Großinsolvenzen nehmen im vierten Quartal ab, im Gesamtjahr 2023 zu
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Die Zahl der bei deutschen Amtsgerichten von großen Unternehmen gestellten Insolvenzanträge ging im vierten Quartal 2023 leicht zurück, von 47 Fällen auf 45. Auch wenn so der dreimalige Aufwärtstrend vorerst gestoppt ist, gehört dieses Quartal zusammen mit dem dritten Quartal 2023 und dem ersten Quartal 2020 mit 46 Anträgen zu den Spitzenreitern, so die Düsseldorfer Unternehmensberatung Falkensteg Corporate Finance in ihrem Insolvenzbericht, der Großunternehmen mit einem Umsatz von mehr als 20 Millionen Euro berücksichtigt. Auf das Gesamtjahr bezogen stieg die Anzahl der Großinsolvenzen jedoch um 22 Prozent auf 158 Unternehmen.
In der Umsatzklasse über 100 Millionen Euro entspannte sich die Lage: hier halbierte sich die Zahl der Anträge von 13 auf 7, während sie sich in der Umsatzklasse 50 bis 100 Millionen Euro von 6 auf 12 verdoppelte. Die Umsatzklasse 20 bis 50 Millionen Euro blieb mit 26 Insolvenzen auf hohem Niveau. Eigenverwaltungsverfahren nahmen zum Jahresende ab: Wärend noch vor einem Jahr 60 Prozent der Unternehmen ein solches Sanierungsverfahren beantragten, sank die Quote im vierten Quartal 2023 auf nur noch ein Drittel.
Einzelhandel an dritter Stelle
Nach Branchen aufgeteilt stellten Automobilzulieferer mit zehn Anträgen die meisten. Danach folgten Herstellende von Metallerzeugnissen mit sieben und der Einzelhandel, das Gesundheitswesen und Kliniken und Pflegeheime jeweils sechs. Bei den Immobilien- und Bauunternehmen gingen die Zahl der Anträge von 14 auf drei zurück.
Bei den Verfahren der Branchengrößten standen das Berliner E-Commerce Unternehmen für Sportartikel Signa Sports United an erster Stelle, das einen Jahresumsatz von mehr als einer Milliarde Euro verzeichnete und im vierten Quartal eine Regelinsolvenz beantragte, ebenso Sportartikelhändler SportScheck (354 Millionen Umsatz) an zweiter Stelle und Bekleidungsanbieter Peter Hahn (350 Millionen), der ein Schutzschirmverfahren beantragte.
Nur 15 Unternehmen gerettet
Im vierten Quartal 2023 brachen die erfolgreichen Verfahrensausgänge durch einen Asset Deal oder Insolvenzplan drastisch ein: Nur 15 insolvente Unternehmen konnten gerettet werden, 32 Prozent weniger als im vorherigen Quartal. Die Verkäufe an Investor:innen sanken von 19 auf 12 Fälle und wie im dritten Quartal konnten drei Insolvenzplanverfahren gerichtlich beendet werden.
Die Zahl der Unternehmen, die nur noch geringe Überlebenschancen haben, stieg um 25 Prozent an; sieben Firmen mussten ihren Betrieb vorzeitig einstellen. Zu den umsatzstärksten Verfahrensausgängen zählten das Planverfahren des Düsseldorfer Bekleidungsanbieters Peek & Cloppenburg sowie der Dorea Pflege-Gruppe. Modefilialist Hallhuber schloss inzwischen seine 98 Läden, während der Damenmode-Anbieter Madeleine (162 Millionen Euro Umsatz), der eine vorläufige Eigenverwaltung beantragt hatte, mit der Goldner Fashion Gruppe eine neue Eigentümerin fand.
Insolvenzen nehmen im Jahr 2023 zu
Die Insolvenzen von Großunternehmen stiegen im zweiten Jahr in Folge deutlich an — im Jahr 2023 um 22 Prozent auf 158 Unternehmen. Vor einem Jahr hatte der Anstieg bereits 64 Prozent betragen.
„Damit haben sich die Insolvenzen im Vergleich zu 2021 verdoppelt, sind aber historisch gesehen weiterhin auf niedrigem Niveau. Der Umsatz der insolventen Unternehmen betrug 18 Milliarden Euro – ein deutliches Plus von 7,8 Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahr“, erklärt Falkensteg.
Modebranche 2023 an vierter Stelle
Nach Maschinenbauunternehmen mit 29 Fällen, dem Gesundheitswesen mit 26 und Automobilzuliefernden mit 25 Fällen teilte sich die Modebranche mit dem Einzelhandel und Immobilienunternehmen mit jeweils 19 Insolvenzen den vierten Platz.
Laut Jörg Funder, Direktor des Instituts für Internationales Handels- und Distributionsmanagement (IIHD), lässt sich im Einzelhandel kaum noch Geld verdienen. Für ihn sind viele der Probleme hausgemacht, etwa Schwächen in Führung, Strategie und Anpassung des Geschäftsmodells beziehungsweise der Infrastruktur. Zudem lockt das Angebot in den Schaufenstern Kund:innen nicht mehr in die Innenstädte. Künstliche Intelligenz und mehr Nähe zu den Kund:innen sollten hier seiner Meinung nach helfen.
„Künstliche Intelligenz wird passgenaue Absatzprognosen erstellen und Preisentwicklungen erkennen. Aber auch in der Kund:inneninteraktion, um näher an die Kundschaft heranzukommen, in der Personalisierung und Dynamisierung von Angebotsstrukturen ist Künstliche Intelligenz ein großes Thema. In diesem Feld sind hohe Investitionen und klare Konzepte erforderlich. Momentan herrscht eher eine Sammelwut an Daten, die aber nicht sauber integriert und fehlerbehaftet sind. Die Händler:innen müssen jetzt durch Anwendungsfälle ihre Datenmodelle entwickeln“, so Funder im Interview mit Falkensteg.
Ausblick Einzelhandel 2024
„Wir gehen auf ein Jahr zu, in dem es quer durch alle Einzelhandelssegmente kräftig ruckeln wird. Der Einzelhandel ist aber keine Krisenbranche, sondern befindet sich in einer längst überfälligen Strukturbereinigung. Am härtesten wird es den Modeeinzelhandel treffen, der sich seit Jahren in einer strukturellen Schwächephase befindet. Im unteren bis mittleren Preissegment erreichen die Umsätze häufig nur noch 40 bis 60 Prozent des Vorjahresniveaus. Hier brennt die Hütte“, fügt Funder hinzu.
„Wir werden deutlich mehr Insolvenzen sehen, die aus der Gemengelage von steigenden Kosten, Konsumzurückhaltung, falscher Ausrichtung, schwieriger Refinanzierung resultieren. Aber ich erwarte keine Pleitewelle. Die Zahlen für 2023 liegen immer noch unter dem Niveau der Jahrtausendwende und 2009. Jetzt sehen wir Strukturbereinigungen in Form von Insolvenzen und Marktaustritten. Darunter werden auch viele Geschäftsaufgaben sein. Die nach-wachsende Generation hat kaum noch Lust, Kaufmann/-frau zu werden, weil man im Einzelhandel kein ausreichendes Einkommen mehr erzielen kann“, schließt Funder.