Anita Tillmann: ”Wir glauben, dass die klassischen Fashion Weeks Vergangenheit sind”
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Die Berlin Fashion Week endete in lauen bis besorgniserregenden Tönen nachdem nicht nur die Modewoche sondern auch die Modemessen in dieser Saison ruhiger geworden sind. Doch wie viel Pessimismus ist angebracht und wie viel Potential hat die Stadt? Anita Tillmann, Geschäftsführerin der Premium-Group und einer der langjährigen Treiber vor und hinter den Kulissen der deutschen Fashion-Industrie, teilte ihre Gedanken zur Zukunft des Modestandorts Berlin.
Wenn man liest, wie die vergangene Berlin Fashion Week besprochen wurde, scheint es nicht gut um Berlin zu stehen. Wie hat sich die Stadt Ihrer Meinung nach entwickelt und vor allem: Wie geht es weiter?
Anita Tillmann: Die Frage ist welche Themen es in der Mode gibt und wie Berlin darauf antwortet. Streetculture und Streetwear werden schon seit der Bread&Butter hier vorgelebt und in der Seek weitergeführt. Die Community wird hier großgeschrieben. Ein weiteres Thema ist Digitalisierung – nirgendwo siedeln sich so viele neue Start-ups, Konzepte und AI-, VR- und klassische Designer nebeneinander an. Das ist keine Frage der Stadt oder des Managements, sondern eine Frage der Menschen, die sich hier niederlassen und von hier aus arbeiten.
”Wir glauben, dass die klassischen Fashion Weeks Vergangenheit sind.”
Wie sollte Berlin auf das Thema Digitalisierung antworten?
Wir glauben, dass die klassischen Fashion Weeks Vergangenheit sind. Auf der #Fasiontech Berlin werden Themen wie Virtual Identity, E-Sports und Digital Business entwickelt und weitergespielt. Große Firmen suchen hier nach Kontakten und Inspiration, um diese dann in lukrative Geschäftsmodelle zu übertragen. Passt das alles in das alte Bild einer Fashion Week? Nein. Berlin steht für permanenten Wandel und für Freiheit. Astrid Lindgren sagte schon, Freiheit bedeute, dass man nicht unbedingt alles so machen muss wie anderen Menschen.
Was bedeutet der Wandel für Modemessen wie die Premium?
Noch vor zehn Jahren waren Messen reine Transaktionsplattformen. Es ging um das Geschäft zwischen Lieferanten und Einkäufern. Die globale Denkweise fehlte ebenso wie der Fokus auf die Verbraucher. Heute sind wir eine Networking-Plattform für das gesamte Mode-Ökosystem. Das Handelsgut ist nicht mehr nur die Ware, es werden Brand-Storys, Emotionen, Daten und Know-how verkauft, präsentiert und verhandelt. Der Einkäufer an sich spielt nach wie vor eine wesentliche Rolle und auf den Messen, dennoch sind die Inhaber und Geschäftsführer, sowie Marketingteams, Designer, Visual Merchandiser, Influencer, Socialmedia Manager, Digitalteams und auch Medienvertreter unterwegs.
Bild: Future Bereich mit nachhaltigen Brands / Premium | FashionUnited
Worin besteht die Herausforderung nun, diese Erkenntnisse auch umzusetzen?
In Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung wird der Veränderungsprozess stetig anhalten. Was heißt das? Es wird nie wieder ein Endresultat geben, wir werden uns ständig weiterentwickeln müssen. Die sich rasant entwickelnde Technologie bringt ständige Veränderung mit sich. Der Unterschied zu früher ist, wir können auf keine Erfahrungswerte und Muster zurückgreifen, zumindest nicht 1:1. Das zu verstehen und anzunehmen ist wahrscheinlich die größte Herausforderung.
”Wer die Welt von morgen gestalten möchte, braucht guten Nachwuchs.”
Eine weitere Herausforderung in Berlin bleibt das Thema Nachwuchsförderung. Es ist weiterhin schwer als Designer mit Sitz in der deutschen Hauptstadt kommerziell erfolgreich zu sein. Warum fördern Sie Nachwuchs und wie erkennen Sie Talente wie jüngst Damur und Amesh?
Wer die Welt von morgen gestalten möchte, braucht guten Nachwuchs. Dazu gehören auch talentierte Designer, die am Anfang ihrer Karriere stehen. Ihnen geht es um Visionen, Kreativität und Inspiration – das motiviert uns. Deshalb verleihen wir den Premium Young Talent Award, mit dem der Gewinner für zwei Saisons einen kostenlosen Stand zur Verfügung gestellt bekommt und seine Kollektion in den Galeries Lafayette verkaufen kann. Wir haben ein Team von Experten, welches ständig neue Talente scoutet, mit ihnen spricht und sich am Ende für einen Gewinner entscheidet.
Außer einzelnen Initiativen, was kann Berlin tun, um sich weiter als Modestandort zu positionieren?
Alle müssen zusammenarbeiten und holistisch denken – dann holt man auch die Kritiker ab. Es gibt viele Projekte, die wir mit dem Fashion Council Germany planen und auch umsetzen werden. Aber auch hier... Gras wächst nicht schneller, wenn man dran zieht. Das dauert halt. Ich wäre froh wenn es schneller geht, aber das kennt man ja von mir.
Bleiben wir beim Thema Zusammenarbeit. Ihr Kollege und Konkurrent, Jörg Wichmann, der Geschäftsführer der Panorama, brachte die Idee ins Gespräch, dass alle Berliner Messen in Zukunft am Tempelhof stattfinden. Verkörpert die Idee eines gemeinsamen Standortes auch den Wunsch, enger zusammenzuarbeiten?
Der Standort löst bei vielen vor allem Emotionalität und Nostalgie aus. Um Tempelhof zu reaktivieren, sind hohe Investitionen und aber auch ein wirklich neues und unvergleichbares Konzept nötig. Wir arbeiten weiter an einem möglichen Konzept, aber das muss auch sinnvoll sein für die Branche. Alles ist offen.
Das Interview mit Anita Tillmann wurde schriftlich geführt.
Bild: Premium