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Anita Tillmann:“Unsere Branche braucht etwas Neues”

Von Ole Spötter

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Messen|CEO-INTERVIEW

Seit Montag ist bekannt, dass die Messen Premium und Seek Berlin verlassen werden und als Teil der Frankfurt Fashion Week in die Mainmetropole ziehen. Der Weggang warf auch viele Fragen und Spekulationen auf. Premium-Gründerin Anita Tillmann spricht darüber, warum es Zeit war nach fast 20 Jahren umzuziehen, das En­ga­ge­ment der Stadt Frankfurt, Messen nach Covid-19 und wie die Premium-Gruppe schon davor, die Digitalisierung vorangetrieben hat.

Unter dem Namen Fashion Week Frankfurt finden Messen und Konferenzen statt, ebenso sind aber auch Events und Modenschauen in der gesamten Stadt geplant. Soll Frankfurts Modewoche dem Berliner Pendant den Rang ablaufen und deutsche Designer, die Spree durch den Main ersetzen?

Anita Tillmann: Nein. Ich finde den ständigen Vergleich zwischen Frankfurt und Berlin schwierig, weil jede Stadt ihre Vorzüge und Stärken hat. Unsere Entscheidungen und unser strategischer Zusammenschluss mit der Messe Frankfurt sind aus einem unternehmerischen Schritt getroffen worden. Wir stehen alle vor den gleichen Herausforderungen und müssen uns ständig hinterfragen und neu erfinden, um wettbewerbsfähig bleiben zu können. Was sind die Herausforderungen vor denen wir als Modemesse stehen und was betrifft die ganze Branche? Welche Themen spielt man, welches Narrativ ist relevant für unsere Zielgruppe, sind nur einige der Fragen, die wir uns stellen.

Die Schwerpunktthemen sind Sustainability und Digitalisierung. Beide Messen, sowohl die Frankfurter als auch wir, bringen einen großen Teil an Expertise mit. Wir werden auch das in Frankfurt vorhandene Finanz- und Kapitalwissen mit Kreativwissen matchen. Wenn Fashion, Lifestyle, Digitalisierung und Sustainability eine Synthese bilden, dann entsteht was Neues. Und unsere Branche braucht etwas Neues.

Der Vergleich mit Berlin hinkt also: Was wir hier machen, ist keine Konkurrenz zu Berlin oder Düsseldorf. Wir stellen uns neu und international auf, mit einer Zukunftsperspektive und wir denken groß.

Können Sie Ihre Zusammenarbeit mit der Messe Frankfurt erklären?

Über den Schulterschluss aller Messen denken wir schon eine ganze Weile nach und der Wunsch der Branche nach einer großen Location ist bekannt. Detlef Braun und ich kennen uns schon seit Mitte der 90er, aus den Jahren bei Joop, und waren immer in Kontakt. Wir unterhalten uns auch viel über die Branche, Perspektiven und Potenziale.

Wir arbeiten mit dem Team der Neonyt, Olaf Schmidt und Thimo Schwenzfeier, schon sehr lange zusammen. Wir haben unsere Contentformate, die Fashiontech und Fashionsustain Conference gemeinsam in Berlin produziert, Events wie der Industry Insights veranstaltet, zu dem wir nationale und internationale Gäste eingeladen haben - Einkäufer, große Designer, Unternehmer und Geschäftsführer. Damit wir diesen Schritt auch weitergehen und -entwickeln können, haben wir uns entschlossen einen neuen Standort zu beziehen, um auch ein neues Narrativ erzählen können. Einen neuen Standort zu wählen, der auch noch die Homebase der Neonyt ist, die Messe Frankfurt - macht Sinn, mal abgesehen von der Infrastruktur, die Frankfurt bietet.

Aus diesem Schritt heraus entstehen dann natürlich neue Themen: Wie kann man die Stadt einbeziehen? Die Konzepte richten sich an eine zukunftsorientierte und digitalaffine Fashion und Lifestyle Community aus der ganzen Welt. Und man muss auch sagen, es ist nicht vergleichbar mit Berlin. Frankfurt ist ein internationaler Handelsplatz, weltweit seit mehreren hundert Jahren bekannt, sehr international und in der Stadt geht es tatsächlich um Handel, Messen und um Business.

