Berliner Modemessen: Die Zukunftsdiskussion ist eröffnet
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Kaum ist die Wintersaison der Berliner Modemessen beendet, richten sich alle Blicke in der Hauptstadt schon auf den kommenden Sommer: Kurz nachdem sich die Tore am Donnerstag geschlossen hatten, brachte Jörg Wichmann, der CEO der Panorama, Pläne für einen großen Umbruch ins Spiel: Die Panorama gehe „in die Offensive, um dem Wunsch der Branche nach einer gemeinsamen Location für alle Veranstaltungen im Tempelhof Berlin nachzukommen“, ließ er in einer Mitteilung wissen.
„Wir haben die Fähigkeit den Fashion Standort Berlin neu zu gestalten. Jetzt gehen wir auf alle Beteiligten zu, um die möglichen Modelle und Szenarien zu besprechen, dabei sind alle Optionen denkbar“, so Wichmann. Erste Gespräche würden bereits geführt. So stehen plötzlich wieder die riesigen, zentral gelegenen Hallen des früheren Flughafens Tempelhof im Fokus der Berliner Messen. Das Gebäude hatte bereits von 2009 bis 2014 die inzwischen eingestellte Großmesse Bread & Butter beherbergt, seither war es unter anderem als Flüchtlingsunterkunft genutzt worden.
Auch für Anita Tillmann, Managing Partner der Premium Group, hat der Standort Tempelhof seinen Reiz. Die Idee, dort alle Berliner Messen gemeinsam anzusiedeln, hat für sie aber derzeit keine Priorität. Ihr gehe es vorrangig darum, „alle Formate der Premium Group zu bündeln“, sagte Tillmann dem Fachmagazin Textilwirtschaft.
Panorama meldet Besucherrekord
Wichmanns Vorstoß kam, nachdem die Panorama an ihrem jetzigen Standort, dem ExpoCenter City unter dem Funkturm, einen beachtlichen Erfolg gefeiert hatte. Die Messe, auf der 600 vor allem kommerziell ausgerichtete Marken ihre neuen Kollektionen für die Saison Herbst/Winter 2019/20 vorstellten, meldete einen neuen Besucherrekord. Schon am ersten Veranstaltungstag seien zwanzig Prozent mehr Besucher gekommen als im vergangenen Winter, teilten die Organisatoren mit. „Wir sind überwältigt vom Erfolg der Messe“, teilte Wichmann mit. „Aussteller und Besucher haben in den letzten Tagen das Panorama Berlin Format erneut zur Benchmark erklärt.“
Nutznießer der hohen Frequenz in den Westberliner Messehallen war auch die Selvedge Run. Nach einer längeren Partnerschaft mit der Panorama war die Spartenmesse für handwerklich hochwertige Bekleidungs- und Accessoiresanbieter und Denim-Manufakturen im vergangenen Herbst von der Panorama übernommen und mit der Hauptveranstaltung fusioniert worden. Erstmals fand sie nun als Segment der Panorama statt, behielt aber durch den Standort in der Eingangshalle und ein unverkennbares Erscheinungsbild ihren eigenständigen Charakter.
Die mehr als siebzig Aussteller profitierten von der Zusammenlegung: „Wir schließen mit einem deutlichen Besucherplus zur letzten Edition ab und ziehen eine eindeutig positive Bilanz, was die neue Location in der Eingangshalle Süd und die Fusion mit der Panorama Berlin angeht“, erklärte Sean Brandenburg, einer der Gründer der Selvedge Run, der weiterhin als Product Manager der Messe tätig ist. Entsprechend zufrieden zeigten sich auch die vertretenen Marken: Zusätzlich zu den bewährten Einkäufern, die extra wegen des besonderen Sortiments der Selvedge Run gekommen waren, habe es auch großes Interesse von Besuchern der Panorama gegeben.
