Logistikexperte zur Situation am Roten Meer: „Man muss Alternativen haben“
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Nach den erheblichen Transportverzögerungen während der Corona-Krise kommt es nun auch bei Seetransporten aus Asien zu Verzögerungen aufgrund der Krisensituation im Roten Meer und insbesondere im Suez-Kanal. Eine der Auswirkungen dieser Situation ist die Verlängerung der Lieferzeiten um 10 bis 14 Tage, da die Schiffe über Südafrika umgeleitet werden. FashionUnited sprach mit dem Logistikprofessor Jan Fransoo über die Auswirkungen auf die Modeindustrie, die Unterschiede zur Pandemie und mögliche Lösungen.
Die Angriffe der Houthi-Rebellen auf Handelsschiffe, die den Suez-Kanal passieren, begannen im Dezember 2023. Der Kanal wird häufig für den Transport von Asien nach Europa genutzt. „Die großen Reedereien haben sich recht schnell für einen Umweg entschieden, und das scheint nun strukturell zu werden“, erklärt Fransoo im Interview. Die Modebranche ist im Allgemeinen auf kürzere Fahrtzeiten eingestellt, und die Umleitung hat die Lieferkette etwas aus dem Gleichgewicht gebracht.
Der Professor nuanciert jedoch den Effekt. „Im Allgemeinen ist es so, dass in der Lieferkette von Bekleidung, die von weit her kommt, ziemlich viel Spielraum vorhanden ist. Es gibt dort Bestände, die das auffangen können. Das hat auch mit den Jahreszeiten zu tun und damit, wann diese Produkte geliefert werden. Es kann durchaus sein, dass sich ein bestimmter Artikel verzögert, mit einer Unterbrechung von einer Woche bis zu zehn Tagen. Das kann man ganz gut verkraften, weil die Läden nicht plötzlich leer stehen werden. Kurzfristig sind die Auswirkungen relativ begrenzt.“
Allerdings sind die langfristigen Auswirkungen noch nicht absehbar. Fransoo argumentiert, dass wenn die Situation nicht bald gelöst werde, die Umleitung dauerhaft werden könnte. „Die Kosten für diese Art von Transport steigen. Durch die Umleitung verbrauchen die Schiffe mehr Treibstoff, es wird mehr Kapazität für die gesamte Fahrt benötigt, und das System von Angebot und Nachfrage führt zu höheren Preisen.“
Probleme am Roten Meer: Bestellungen früher aufgeben
Für Einzelhändler:innen und Marken bedeutet die Verzögerung, dass sie früher bestellen müssen. „Wenn man die Ware rechtzeitig für die neue Saison haben will, muss man jetzt etwas früher bestellen“, sagt Fransoo und weist darauf hin, dass aufgrund des Bestellzyklus in der Modebranche die Bestellungen für die kommenden Monate bereits viel früher erfolgen.
Inwieweit die höheren Transportkosten auf die Verbraucher:innen abgewälzt werden, hängt davon ab, in welchem Segment eine Marke tätig ist. „Ich denke, das wird bei vielen Produkten überschätzt. Wenn man sich mit dem Preis wirklich am unteren Ende des Marktes befindet, wird es dort einen Effekt geben, aber sobald man in das mittlere Marktsegment geht, wird die Marge nur noch in geringem Maße beeinflusst.“
Fransoo veranschaulicht sein Argument mit einer Berechnung. „Container sind komplett mit Kleidung gefüllt, das ist ein großer Wert. Wenn man sich am unteren Ende des Marktes befindet, enthält ein Container etwa 10.000 bis 15.000 Euro an Wert. Wenn meine Transportkosten für einen Container plötzlich um 2.000 Euro steigen, sind das 20 Prozent des Wertes, der in dem Container enthalten ist. Das ist eine Menge.“ Wenn also der Wert der Kleidung im Container höher ist, ist die Auswirkung bei mittleren oder hochwertigen Marken auch geringer.
