Im Stich gelassen? Die Auswirkungen der Corona-Krise auf Fabriken und Bekleidungsarbeiter
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Wohl kaum ein Arbeitsplatz ist so unsicher und so gefährlich wie der eines Bekleidungsarbeiters. Laufen die Dinge gut und Aufträge kommen herein, dann bedeutet dies Zeitdruck, Akkordarbeit, Beschimpfungen und Misshandlungen am Arbeitsplatz und immer noch kein Lohn, von dem man Leben kann. Laufen die Dinge schlecht, dann heißt das stornierte Aufträge, Verlust des Arbeitsplatzes, kein soziales oder finanzielles Netz. Der Weg in die Armut.
Infolge des weltweisen Coronavirus-Ausbruchs laufen die Dinge schlecht, sehr schlecht, für viele Bekleidungsarbeiter und -arbeiterinnen weltweit, besonders aber in den asiatischen Niedriglohnländern. Da Modegeschäfte in den entwickelten Märkten zeitweilig schließen mussten, ist entsprechend die Nachfrage nach Bekleidung gefallen. Marken und Einzelhändler haben schnell reagiert und ihre Aufträge storniert oder auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. In nicht wenigen Fällen weigern sie sich, Ware abzunehmen und zu bezahlen, die bereits für sie produziert wurde.
Tausende Betriebe geschlossen; Millionen von Arbeitern entlassen
Für die Zulieferbetriebe ist dies ein schwerer Schlag; Tausende von Herstellungsbetrieben mussten bereits schließen und Millionen von Bekleidungsarbeitern und -arbeiterinnen wurden entlassen, oft ohne das ihnen rechtlich zustehende Gehalt oder Übergangsgeld, so ein Forschungsbericht des Center for Global Workers’ Rights (CGWR) der Penn State University.
In einer zwischen dem 21. und 25. März 2020 durchgeführten Online-Umfrage von Arbeitgebern in Bangladesch, fand das CGWR mehr über die „katastrophalen Auswirkungen“ heraus, die die Auftragsstornierungen auf Betriebe und Mitarbeiter hatten: „Sie veranschaulichen die extreme Fragilität eines Systems, das auf dem jahrzehntelangen Druck der Käufer auf die an die Lieferanten gezahlten Preise beruht: Fabrikschließungen, unbezahlte Arbeiter, die keine Ersparnisse haben, um die bevorstehenden harten Zeiten zu überstehen, und eine Regierung mit so geringen Steuereinnahmen, dass sie nur sehr begrenzt in der Lage ist, den Arbeitnehmern und der Industrie sinnvolle Unterstützung zu gewähren“, so der Bericht.
Die Umfrage ergab, dass bei mehr als der Hälfte der Zulieferer in Bangladesch der Großteil ihrer Produktion seit Ausbruch der Coronavirus-Pandemie abgebrochen werden musste. Dies gilt auch für fertiggestellte oder fast fertiggestellte Aufträge, die von den Auftraggebern storniert und trotz vertraglicher Bindung nicht bezahlt wurden. „Viele machen zweifelhaften Gebrauch von Klauseln über allgemeine höhere Gewalt, um ihre Vertragsverletzungen zu rechtfertigen“, fand der Bericht.
Auftraggeber lassen Zulieferer im Stich
Die Umfrage ergab auch, dass mehr als 72 Prozent der Auftraggeber sich weigerten, für Rohmaterialien wie Stoffe und anderes zu zahlen, die bereits vom Zulieferbetrieb gekauft wurden; mehr als 91 Prozent weigerten sich auch, für CMT-Kosten aufzukommen. Als Folge davon mussten 58 Prozent der befragten Betriebe alle oder die meisten ihrer Tätigkeiten einstellen.
