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Warum ändern Kreative eigentlich so oft ihre Meinung?

Von Jackie Mallon

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Mode

Ein Aussenstehender mag vielleicht annehmen, dass die kreativen Visionäre in unseren Lieblingsmodehäusern sich für ihre Entscheidungen Zeit nehmen. Am Anfang der Saison werden Themen, Farbpaletten, Silhouetten und vielleicht auch schon ein paar Stoffe festgelegt, dann kann’s losgehen. Diese Vision unterscheidet sie vom Rest von uns Sterblichen, die sich nicht einmal entscheiden können, welches Sandwich sie zu Mittag essen wollen. Angesichts der täglich auf uns einprasselnden Einflüsse und Bilder hinterfragen wir uns pausenlos, während diese aussergewöhnlichen Talente genau wissen, wie die Zukunft aussehen soll. Dann wird diese Vision von namenlosen Untergebenen ausgeführt und kurze Zeit später erscheint sie auf dem Laufsteg.

Nicht so schnell. Der kreative Prozess sieht tatsächlich ganz anders aus, als hier beschrieben. Er ist viel kleinteiliger, meist chaotisch und in einigen Unternehmen wird er nie zu Ende gebracht, weil gerade die Modemacher besonders oft ihre Meinung ändern. Verzögerungen, verpasste Deadlines, verlegte Meetings, und Anfragen, den ‚Kalender umzustoßen‘ sind an der Tagesordnung. Designassistenten und ihre Counterparts in der Produktion könnten im Anschluss für die U.N. arbeiten, so sehr sind sie an taktisches Schmeicheln und Verhandlungen mit Fabrikanten gewöhnt, die für verschiedene Häuser zur gleichen Zeit fertigen und die Deadline nicht einhalten. Eine Veränderung im Ablauf kann die ganze Schedule ins Chaos stürzen, ganz abgesehen davon, was mehrere von der Sorte anrichten können.

Im Vorwort des Buches “Alexander McQueen Working Process” von Nick Waplington schreibt Susannah Frankel: „McQueen lebte und arbeitete im Moment und es war der Job all derer um ihn herum, seine schwierigen und manchmal verstörenden Vorstellungen in die Realität umzusetzen. Er bewegte sich schnell und änderte seine Meinung häufig, war wahnsinnig ehrgeizig und intolerant gegenüber allen, die es nicht schafften, mit ihm Schritt zu halten. Die, die es schafften, verfügten über bemerkenswerte Intelligenz, Erfindungsreichtum und Geduld.“

Dein schlechtes Zeitmanagement bedeutet keinen Notfall für mich.

Vielleicht haben Sie dieses Schild schon einmal an einer Bürotüre gesehen. Sie werden es in einem Modestudio nirgends finden. Schlechtes Zeitmanagement egal an welcher Stelle bedeutet hier für alle einen Notfall. Es müssen immer wieder, auch von den ‚kleinen Angestellten‘, Berge versetzt werden, um das Unmögliche möglich zu machen.

Die größten Denker der Mode durchqueren Kontinente in ihrem Geist, während der Rest von uns schläft: Etwas, was sie am Tage gelesen, ein Trailer, den sie gesehen haben, Gerüchte über ein Designhaus, ein Magazincover, das sie im vorbeigehen gesehen haben, ein Gespräch mit den Sales-Mitarbeitern, Gesprächsfetzen, der Blick in ein Kaufhausfenster, eine Wolkenformation, selbst ein Vogel in einem Baum kann alles über den Haufen werden, was schon erarbeitet wurde.

Wie man damit umgeht

Es ist wichtig, zu lernen, damit umzugehen, wenn man in der Modebranche Erfolg haben will. Die erste Regel: Nenne es nicht unentschlossen! Modemacher leben in einer kreativen Blase, in der alles, was sie wollen, möglich gemacht wird. Man kann sich in seiner Freizeit darüber aufregen - in der Gegenwart eines der Größen muss man aber der neuesten Marschrichtung folgen, auch wenn sie sich am Nachmittag schon wieder ändern kann. Improvisationstalent und ein Gespür für das, was gebraucht werden wird (Nadeln, Schere, Lobotomie) Sekunden, bevor sie danach fragen, ist absolut obligatorisch.

Sie leiden nicht etwa an Amnesie oder stellen Sie auf die Probe: Ihre Gehirne funktionieren einfach anders. In den 60er Jahren lud Frank Barron, ein Pionier auf dem Gebiet der Psychologie der Kreativität, Autoren, Architekten, Unternehmer und andere kreative Typen zu einer Studie ein, für die er heute noch berühmt ist. Er folgerte an ihrem Ende, dass Kreative mit gegensätzlichen Gedanken besser klarkommen, als durchschnittliche Menschen. Sie halten Unordnung und Chaos besser aus und können daraus besser Ordnung ableiten; sie können Extreme besser miteinander vereinen und nehmen eher Risiken auf sich, um bei einer originellen Idee zu landen.

Ein Balanceakt

Psychologen glauben heute, dass der kreative Prozess in beiden Gehirnhälften vonstatten geht. Nicht nur auf der rechten, in der die Vorstellungskraft zuhause ist, sondern auch in der linken, die Aufmerksamkeit und Erinnerung beinhaltet. Das kreative Individuum kombiniert diese beiden Netzwerke, balanciert kognitive und emotionale Gedanken gleichzeitig. Darüber hinaus sind ihre Impulse am stärksten, wenn sie Tagträumen und Grübeln. Wenn Sie sich also fragen, wie es sein kann, dass ihr Chef auf dem Weg vom Gespräch mit Ihnen zur Toilette seine Meinung ändern konnte: Jetzt wissen Sie es.

Barron selbst sagte damals, Kreative seien sowohl primitiver und kultivierter, zerstörerischer und konstruktiver, gelegentlich verrückter und zugleich vernünftiger als die durchschnittliche Person.”

Das Resultat ist, dass Sie, wenn Sie genug Zeit mit diesen Kreativen verbringen, ebenfalls verrückter und vernünftiger werden, aber es fällt Ihnen schwerer, die beiden Dinge auseinander zu halten. Und das ist der Schlüssel zu einem erfolgreichen Dasein in der Modebranche.

Dies ist eine Übersetzung eines englischen Beitrags von Jackie Mallon. Jackie Mellon unterrichtet in NYC verschiedene Modekurse und ist die Autorin des Buches ‚Silk fort he Feed Dogs’, ein Roman, der in der internationalen Modeindustrie angesiedelt ist.

Aus dem Englischen übersetzt von Barbara Russ.

Im August wird FashionUnited sich auf das Thema "Work in Fashion" konzentrieren. Für alle Artikel hierzu, klicken Sie bitte hier.

Images: commons.Wikimedia.org: Alexander McQueen bei seiner Herbst/Winter-Modenschau 2009, Francois Guillot AFP; Right brain image: commons.Wikimedia.org, Allan Ajifo, Source www.flickr.com 7 July 2014.

Alexander McQueen
creative directors
Workinfashion