Ist die Flucht in den Lufttransport, in den Zug oder in den LKW eine gute Alternative für diejenigen, die sich die Kosten nicht leisten können? „Die Preise für Luftfracht sind im Moment ziemlich hoch. Ich denke, für ganz bestimmte Produkte, die wirklich rechtzeitig ankommen müssen, ist das durchaus möglich. Aber in großem Maßstab? Das bezweifle ich.“ Fransoo weist auch darauf hin, dass die Situation ganz anders ist als die Verzögerungen während der Pandemie. „Damals wurden die Vorlaufzeiten plötzlich Monate länger, jetzt reden wir von acht bis zehn Tagen. Die meisten Lieferketten können das verkraften.“
Also mit dem Zug? „Das ist eine Alternative, die es in der Vergangenheit gab. Der Zug fuhr von Asien über Russland nach Europa. Wegen des Krieges in der Ukraine und der Handelsbeschränkungen mit Russland ist dieser Transport nun teurer geworden. Technisch ist es zwar immer noch möglich, aber es ist schwieriger geworden. Der Zug ist also im Moment nicht unbedingt eine gute Alternative.“
Verkehrsbehinderungen aufgrund der Anschläge am Roten Meer: Südeuropa am stärksten betroffen
Die Auswirkungen der Probleme am Roten Meer sind in vielen Gebieten zu spüren, aber Südeuropa ist stärker betroffen, so Fransoo. „Die Schiffe, die durch den Suez-Kanal kamen, fuhren zum Beispiel an Genua in Italien vorbei und legten dort einen Zwischenstopp ein. Jetzt, da die Schiffe über Südafrika umgeleitet werden, fahren sie nicht mehr an Italien oder anderen Häfen im Mittelmeer vorbei. Die südeuropäischen Länder sind nun auf die Versorgung über die Häfen von Antwerpen, Hamburg oder Rotterdam angewiesen. Dadurch erhöhen sich die Gesamtkosten des Transports erheblich, da der Transport von diesen Häfen nach Südeuropa über den Landweg erfolgen muss. Der Landtransport ist viel teurer als der Seetransport“.
Fransoo sieht daher wenig Sinn in den vorgeschlagenen Maßnahmen des italienischen Branchenverbandes Confcommercio. Er fordert die Aussetzung des Emissionshandelssystems und die Aufhebung der Verkehrsbeschränkungen am Brennerpass in den Alpen. „Die Aufhebung der Beschränkungen am Brennerpass halte ich für ein billiges Argument. Zwischen Rotterdam und Mailand verkehren täglich Züge, so dass ein Container problemlos in den Zug verladen werden kann. Außerdem haben die Züge mehr Kapazität als Lastwagen.“ Fransoo rät auch davon ab, das Emissionshandelssystem auszusetzen. „Ich denke, die Bekleidungsindustrie hat einen großen Bedarf an einer nachhaltigen Lieferkette. Wenn man anfängt, das Handelssystem auszusetzen, wird dies die gesamte Bewegung hin zu mehr Nachhaltigkeit weiter verlangsamen.“
Auf Unterbrechungen in der Kette vorbereitet sein: Alternative Produktionsstandorte in Betracht ziehen
Sollte es jedoch zu einem Waffenstillstand mit den Houthi-Rebellen kommen und die Angriffe auf das Rote Meer eingestellt werden, werden die Verkehrsstörungen nicht aufhören, warnt der Professor. „Worüber wir in Europa nicht viel reden, ist das Problem im Panamakanal. Dort ist der Wasserstand aufgrund mangelnder Niederschläge zu niedrig. Deshalb müssen Schiffe, die von Asien zur Ostküste der Vereinigten Staaten fahren, nun ebenfalls einen Umweg machen.“ Diese Änderung der Schifffahrtsrouten wirkt sich auch auf die Transportkosten aus. Das Problem im Panamakanal besteht schon seit mindestens sechs Monaten.
Kurzfristig ist es also ratsam, Aufträge früher zu erteilen, was viele Modemarken bereits während der Messesaison im Januar und Februar verstanden zu haben schienen. Aber auf lange Sicht? Dann empfiehlt Fransoo, den Aufbau der Produktions- und der gesamten Lieferkette zu überprüfen. „Das kann bedeuten, dass man sich entscheidet, auch alternative Produktionsstandorte zu prüfen. Ein Teil des europäischen Marktes hat sich beispielsweise bereits nach Nordafrika und in die Türkei verlagert. Ich denke, dass sich diese Entwicklung noch beschleunigt.“ Nach Ansicht des Experten ist es zwar nicht notwendig, die gesamte Produktion zu verlagern, aber es ist gut, Optionen zu schaffen.
„Global gesehen werden die Unsicherheit und die potenziellen Störungen nur zunehmen. Deshalb muss man als Unternehmen vorbereitet sein. Das bedeutet, dass Sie jederzeit Alternativen in Ihrer Lieferkette haben müssen. Diese nur auf der Grundlage der niedrigsten Produktionskosten einzurichten, ist langfristig nicht mehr machbar. Stellen Sie sich also auf eine neue Normalität ein, in der Unterbrechungen an allen möglichen Stellen auftreten können.“
Dieser Artikel erschien ursprünglich auf FashionUnited.nl. Übersetzt und bearbeitet von Simone Preuss.