Als weitere Folge der Auftragsstornierungen mussten mehr als eine Million Bekleidungsarbeiter in Bangladesch ganz oder zeitweilig entlassen werden. Die Umfrage zeigte deutlich, dass sich die Aufftraggeber fast geschlossen (98,1 Prozent) weigerten, jedwede Teilzahlungen von zeitweise entlassenen Arbeitern (wie gesetzlich vorgeschrieben) zu zahlen. Als Folge wurden mehr als 72 Prozent der Arbeiter ohne Lohn nach Hause geschickt. Das gleiche gilt auch für Abfindungszahlungen, obwohl viele Marken „verantwortliche Ausstiegsstrategien“ haben, in denen sie sich verpflichten, Fabriken in solchen Fällen zu unterstützen.
Der Bericht schließt mit Empfehlungen des CGWR, die nicht nur für Bangladesch, sondern alle bekleidungsherstellenden Länder gelten. Er weist daraufhin, dass die Krise die Gewinne und Geldreserven von Marken und Einzelhändlern zwar empfindlich trifft, dass aber Zulieferbetriebe mit ihren hauchdünnen Margen weit stärker betroffen sind, da sie über geringe oder keine Reserven verfügen. Am stärksten sind daher die schwächsten Mitglieder der Lieferkette betroffen, die Bekleidungsarbeiter und -arbeiterinnen.
Empfehlungen für Auftraggeber
Der CGWR empfiehlt deshalb, dass Unternehmen, die Beihilfen und Finanzierungen von ihren jeweiligen Regierungen erhalten können, diese mit Zulieferern teilen und so die Bedingungen ihrer Verträge einhalten. Zulieferbetriebe müssen ihrerseits gewährleisten, dass diese Zahlungen verwendet werden, um Abfindungen und Löhne wie rechtlich vorgeschrieben an ihre Arbeiter zahlen.
Ebenso wird von den Regierungen in Herstellungsländern, zum Beispiel der in Bangladesch, gefordert, all ihre Ressourcen zu mobilisieren, um Zulieferbetriebe und ihre Arbeiter finanziell zu unterstützen.
Für die Zukunft sollten Auftraggeber von diese Krise lernen und bestehende Praktiken überdenken, um die korrekte soziale und ökologische Nachhaltigkeit zu garantieren. Dazu gehört die rechtzeitige Bezahlung von Aufträgen und die Respektierung von Arbeiterrechten. Abschließend erinnert das CGWR daran, dass weltweit gerade internationale finanzielle Ressourcen in Billionenhöhe mobilisiert werden und dass die Bedürfnisse der Bekleidungsarbeiter weltweit davon nur einen geringen Bruchteil ausmachen.
Große Modekonzerne zeigen sich solidarisch
Auf Auftraggeberseite werden glücklicherweise bereits entsprechende Schritte eingeleitet. So hat sich etwa der schwedische Modekonzern H&M verpflichtet, zu seinen Herstellern zu stehen: „Wir werden zu unseren Verpflichtungen gegenüber unseren Lieferanten für die Bekleidungsherstellung stehen, indem wir sowohl die bereits produzierten Kleidungsstücke als auch die in Produktion befindlichen Waren übernehmen. Wir werden diese Waren natürlich bezahlen, und zwar zu den vereinbarten Zahlungsbedingungen. Darüber hinaus werden wir keine Preise für bereits erteilte Aufträge aushandeln. Dies steht im Einklang mit unseren verantwortungsvollen Einkaufspraktiken und ist nicht nur in Bangladesch, sondern in allen Produktionsländern der Fall“, heißt es bei H&M in einer Erklärung vom Dienstag.
Welche Signalwirkung die Handlungen einzelner Auftraggeber haben, zeigt die Reaktion auf H&Ms Verpflichtung: Seitdem haben sich auch andere große Modekonzerne wie Inditex, Marks & Spencer, PVH, Target und Kiabi entschieden, ihre derzeitigen Produktionsaufträge aufrechtzuerhalten. Jetzt bleibt zu hoffen, dass weitere Bekleidungsunternehmen, Modemarken und Einzelhändler folgen.
NurPhoto via AFP