Premium setzt auf Neuerungen
Von der Premium Group, Berlins zweitem großen Messeveranstalter, gab es bislang keine Informationen zur Entwicklung der Besucherzahlen. Die Hauptmesse Premium, auf der wiederum etwa 1.800 neue Kollektionen präsentiert wurden, hatte in dieser Saison einige Neuerungen umgesetzt. Neben einer veränderten Segmentierung sei es dabei vor allem darum gegangen, „ein viel dynamischeres und neues Messeerlebnis“ zu schaffen, erklärte Anita Tillmann in ihrem Abschlussstatement. So waren die Aussteller angehalten, ausgewählte Key-Looks augenfällig auf Puppen zu präsentieren, anstatt ihre Produkte nur auf Kleiderständer zu hängen. „Obwohl ich zugeben muss, dass die Umsetzung nicht einfach war und uns durchaus kritische Stimmen entgegengebracht wurden, war die Entscheidung genau richtig“, bilanzierte Tillmann. Tatsächlich war die Stimmung unter den Ausstellern dem Anschein nach weitgehend positiv.
Noch ist die Neuausrichtung allerdings nicht abgeschlossen: Erst „70 Prozent dieses Shifts“ seien erreicht, erklärte Tillmann. Die Messechefin mahnte in diesem Zusammenhang auch die Aussteller zu weiteren Schritten: Es gebe schließlich „noch viel Entwicklungspotenzial“, was die Gestaltung des Messeauftritts angeht: „Manche Stände sehen leider immer noch unemotional aus. Kreativität ist keine Frage des Budgets“, so Tillmann.
Die Seek feiert ihr zehnjähriges Bestehen, die Neonyt ein erfolgreiches Debüt
Auf der Seek, die ebenfalls zur Premium-Gruppe gehört, veränderte sich gegenüber der Vorsaison nur wenig. Schließlich hatte sich das Konzept der Messe für klassische Sportswear- und gehobene Freizeitmodemarken, die diesmal ihr zehnjähriges Bestehen feiern konnte, erfolgreich bewährt. Erneut fand sich ein großes, auffallend junges und internationales Fachpublikum in der Arena Treptow ein, um die neuen Kollektionen der über 250 vertretenen Labels in Augenschein zu nehmen. Verzichten mussten die Besucher diesmal auf die Schwestermesse Bright, die in den vergangenen Saisons im Nachbargebäude stattgefunden hatte. Die Premium Group hatte der traditionsreichen Plattform für Skate- und Streetwear eine Auszeit verordnet, um ein neues Konzept zu entwickeln. Ob die Messe wie ursprünglich geplant im Sommer zurückkehren wird, erscheint aber fraglich.
Ihr Debüt in der Berliner Messelandschaft feierte die Neonyt als zentrale Plattform für nachhaltige Bekleidung. Sie war aus der Fusion der Messen Greenshowroom und Ethical Fashion Show hervorgegangen, die beide der Messe Frankfurt gehören. Unter dem neuen Dach zeigten mehr als 150 internationale Marken ihre Kollektionen im Kraftwerk Mitte. Olaf Schmidt, Vice President Textiles and Textile Technologies bei der Messe Frankfurt, war mit der Premiere zufrieden und lobte nicht nur die gute Besucherresonanz. „Das Konzept der Neonyt ging voll auf“, erklärte er in einer Mitteilung. „Besucher, Aussteller, Speaker und Partner – egal, mit wem wir gesprochen haben – alle waren begeistert.“
Die Aussteller freuten sich vor allem darüber, dass auch viele Vertreter konventioneller Einzelhändler Interesse gezeigt hatten. Überhaupt war in der vergangenen Woche in Berlin zu erkennen, dass umweltfreundliche Mode immer mehr ins Zentrum der Branche rückt: Auch auf der Panorama und der Premium waren nachhaltige Marken erneut stark vertreten.
Konventionelle Messeformate haben keineswegs ausgedient
Nachdem zuletzt angesichts der tiefgreifenden Veränderungen in der Modeindustrie zunehmend Zweifel an traditionellen Messeformaten zu hören gewesen waren, herrschte in Berlin weitgehend Konsens über ihre anhaltende Berechtigung: Als Plattformen für die persönliche Kommunikation seien herkömmliche Messen nach wie vor unersetzlich. Sie ermöglichten es, im direkten Gespräch Marken und ihre Aussage zu erklären, auf diese Weise ein „Schubladendenken“ zu verhindern und damit auch neue Kunden zu überzeugen, war allenthalben unter den Ausstellern zu hören. In einer digitalen Umgebung oder bei der Beschränkung auf eigenständige Showrooms sei das so nicht möglich.
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