Und Frankfurts Messegelände scheint riesig. Wie wollen Sie das Gelände beleben? Wie wird es zwischen den drei Messen aufgeteilt?

Die Messe Frankfurt hat schöne und charmante Hallen, eine schöne Festhalle, alles ist zentral und an der konzeptionellen Hallenaufteilung arbeiten wir derzeit und stellen es demnächst vor.

Das Messegelände ist Teil der Innenstadt und gehört quasi zur Kultur der Frankfurter. Als wir unser erstes Gespräch mit der Stadt Frankfurt hatten, uns und unsere Vision vorgestellt haben, ist das sehr wohlwollend und begeistert aufgenommen wurden - mit viel Enthusiasmus. Wir werden das natürlich neu und anders denken und definieren müssen. Mode muss erlebbar gemacht und der Standort eventisiert und mit einbezogen werden.

Was wird die ‘Frankfurt Fashion Week’ alles bieten und wie bringt sich die Stadt ein?

Frankfurt Fashion Week ist ein Überbegriff für das was stattfinden wird: Zweimal im Jahr, wahrscheinlich über einen Zeitraum von fünf, sechs Tagen, werden Messen, Catwalks, Partys, Brand-Activations und Award Shows stattfinden. B2B, B2C, B2P, P2P – alles wird angedacht.

Die Klammern darum bilden das Kernteam, die Stadt Frankfurt, die Premium und die Messe Frankfurt. Zu jeweiligen Themen holen wir entsprechend Experten aus unserem internationalen Branchennetzwerk an den Tisch und verbinden sie mit den Playern der Kreativszene in Frankfurt.

Es gibt ein Budget der Stadt Frankfurt. Es geht um Stadtmarketing und Customer Journey für die Besucher. Welches Gefühl muss entstehen, wenn Besucher und Designer nach Frankfurt kommen? Frankfurt will die internationale Fashion Community willkommen heißen und ihnen ein gutes Gefühl geben. Das fängt am Flughafen und Hauptbahnhof an, auch Restaurants, Hotels und der stationäre Retail werden mit eingebunden.

Das Budget wird vor allem auch für die Betreibung von Guest- und Buyers-Management zur Verfügung gestellt – sprich, internationale Buyer und Medien einzufliegen. Das ist für Deutschland etwas besonderes, wohingegen Mailand und Paris großzügige Budgets dafür zur Verfügung stellen. Auch die Stadt Florenz finanziert das Einfliegen von Presse, Influencern und Einkäufern. Frankfurt sieht sich da selber in der Verantwortung das zu leisten, ‘committed’ sich zu dem Event und bildet den Rahmen dafür, damit die Messen und anderen Veranstaltungen stattfinden können.

Kommen alle Brands von der Premium und Seek mit?

Es ist vielen ja erst seit Montag bekannt, allerdings haben wir einige unserer Key Accounts kurz vorher an Board geholt und haben extremst positive Resonanz bekommen - viel besser als wir gedacht haben. Alle freuen sich auf etwas Neues und wissen: Die Modebranche lebt vom Neuen. Konzepte müssen sich ständig neu erfinden und das müssen wir als Messe natürlich auch, deshalb wird das von der Branche extrem positiv angenommen.

Die logistischen Vorteile sind auch eine pragmatische Entscheidung, die auch auf der Hand lag: Der Standort ist zentral in Deutschland und in Europa. Die Wege sind kurz, der Flughafen ist international bekannt und nur 15 Minuten vom Messegelände entfernt, der Hauptbahnhof ist eine Station von der Innenstadt entfernt und auch die Wege in der Stadt sind alle sehr kurz. Das finden unsere Retailer und Marken, die wir vorher informiert haben, sehr vorteilhaft - das kommt gut an.

Sie sprachen auch während der Pressekonferenz am Montag davon, dass Frankfurt den Vorteil haben wird, dass hier Kollektionen für Frauen und Männer künftig präsentiert werden. Die Premium ist bisher sehr stark bei Frauen. Heißt das, dass Sie um mehr Menswearbrands werben werden?

