. Zudem kommt auch das Netzwerk. In der Branche ist man gut vernetzt und tauscht sich über Neues aus. Auch das ist etwas, was wiederum meinen Job wahnsinnig aufregend macht, weil es viele Ebenen sind, auf denen man kommuniziert oder Informationen bekommt.
Auf welche Trends legen Sie für SS25 einen Fokus im Einkauf?
Ich finde es schwierig, Trends auf einen Nenner zu bringen, da es tatsächlich momentan sehr viel Spielraum gibt. Man sieht von den 70ern, 80ern, 90ern bis hin zu ‘Quiet Luxury’ alles. Letzterer wird meiner Meinung nach oft falsch interpretiert. Viele glauben, es handele sich um einen monochromen Look und man trage kein Logo. Es gibt viele Brands, die kein einziges Kleidungsstück ohne Logo anbieten. Die sind vielleicht zurückhaltender und stehen nicht mehr im Vordergrund, aber es ist bei weitem nicht immer nur langweilig. Ich sage immer, es ist Luxus auf den zweiten Blick.
Was macht ‘Quiet Luxury’ für Sie aus?
Hierbei geht es viel um Details und eine hohe Qualität der Stoffe. Dazu kommen bestimmte Details, Lösungen und technische Innovationen, die auf den ersten Blick nicht sichtbar sind. Es sind aber auch Muster und Farben, wo der kreative Prozess im Design stattfindet. Das ist alles, nur nicht ‘quiet’, aber trotzdem ‘luxury’. Im Contemporary-Bereich sprechen wir von einem Bereich, wo Artikel deutlich luxuriöser herüberkommen, aber in einem attraktiven Preisbereich angesiedelt sind. Das ist momentan sehr aufregend.
Können Sie bestimmte Strömungen bei den jüngeren Generationen beobachten?
Ich finde den enormen Einfluss von Vintage hierbei sehr spannend. Damit meine ich nicht nur Vintage als Gebraucht- oder Secondhand-Kleidung, sondern auch die alt-inspirierten Looks, in denen man tatsächlich viele junge Menschen sieht. Dass sie sich auf den ersten Blick wie ihre Omas und Opas kleiden, gefällt mir sehr gut. In Kombination mit dem Jugendbonus wirkt das aufregend. Auch der ökologische Gedanke, dass man Kleidung öfter trägt, ist hier vertreten. Es handelt sich um ein heranwachsendes Publikum, eine Generation von Kund:innen, die deutlich kritischer ist und das müssen wir als Einkäufer:innen auch berücksichtigen.
Steffl befindet sich im Herzen Wiens. Berücksichtigen Sie daher auch österreichische Marken in Ihrem Portfolio?
Der Modemarkt ist in Österreich deutlich kleiner als in anderen Ländern. Trotzdem arbeiten wir oft mit österreichischen Designer:innen durch verschiedene Kooperationen zusammen. Viele österreichische Modeschaffende sind jedoch ins Ausland gegangen, wie auch in der Vergangenheit Helmut Lang, der nach New York gehen musste, um berühmt zu werden. Bis heute ist sein Name im Steffl erfolgreich vertreten.
Wie beeinflusst der zentrale Steffl-Standort an der Einkaufsmeile Kärntnerstraße Ihren Einkauf?
Wir arbeiten in Wien mit einem hohen Anteil an Tourist:innen. Das unterscheidet uns von vielen anderen Städten, nicht nur in Österreich, sondern im gesamten deutschsprachigen Raum, wo man oft auf das lokale Publikum angewiesen ist. Hier in Wien haben wir nicht nur unsere geliebten Wiener:innen, die gerne einkaufen, sondern auch viele Reisende, die aufgrund ihrer unterschiedlichen geographischen Herkunft offener sind. Deshalb arbeiten wir mit Marken aus Rio de Janeiro, Südkorea und den USA zusammen. Diese Mischung aus verschiedenen Ländern und Kontinenten macht unsere Auswahl spannend – ein Spielraum, der sich durch die vielen Tourist:innen auf der Kärntnerstraße ergibt.
Was unterscheidet die Wiener Konsument:innen?
Früher dachte man, Wien sei modisch konservativ und klassisch. Aber das würde ich revidieren. Auch Wien hat sich verändert, und das ist auch eine Folge des Online-Marketings und der Zugänglichkeit dessen, was in der Welt passiert. Früher war vieles nicht erreichbar, heute sieht man die ganze Welt mit einem Klick. Bei vielen Marken gibt es das komplette Sortiment zu sehen – die ganze Welt öffnet sich digital. Das ist auch im Mindset und in der Offenheit von Kund:innen deutlich spürbar.
Und was hebt sie dennoch von den Tourist:innen ab?
In Bezug auf Farben oder Anlässe sind viele Reisende offener, weil sie vielleicht eine andere Hautfarbe haben oder einfach dort leben, wo die Sonne länger scheint als in Österreich. Die Mischung ist aber sehr ausgewogen und gut.
Abschließend, haben Sie ein persönliches Highlight der SS25-Kollektionen?
Für Frühjahr/Sommer 2024 habe ich mit Marken aus Südamerika, Argentinien, Rio de Janeiro gearbeitet und eine Zusammenarbeit mit einem südkoreanischen Label begonnen. Dieser gewissen Exotik möchte ich auch für SS25 nachspüren, ob das nun Sommerkleider sind oder der reduzierte Stil, der aus Südkorea kommt.
Und wenn Sie Namen nennen müssten?
Bereits seit SS24 arbeiten wir mit J.W. Anderson für die Herrenkollektion und im Schuhbereich für die Damen zusammen. Für die SS25-Saison wird unser Portfolio um die Ready-to-Wear- und Taschenkollektion für Damen erweitert. J.W. Anderson ist derzeit einer der aufregendsten und am meisten bejubelten Designer unserer Zeit. Keiner hat in den letzten Jahren international so viele Preise abgeräumt wie er. Wir sind stolz darauf, seine außergewöhnlichen Kollektionen im Steffl zeigen zu dürfen. Auch Marine Serre, die gerade als Gastdesignerin bei der Pitti Uomo ihre unglaubliche Show in Florenz gezeigt hat, ist seit SS24 Teil unseres Damen-Portfolios. Ihre Interpretation von Upcycling im High-Fashion-Bereich hat bereits viele Herzen erobert. Niemand geht derzeit so kreativ mit dem Thema Nachhaltigkeit und Fairness in der Mode um wie sie.