Der HAKA (Herren- und Knaben-Oberbekleidung) Anteil bei Premium liegt zwischen 30 und 40 Prozent. Bei der Seek werden zwischen 80 und 90 Prozent an Herrenkollektionen präsentiert. Durch die Zusammenlegung der Formate werden auch die Brandportfolios neu kuratiert und es wird neue Schwerpunktthemen geben. Wir arbeiten daran, brauchen hierzu aber noch Zeit, bevor wir konkreter werden. Aber ja, HAKA ist ein wichtiges Thema und das Feedback der HAKA Brands, in den letzten zwei Tagen, ist mehr als positiv: Es melden sich wieder Marken, die lange nicht mehr in Berlin waren.

Nehmen Sie von Berlin, mit einem lachenden und weinenden Auge, Abschied? Was hat Ihnen in der Stadt in Bezug auf Modeförderung gefehlt?

Wir als Premium Exhibitions GmbH haben keine Fördergelder der Stadt für unsere Messen bekommen und die kriegen wir auch nicht von der Stadt Frankfurt - darum geht es auch nicht.

Ich bin total dankbar, 18 Jahre hatten wir eine super Zeit in Berlin, wir haben viel gelernt und viel Spaß gehabt. Berlin hat viel für uns getan – wenn auch nicht finanziell ‒ und auch wir haben viel für Berlin getan, das war immer eine ‘Love Affair’ und nach den 18 Jahren ist die Zeit jetzt gekommen weiterzuziehen.

Kommt mit der Premium, Seek und der Fashiontech auch die Premium Group nach Frankfurt, oder bleiben Sie als Unternehmen Berlin treu und weiterhin ein Gesicht der Hauptstadt-Modeszene?

Ich liebe Berlin! Wir bleiben vorerst mit unserem Büro hier in Kreuzberg ansässig. Unsere Teams haben auch vorher schon mit der Messe Frankfurt zusammengearbeitet. Wenn man eins gelernt hat ‒ spätestens nach Covid-19 ‒ dann dass man nicht ein Büro in der gleichen Stadt haben muss, um mit anderen Teams erfolgreich zusammenzuarbeiten. Wir sind alle Experten im Zoomen, Microsoft Teams und Google Hangout geworden und können uns alle gut digital vernetzten. Vor der Produktion ziehen wir dann teilweise nach Frankfurt.

Gerade jetzt in der Coronavirus-Zeit wird die Digitalisierung stärker vorangetrieben? Inwieweit beeinflusst dies physische Messen?

Digitalisierung ist ein Riesen-Thema, wir stellen dazu schon seit fünf Jahren Experten, Innovationen und neue Konzepte auf der Fashiontech Konferenz vor.

Aus meiner Sicht geht es nicht um das Entweder-oder, sondern um das Sowohl-als-auch. Wir werden Mitte Juli die erste digitale Tradeshow, mit unserem strategischen Partner Joor, launchen. Unsere Teams arbeiten seit einem guten Jahr daran, die digitale Komponente mit in den Live Event, die Tradeshow einzubinden. Brands und Retailer sollen vor, während und nach der Messe handlungsfähig sein. Zum Beispiel kann man auch einiges digital ordern und nachschauen: Zwischenkollektionen, Lagerbestände, Nachordern und mehr.

Dazu haben wir ein ganz neues Produkt gemeinsam entwickelt - ‘Joor Passport’, das wir demnächst vorstellen werden. Damit kann man auch zwischen den Saisons in Kontakt bleiben - zum Beispiel. verlieren sich Retailer und Brands, die sich sonst nicht unbedingt sehen, nicht aus den Augen. Man kann beides sehr gut miteinander verbinden und integrieren. Wir nennen das ‘Blended Fashion Event’ und werden das erste Event dieser Art sein und das Beste beider Welten vernetzen. Dementsprechend stehen wir dem Thema Digitalisierung sehr positiv gegenüber.

Die Transformation in der wir uns alle befinden erfordert ein Neu- und Umdenken und man muss schauen: Welche Konzepte haben sich bewährt und welche müssen neu gedacht werden. Das gilt für das ganze Ecosystem der Mode. Die Texpertise der Messe Frankfurt ist dabei sehr wertvoll, insbesondere im Hinblick auf Themen der Transparenz und der Nachhaltigkeit.

Foto: Anita Tillmann/Premium Group by Neven Allgeier

Anita Tillmann
Frankfurt Fashion Week
Premium Group